Sie ist schuld, dass Flüchtlinge Europa überfluten, dass die Kriminalität wächst, dass der Terror in Europa Fuss fasst, dass es der EU schlecht geht, dass der Euro kriselt, dass die Rechtspopulisten Siege feiern, dass die Sitten und die Sprache verrohen.
Vor einem Jahr schwang sie in Meinungsumfragen noch oben auf. Jetzt ist sie zum Feindbild geworden, nicht nur bei den Rechtspopulisten und den Biertisch-Besserwissern. Und nicht nur in Deutschland. Die Italiener und Franzosen machen Merkel dafür verantwortlich, dass ihre Wirtschaft lahmt. Die Briten treten aus der EU aus, wegen Merkel natürlich.
Gerät jemand auf die abschüssige Bahn, entwickelt sich eine Dynamik. Es ist schwer, sich dieser zu entledigen. So geht es immer weiter bergab. Der Teufelskreis dreht sich immer schneller. Angela Merkel wird es schwer haben, diesem Abwärtsschwung zu entgehen. Sie ist heute die „Trulla aus der Uckermark“.
Merkel, eine besonnene Frau, mag Fehler gemacht haben. Welche Fehler hätten all die Schreihälse gemacht, wenn sie an der Macht gewesen wären, all diese „Ich-habe-es-immer-gesagt“-Schwätzer? Wo sind ihre Rezepte, um die Probleme zu lösen? Ausser populistischem Nonsense hört man nichts. Glauben wir wirklich, die Probleme lösen zu können, wenn wir wie Krähen auf Merkel herumhacken?
Es ist toll, Sündenböcke zu haben. Man kann mit ihnen von der eigenen Unfähigkeit ablenken. Nicht nur das: Mit Sündenböcken und Feindbildern gewinnt man Stimmen. Der Mensch ist nie ganz zufrieden mit seiner Situation. Also braucht er Feindbilder. Sie sind schuld, dass es uns nicht gut oder nicht noch besser geht.
Eine Sachdiskussion findet kaum statt. Für die meisten ist klar: das Problem ist Angela Merkel. Doch das ist es eben nicht. Indem man die Kanzlerin attackiert, wird man davon entbunden, sich inhaltlich mit den komplexen Problemen zu befassen und konkrete Gegenvorschläge zu machen. Man entledigt sich auf billige Art der Aufgabe, nicht nur in Schwarz und Weiss zu argumentieren. Es gibt keine schnellen Pauschallösungen. Die komplexen Probleme hätten wir auch ohne Merkel. Nur die Dümmsten der Dummen glauben wohl, dass mit „Grenze zu“ und „Flüchtlinge raus“ alle Probleme zu lösen sind.
Anstatt einen Sündenbock vor sich herzutreiben, täte man gut daran, darüber nachzudenken, wie man konkret die Probleme lösen kann. Doch einige wollen die Probleme gar nicht lösen. Sie wissen: Je schlechter es läuft, desto mehr Wählerinnen und Wähler gewinnen sie. In Deutschland, in Frankreich und anderswo.