Präsident Trump will dieser Tage eine hochrangige Delegation nach Kabul schicken, die über die dortige Lage berichten soll. Der Oberkommandant der amerikanischen Truppen in Aghanistan, General John Nicholson Jr., hat vor dem Senat ausgesagt, er brauche mehrere Tausend zusätzliche Soldaten, wenn er die Lage zum Besseren wenden soll.
Zögern der Amerikaner
Gegenwärtig befinden sich nur noch 8‘400 amerikanische Soldaten im Land. Die Hauptlast der Kämpfe gegen die Taliban tragen die afghanischen Truppen. Sie weisen grosse Verluste auf. Von den 72 Distrikten des Landes, welche die afghanische Regierung im Jahr 2015 „beherrschte oder beeinflusste“, sind Ende 2016 noch 56 übrig geblieben. Senator John McCain, der Vorsitzende des Verteidigungsauschusses des Senats, ist öffentlich für Truppenverstärkungen in Afghanistan eingetreten.
Was Trump tun wird, ist noch offen. Bisher hat er nur eine grosse Bombe über einer Höhlenanlage abgeworfen, die vom IS in der Region Khorasan benutzt wurde. – Khorasan ist ein historischer Name für Ostpersien und Afghanistan. – Dies war eine erfolgreiche taktische Massnahme, aber kein strategischer Schritt.
Moskau kollaboriert mit Iran
Die Russen und die Iraner suchen die Planlosigkeit der Amerikaner zu nutzen. In Moskau wurden „Friedensgespräche“ über Afghanistan am 14. April abgehalten, zu denen neben Russland und den zentralasiatischen Staaten auch Iran, Pakistan, Indien und Afghanistan eingeladen waren. Auch die Taliban und die Amerikaner waren geladen. Doch beide lehnten ihre Teilnahme ab.
Dennoch ist bekannt und wird von den Amerikanern bestätigt, dass die Russen, die Iraner und die Taliban Kontakte unterhalten. Der amerikanische Oberkommandant in Afghanistan erklärte vor dem Senat, Iran liefere auch Waffen an die Taliban in den westlichen Teilen Afghanistans. Dies wurde von den Russen, den Taliban und den Iranern dementiert. Die Taliban erklärten: „Unsere Kontakte mit Russland und mit Iran sind rein diplomatischer Natur.“
Der IS als ein weiterer Faktor
In Moskau ging es unter anderem darum, die Möglichkeit auszuloten, dass die Taliban bei der Bekämpfung des IS in Khorasan mithelfen könnten. Für Russland ist der Umstand wichtig, dass die Taliban nur eine afghanische Agenda haben, keine internationale wie der IS. In der Tat haben die Taliban ihre Rivalen von IS energisch bekämpft.
Die Verbände des IS in Afghanistan sollen nun schon auf die Hälfte ihrer früheren Stärke reduziert sein. Sie bestanden grossenteils aus ehemaligen pakistanischen Taliban, die durch die Waziristan-Offensiven der pakistanischen Armee über die Grenze nach Afghanistan getrieben wurden. Sie setzten sich in der Grenzprovinz Nangarhar fest und erklärten sich zum IS in Khorasan. Zu den pakistanischen Taliban, meist aus dem Stamm der Orakzai, sollen mit ihrer Führung unzufriedene Gruppen der afghanischen Taliban gestossen sein, sowie auch Teile der usbekischen Kämpfer, die bei den Taliban mitkämpften. Einige Kaukasus-Islamisten sollen ebenfalls bei ihnen Unterschlupf gesucht haben. Diesen Leuten gilt natürlich das besondere Augenmerk der Russen. Sie haben allen Grund, ihre Heimkehr zu fürchten.
Taliban gegen den IS
Die territorialen Flecken, welche der IS in Khorasan beherrscht, sind klein. Zudem konnte der IS von den Taliban und von der afghanischen Armee mit Luftunterstützung durch die verbliebenen Amerikaner weiter zurückgedrängt werden. Die grosse Bombe der USA wurde in diesem Zusammenhang eingesetzt. Doch der IS in Khorasan verfügt offensichtlich auch über eine Untergrundpräsenz in Kabul und in anderen Städten, die es ihm erlaubt, blutige Anschläge durchzuführen. Moskau sagt offen, es zähle auf die Taliban, um den IS in Afghanistan zu niederzuringen.
Möglicherweise wird es aber auch weitere gemeinsame Interessen der Russen, Irans und der Taliban geben. Falls Trump sich entschliesst, erneut mehr amerikanische Truppen nach Afghanistan zu entsenden, besteht die Möglichkeit, dass nun in dem unglücklichen Bergland die umgekehrte Situation dessen entsteht, was zwischen 1980 und 1988 geschah. Damals sassen die Russen in Kabul und die Amerikaner förderten den „islamischen“ Widerstand gegen die Russen mit Geld und Waffen, ohne selbst direkt eingreifen zu müssen, bis die Russen, acht Jahre später, abzogen. Nun aber sitzen die Amerikaner in Kabul, es gibt einen afghanisch-islamischen Widerstand gegen sie, den die Taliban tragen. Für Moskau muss die Versuchung gross sein, die damalige Scharte auszuwetzen und nun seinerseits „die Afghanen“ in ihrem Guerillakampf gegen Kabul und gegen die dortige von „den Fremden eingesetzte Regierung“ zu unterstützen, bis sie die Amerikaner zum Abzug zwingen können.
Die Taliban üben Vorsicht
Die Weigerung der Taliban, an der „Friedenskonferenz“ von Moskau teilzunehmen, zeigt, dass diese Konstellation nicht oder noch nicht perfekt ist. Die Taliban misstrauen wahrscheinlich den Russen. Ihre ältere Generation hat gegen sie gekämpft. Solange Moskau, wie sie es zur Zeit vorschlägt, der Meinung ist, die Taliban sollten ihre Waffen abgeben, um sich mit der Regierung von Kabul zu versöhnen, dürfte dieses Misstrauen andauern.
Die Taliban müssen auch die Interessen Pakistans berücksichtigen. Pakistan hat ihnen stets geholfen, indem es die Anliegen der Amerikaner in Bezug auf eine Abriegelung der Grenze nach Afghanistan ignorierte und die Amerikaner bezüglich des wahren Verhältnisses Islamabads und seiner Geheimdienste zu den Taliban täuschte. Denn Islamabad rechnete damit, dass nach dem Abzug der Amerikaner aus Afghanistan die Taliban zu Herren in Kabul und, nach pakistanischer Rechnung, Verbündete würden, die Pakistan „strategische Tiefe“ in der Konfrontation mit Indien verschafften. Dass die Taliban nun plötzlich Schützlinge der Russen würden, dürfte nicht in der Rechnung von Islamabad liegen, und die Hilfsstellungen, die Islamabad den Taliban gewährt, wiegen schwer genug, um die Taliban zu zwingen, vorsichtig auf die russischen Annäherungsversuche zu reagieren.
Trumps Zwickmühle
Wie immer seit der Wahl Trumps hängt alles davon ab, wozu Trump sich entschliesst. Wenn er die amerikanische Präsenz in Afghanistan wieder verstärkt, ist es wahrscheinlich, dass sich die zuerst heimliche, später vielleicht immer offenere Zusammenarbeit zwischen Moskau, Iran und den Taliban intensiviert. Wenn er es nicht tut, ist zu erwarten, dass über die nächsten Jahre die Taliban weitere Fortschritte machen, bis sie schliesslich in Kabul ankommen.