In den USA und in Europa ist im Corona-Jahr die von US-Präsident Trump geforderte technologische und wirtschaftliche Entkoppelung bei Politikern und Experten meist auf offene Ohren gestossen. In Japan und den USA etwa sind Anreize für Firmen geschaffen worden, ihre Fabriken zurückzubringen. Nun ist China aber seit einigen Jahren nicht mehr die viel zitierte «Werkstatt der Welt». Auch im Reich der Mitte nämlich sind mit der seit vier Jahrzehnten rasant sich entwickelnden Volkswirtschaft die Löhne nach oben geschossen. Nicht nur westliche, sondern auch chinesische kleine, mittlere und grosse Unternehmen haben deshalb arbeitsintensive Fertigungen nach Südostasien – etwa Vietnam, Kambodscha, Laos, Bangladesh oder Indonesien – ausgelagert.
«Lichtblick»
Die Ent- und Abkoppelungsidee wird zwar von Politikern und den Medien nach wie vor meist mit Vehemenz verbreitet. Allerdings zeigt ein Blick auf die wirtschaftliche Realität ein differenzierteres Bild. Bereits im Juni hat zum Beispiel der US-Handelsbeauftragte Robert Lightizer bei einer Anhörung im Repräsentantenhaus gesagt, eine Entkoppelung von China sei für die USA «weder realistisch noch eine vernünftige politische Option».
Selbst das Trump-hörige «Wall Street Journal» sieht den Handel mit China als einen «Lichtblick» für den US-Aussenhandel. Der vom künftigen US-Präsidenten Joe Biden als Aussenminister vorgesehene Tony Blinken formuliert es in einem Referat vor der US-Chamber of Commerce so: «Zu versuchen, total von China zu entkoppeln, wie einige vorgeschlagen haben, ist unrealistisch und letztlich kontraproduktiv.»
Gegenwart und Zukunft
Wie die Tatsachen auch 2020 zeigen, können sich sowohl die multinationalen Grossunternehmen als auch die kleinen und mittleren Betriebe im Westen eine Absenz vom chinesischen Markt ganz einfach nicht vorstellen und leisten. Apple beispielshalber erzielt 20 Prozent seines Umsatzes in China. General Motors verkauft drei Millionen Autos im Jahr, womit China für GM der Markt Nummer 1 geworden ist.
Kentucky Fried Chicken KFC verkauft in China mittlerweile mehr Hühnchen in China als in den USA, und McDonald’s verwöhnt mit bislang 3000 Schnellimbissen die Gaumen von Chinesinnen und Chinesen. Schliesslich erzielen die High-Tech-Riesen Intel (20 Milliarden Dollar) und Qualcomm (11,5 Milliarden Dollar) grosse Umsätze. Auch etwa für Tesla, Starbucks, Wal-Mart, ExxonMobil, Metro, Carrefour, ABB, Ciba und viele, viele mehr ist China – und Asien – vielversprechende Gegenwart und Zukunft.
Zu gross, um ignoriert zu werden
Kurz, Chinas Markt ist ganz einfach zu gross und kann mithin von westlichen Unternehmen nicht ungestraft ignoriert werden. Wie die neuesten Zahlen nun zeigen, sind die Direktinvestitionen aus dem Ausland – meist aus den USA und Europa – auch im Pandemie-Jahr weitergewachsen. In den ersten zehn Monaten ergibt sich ein Plus von 3,9 Prozent gegenüber 2019, und 2019 war schon ein Rekordjahr. China zieht nach den USA weltweit am meisten Investitionen an.
Die Europäische Union EU hat unterdessen angekündigt, über eine neue China-Strategie nachzudenken. Das hat auch der farblose Schweizer Aussenminister Cassis vollmundig angekündigt. Dabei sollten besonders die gängigen Menschenrechts-Narrative über Xinjiang, Hongkong oder Tibet hinterfragt werden. Über die «Demokratiebewegung» in Hongkong und über Tibet war verschiedentlich schon in früheren Kolumnen zu lesen. Hier deshalb einige Anmerkungen zu Xinjiang.
Uiguren und der IS
Das Vorgehen gegen Uiguren, Kasachen oder Kirgisen in Xinjiang sind für westliche, rechtsstaatliche Begriffe harsch, wohl zu harsch. Doch es gibt dort tatsächlich ein grösseres Terrorismus-Problem. Das sollte eigentlich nach den Attentaten in Paris, Nizza oder Wien in Europa besser verständlich sein. Was im Westen kaum erwähnt wird: der in Xinjinang praktizierte Islam ist ähnlich wie in Saudiarabien fundamentalistisch ausgerichtet. Nicht von ungefähr kämpfen – auch das wird im Westen nicht erwähnt – mehrere Tausend Uiguren an der Seite des Islamischen Staats IS in Afghanistan, Nord-Pakistan, Syrien, Irak und Libyen.
Konzentrationslager?
Die Erziehungslager werden wohl absichtlich als «Konzentrationslager» bezeichnet. Das ist irreführend und verfolgt den Zweck, China mit dem Nationalsozialismus zu vergleichen. Es wird stets ohne nähere Belege von 1,8 Millionen Gefangenen gesprochen und aufgrund dubioser Quellen wird Folterung, Vergewaltigung und Zwangsarbeit angeprangert. Auch von Zwangssterilisierung, Zwangsabtreibung und erzwunger Geburtenkontrolle ist die Rede. Ein kurzer Blick in die Bevölkerungsstatistik genügt, um das zu widerlegen.
Geschichtsklitterung
Schliesslich wird das Sprachproblem in Xinjiang so gut wie in der Inneren Mongolei und in Tibet mit zweisprachigem Unterricht gelöst, etwa so, wie das auch im Engadin oder der Surselva üblich ist. Doch die seit langem negativ getönte China-Berichterstattung im Westen spricht im Zusammenhang mit Xinjiang und Tibet von einem «kulturellen Genozid».
Ein ehemaliger China-Korrespondent der NZZ und des Schweizer Radios ging auf den sozialen Medien noch einen Schritt weiter und sprach von einem «Holocaust» in Xinjiang; das ist übelste Geschichtsklitterung und ein Hohn für die sechs Millionen ermordeter Juden, Roma, Sinti und Regimegegner während des nationalsozialistischen Holocaust.
Kritischer Blick
Für die angekündigte neue China-Strategie bedarf es also eines ungetrübten, an Fakten erhärteten kritischen Blicks. China befindet sich mitten in einer neuen, kritischen Entwicklungsphase. Partei- und Staatschef Xi Jinping formuliert es so: «Wachsender Unilateralismus, Protektionismus und Schikanen sowie Gegenreaktionen auf die wirtschaftliche Globalisierung haben die Risiken und Ungewissheiten in der Weltwirtschaft verstärkt.» Er fügte hinzu, dass China in die Weltwirtschaft integriert sei und dass China seine «Türen zur Welt noch weiter öffnen» werde. Die Rekord-Investitionen aus der EU und aus den USA belegen die Politik der offenen Türen.
Für eine neue China-Strategie – und nebenbei gesagt für die Bekämpfung des Virus – müssten Amerikaner und Europäer vor allem bereit sein, von China und Asien zu lernen. Ein kleiner Tipp: Innovation und Nachhaltigkeit wird im Reich der Mitte ganz gross geschrieben.