Das Reich der Mitte hat, im Gegensatz zu Amerika und Europa, einen langfristigen Plan. Die Neue Seidenstrasse zu Land und zu Wasser zum Beispiel. Doch diese Initiative wird von westlichen Kommentatoren immer wieder gleich negativ interpretiert, als Machtausbau Chinas nämlich. Nun wächst mit dieser breit und über mehrere Dutzend Länder angelegte Infrastruktur-Initiative gewiss Einfluss und Bedeutung Chinas in der Welt, kommt aber dem ganzen Eurasischen Kontinent und darüber hinaus wirtschaftlich zugute. Softpower eben, wie es auf Neudeutsch heisst.
Gesunde Ergänzung
Ähnlich negativ wurden in den letzten Jahren einige von Peking gegründete Entwicklungs- und Infrastrukturbanken von westlichen Finanzkommentatoren beurteilt. Offenbar missfällt Ihnen, dass der Internationale Währungsfond IMF, die Weltbank WB oder die Asiatische Entwicklungsbank ADB – alle von der Finanz-Supermacht USA bestimmt – konkurrenziert werden. Doch die neuen Finanzierungs-Institutionen sind nicht Konkurrenz, sondern gesunde Ergänzung. Das haben inzwischen auch viele Industriestaaten in Europa oder in Asien so beurteilt. Nicht von ungefähr sind Japan, Kanada, Australien, Neuseeland und viele europäische Staaten, darunter auch die Schweiz, sogar Gründungsmitglieder einiger dieser Institutionen.
„Das Neue Normale“
Das Wachstum Chinas ist zwar, wie westliche Medien in den letzten Jahren nicht müde werden zu betonen, „deutlich“ abgeflacht. Von knapp über zehn Prozent auf mittlerweile unter sieben Prozent auf ein gesundes Mittelmass, wie chinesische Finanz-Analytiker betonen. Bereits 2013 nannte Staats-, Partei- und Militärchef Xi Jinping diese neue makroökonomische Situation „Das Neue Normale“. In den ersten drei Quartalen 2017 ist das Brutto-Sozialprodukt GDP 6,8 Prozent gestiegen, leicht über der jährlich vom Staatsrat (Regierung) ausgegebenen Zielmarke von 6,5 Prozent. Fürs ganze Jahr wird das GDP-Wachstum vermutlich 6,7 Prozent erreichen. Ein Wachstum über sechs Prozent – für westliche Industriestaaten und Japan wäre das sensationell hoch – ist für China nötig, um jährlich rund neun Millionen neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Langfristig
Der jährlich im Dezember vom Zentralkomitee der Kommunistischen Partei und dem Staatsrat einberufenen Wirtschaftskonferenz in Peking kommt deshalb grosse Bedeutung zu. Das umso mehr, als Parteichef Xi Jinping mit dem Parteikongress vom Oktober seine zweite fünfjährige Amtszeit – notabene mit noch stärkeren Machtbefugnissen – angetreten hat. Laut der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua (neues China) haben sich die natürlich hinter verschlossenen Türen debattierenden Vertreter von Partei und Regierung wenig überraschend hinter die am Parteitag abgesegneten „Ideen Xi Jinpings über den Sozialismus Chinesischer Prägung für ein neues Zeitalter“ gestellt. Doch man täusche sich nicht. Xis Ideen fügen sich nahtlos in den bereits von Revolutionär und Reformübervater Deng Xiaoping vorgegebenen, langfristigen Entwicklungsplan ein. Viele der von Deng deklarierten Ziele werden, wie bereits die letzten beiden Jahrzehnte gezeigt haben, früher als erwartet erreicht.
Qualität statt Schnelligkeit
Der verabschiedete Acht-Punkte-Plan für 2018 sorgte ausser in China natürlich nicht für grosse Schlagzeilen. Im Westen war es allenfalls ein Fait divers, weil man ja alles schon weiss, insbesondere den international wachsenden Machtanspruch der bösen kapitalistischen Kommunisten. Trotzdem lohnt es sich, kurz das Wichtigste Revue passieren zu lassen. Die von Premierminister Li Kejiang an der Wirtschaftskonferenz niedergelegten Leitlinien für 2018 sind weitgefasst, doch in der Implementierung eine Fortsetzung langfristig verfolgter Ziele. Eine Vertiefung der angebotsorientierten Strukturreformen soll die Wirtschaft von der Formel „Made in China“ zur nächsten Wertschöpfungsstufe „Designed in China“ oder „Created in China“ verhelfen. Dabei sei Qualität wichtiger als Schnelligkeit. Technologische Innovation sei für die Erreichung solcher Ziele die Vorbedingung.
