Wenn nicht vieles trügt, werden Israel und - gewissermassen in dessen Schlepptau - auch die USA in absehbarer Zeit auf der Uno-Bühne in New York eine politische Niederlage erleiden. Der palästinensische Präsident Abbas hat am Freitag erklärt, dass er an seinem Plan festhalte, im Uno-Sicherheitsrat offiziell den Antrag auf Anerkennung Palästinas als selbständigen Staat zu stellen.
Welcher Uno-Status?
Es gibt wenig Zweifel, dass dieser Antrag von einer Mehrheit im 15-köpfigen Sicherheitsrat unterstützt wird. Die USA hingegen werden von ihrem Vetorecht Gebrauch machen, womit eine Vollmitgliedschaft Palästinas in der Uno gescheitert wäre. Abbas wird sich dann gemäss bisherigem Drehbuch an die Uno-Generalversammlung wenden und diese dürfte mit Sicherheit und mit überwältigendem Mehr einer Aufwertung des bisherigen Beobachterstatus’ der palästinensischen Delegation zustimmen. Die Palästinenser hätten dann in der Uno den gleichen Status wie der Vatikan - oder vor ihrem Beitritt als Vollmitglied die Schweiz.
Falls die israelische Regierung nicht von allen guten Geistern verlassen ist, wird sie sich in der Generalversammlung zumindest nicht gegen diese Entscheidung sperren. Doch selbst in diesem günstigeren Fall wird Israel auf der Uno-Bühne als deutlich isoliertes Land dastehen, das nicht die Grösse – oder wenigstens die taktische Flexibilität – aufbringt, den palästinensischen Nachbarn den Status zuzubilligen, den ihm ebenfalls die Uno 1947 offiziell zuerkannt hatte. Dies obwohl selbst der jetzige israelische Regierungschef Netanyahu versichert hatte, Ziel seiner Politik sei ein unabhängiger palästinensischer Staat an der Seite Israels.
Verspielte Glaubwürdigkeit
Nun kann man sich lange streiten, ob der Entscheid von Präsident Abbas, beim Sicherheitsrat direkt eine Uno-Vollmitgliedschaft anzustreben und damit den wichtigen Geldgeber USA trotz dessen Mahnungen in eine peinliche Lage zu manövrieren, der Weisheit letzter Schluss sein kann. Doch Abbas kann für diesen Schritt in der Weltöffentlichkeit mit breitem Verständnis rechnen, weil inzwischen die Regierung Netanyahu die Glaubwürdigkeit ihrer Beteuerungen, mit den Palästinensern über ernsthafte Kompromisslösungen verhandeln zu wollen, praktisch verspielt hat.
Denn wer von einer Zweistaatenlösung spricht, gleichzeitig aber das Gebiet, auf dem ein künftiger Palästinenserstaat entstehen soll, entgegen früheren Zusicherungen (Road Map, Annapolis-Konferenz) laufend mit immer neuen Siedlungsbauten überzieht, darf sich nicht wundern, wenn die Gegenseite zu Verhandlungen unter solchen Bedingungen nicht mehr bereit ist. Kommt hinzu, dass die Regierung Verhandlungen über eine Teilung Jerusalems kategorisch ablehnt – auch dies entgegen Vereinbarungen mit früheren israelischen Regierungen.
Ramallah und Gaza im Zwist
Netanyahu mag im nationalistischen Lager seines Landes zwar Applaus ernten, weil er die dringende Aufforderung des amerikanischen Präsidenten, im Interesse der Wiederaufnahme von Verhandlungen einen Siedlungsstopp zu verfügen, kaltschnäuzig abgewiesen hat. Doch kann es wirklich im langfristigen Interesse Israels liegen, den obersten Repräsentanten seines mächtigsten Verbündeten, der dem jüdischen Staat jedes Jahr mit mindestens drei Milliarden Dollar unter die Arme greift, derart vor den Kopf zu stossen? Obama mag im Moment politisch geschwächt sein, doch darauf zu spekulieren, dass er im kommenden Jahr nicht für eine zweite Amtszeit gewählt wird, ist zumindest eine riskante Wette.
Allerdings hat in der gegenwärtigen Phase des scheinbar endlosen Trauerspiels zwischen Israel und den Palästinensern nicht nur die Regierung Netanyahu ein akutes Glaubwürdigkeitsproblem. Auch die Palästinenser machen beim diplomatischen Schattenboxen um einen Sitz in der Uno bei Lichte besehen eine ziemlich deprimierende Figur. Wenn Präsident Abbas, dessen Amtszeit eigentlich schon längere Zeit abgelaufen ist, vor die Uno tritt um für Palästina die volle Mitgliedschaft zu beantragen, so sollte er wenigstens im Namen des ganzen palästinensischen Volkes sprechen können.
Ideologische Verbohrtheit
Das kann er indessen nicht, denn die im Gazastreifen regierende Hamas-Führung lehnt die Initiative Uno-Beitritt von Abbas rundheraus ab. Laut Pressemeldungen hat ein Hamas-Sprecher in der vergangenen Woche erklärt, die Anerkennung Palästinas als souveräner Staat durch die Uno würde gleichzeitig auch die Anerkennung Israels bedeuten – und dazu sei seine Partei nicht bereit. Der Sprecher pochte damit auf den alten – (gelegentlich etwas relativierten) ideologischen Glaubenssatz von Hamas, dass es kein Existenzrecht Israels gebe und die Palästinenser Anspruch auf das ganze ehemalige britische Mandatsgebiet hätten.
So viel ideologische Verbohrtheit braucht den Vergleich mit den nationalistischen Betonköpfen in Netanyahus Kabinett, die unumwunden die restlose Annexion des gesamten Westjordanlandes zum israelischen Staatsgebiet verlangen, nicht zu scheuen. Die offene Distanzierung der Hamas-Führung von der Abbas-Initiative vor der Uno zeigt auch mit aller Deutlichkeit, dass die im Frühjahr in hohen Tönen gefeierte Versöhnung zwischen der in Ramallah regierenden PLO und ider slamistischen Hamas-Herrschaft im Gazastreifen nur Schall und Rauch war. Hamas ist ja auch nicht bereit, den bisherigen Ministerpräsidenten Fayyad in Ramallah, der dank seiner Tüchtigkeit und Seriosität in den letzten Jahren entscheidende zum wirtschaftlichen Aufschwung im Westjordanland beigetragen hat, als Oberhaupt einer gemeinsamen palästinensischen Regierung anzuerkennen.
Warten auf konstruktive Köpfe
Der alte destruktive Mechanismus, bei dem die Extremisten und ihre politischen Protektoren auf beiden Seiten des israelisch-palästinensischen Konflikts sich letzten Endes in die Hände arbeiten, in dem sie dem gegnerischen Lager Vorwände zur Verweigerung ehrlicher Kompromisse liefern, ist also nach wie vor funktionstüchtig. Von aussen kann diese düstere Mechanik kaum nachhaltig überwunden werden. Es liegt an den israelischen und palästinensischen Bürgern, sie zu durchschauen und ausser Kraft zu setzen und reiferen, konstruktiven Köpfen zum Durchbruch zu verhelfen.
Sind das falsche Hoffnungen? Das unerwartete Auseinanderbrechen des sowjetischen Imperiums vor 20 Jahren und der nicht weniger überraschende Aufbruch verkrusteter Herrschaftsverhältnisse in der arabischen Welt in diesem Frühling sollten daran erinnern, dass die Geschichte nie statisch bleibt. Sie bewegt sich gelegentlich in kühnen Rösselsprüngen vorwärts.