Jingjinji
Erneut wird, wie schon mehrmals seit Amtsantritt von Parteichef Xi Jinping 2012, dem Markt – „Sozialistische Marktwirtschaft mit Chinesischen Besonderheiten“ – eine entscheidende Bedeutung beigemessen. Dazu gehören auch weitere Reformen in den Bereichen Energie, Stahl, Kohle, Oel oder Eisenbahn. Auch die „wissenschaftliche“ Entwicklung der Landwirtschaft sowie die regionale Entwicklung und die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Städten wird ein Schwerpunkt sein. Besonders erwähnt wird dabei etwa Jingjinji, die „Hauptregion Chinas“ mit den Städten Peking, Tianjin und der Provinz Hebei.
Westliche Technologie
Auch Investitionen im Ausland sind explizit angesprochen worden, nachdem die USA, aber auch Europäische Staaten, ja sogar die Schweiz zunehmend Behinderungen beanstandet haben. Die Wirtschaft und die Märkte, so jetzt im verabschiedeten Dokument, müssen noch mehr geöffnet werden, um Investitionen aus dem Ausland anzuziehen. Der Schutz der Auslandinvestitionen ebenso wie das geistige Eigentum und das Copyright seien gewährleistet. Wie so oft liegt auch hier bei der Implementierung aber der Teufel im Detail, wie viele westliche, auch Schweizer Investoren glaubhaft nachweisen können. Eines ist jedoch gewiss, China braucht trotz aller Fortschritte auch weiterhin westliche Technologie und Innovation.
Luan
Beim wachsenden Auseinanderklaffen von Arm und Reich sowie Stadt und Land legen Partei und Regierung auch auf eine nachhaltige Verbesserung des Lebensstandards besonderen Wert. Nicht von ungefähr. „Soziales Chaos“ (Luan) mieden schon die Kaiser aus Furcht, das „Mandat des Himmels“, also die Macht zu verlieren. Verbesserung des Systems der sozialen Sicherheit einschliesslich der Renten oder mehr Ausgaben für Kindergarten, Primar- und Mittelschulen sollen deshalb etwa prioritär an die Hand genommen werden. Auch die gesunde Entwicklung des Immobilien-Sektors soll gefördert werden, weil viele Chinesinnen und Chinesen sich keine Wohnung mehr leisten können. In einem Land, wo nur dreissig Prozent Mieter sind, soll deshalb mit Unterstützung der Regierung ein Markt für Mietwohnungen entstehen.
Umweltschutz
Last but not least soll der Schutz der Umwelt ganz gross geschrieben werden nach dem in der Schlusserklärung der Wirtschaftskonferenz niedergelegten Prinzip: „Nur wirklich grüne Regionen können auch wohlhabend werden“. Die gute Nachricht: Kein Land auf der Welt gibt so viel für Umweltschutz aus wie China. Die schlechte Nachricht: In Chinas Städten, zumal der Hauptstadt Peking, ist die Luft nach wie vor dick, zum schneiden dick.
Viele Hürden
Ob sich China nach den an der Wirtschaftskonferenz in Peking niedergelegten Zielvorgaben entwickeln wird, ist natürlich ungewiss. Doch mit Blick auf die letzten Jahre stehen die Chancen, viele der angestrebten Verbesserungen zu erreichen, nicht schlecht. Allerdings ist Chinas positive Entwicklung kein Selbstläufer. Parteichef Xi wird deshalb seit zwei Jahren nicht müde zu betonen, dass sich China in einer „kritischen Phase“ befinde. Es gibt viele Hürden. Wird es China etwa gelingen, der Falle des mittleren Einkommens zu entrinnen und mithin nicht zu stagnieren? Wie kann die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich gestoppt werden? Können genügend Arbeitsplätze geschaffen werden trotz der fortschreitenden Digitalisierung?
Neben wirtschaftlichen Impoderabilien kommen internationale Konfliktherde in Asien wie Nordkorea, Taiwan, das Ost- und das Südchinesische Meer. Der pragmatische Zugang Pekings zu solchen Problemen in den vergangenen rund vierzig Reform-Jahren lässt deshalb für 2018 eine vorsichtig optimistische Prognose zu. Noch bleibt Zeit. Das Chinesische Neujahr wird nämlich erst am 16. Februar des Gregorianischen Kalenders gefeiert ...