Noch geht Noch-Ministerpräsident Benjamin Netanjahu angeblich seiner Arbeit nach und spricht davon, dass er eine starke Koalitionsregierung plane und aus seiner Umgebung heisst es, dass der israelische Ministerpräsident weiterhin plane, zur Uno und einem Treffen mit US-Präsident Trump in die Vereinigten Staaten zu fliegen.
Kein Wort davon, dass seine politische Zukunft nach den Wahlen vom 17. September alles andere als gesichert ist und dass die Wahrscheinlichkeit von Unzufriedenheit und Aufmüpfigkeit ihm gegenüber selbst in den Reihen seines „Likud“ wachsen und ihm gefährlich werden könnten.
„Bibis Gewalt-Kampagne“
Im Gegensatz zu Netanjahus am Tag nach der Wahl zur Schau getragenen Ruhe und seinen demonstrativen Treffen mit allen rechten Parteien dürfte das Ergebnis der Wahlen – an dem nur noch minimale Änderungen in Frage kommen – dem Likud-Chef doch gehörige Kopfschmerzen bereiten. Denn auch in der zweiten Parlamentswahl in diesem Jahr hat es keine Entscheidung gegeben: Die beiden grössten Parteien, „Likud“ und „Blau-Weiss“, haben jeweils 32 (plus/minus) der 120 Knesset-Mandate erhalten. Zu wenig für eine regierungsfähige Regierung, auch dann, wenn ideologisch nahestehenden Parteien als Koalitionspartner gewonnen werden: Die „Rechte“ bringt es auf 56 Mandate, die „Linke“ auf 55, das erforderliche Minimum für eine Mehrheit liegt aber bei 61 Mandaten.
Netanjahus Wahlkampfstrategie scheint gründlich danebengegangen zu sein. Dabei hatten besonders die israelischen Medien diesen Wahlkampf mit allen nur denkbaren, darunter durchaus auch widersprüchlichen Bezeichnungen bedacht. So war die Rede von „Bibis Gewalt-Kampagne“ (unter Verwendung seines Spitznamens und des deutsch-jiddischen Wortes für „Gewalt“): In dieser hetzte er unter anderem gegen die Palästinenser, die „uns alle umbringen wollen“ und er kündigte an, dass er nach dem Wahlsieg den grössten Teil der Jordansenke annektieren wolle. Womit er die von ihm immer schon verteufelte „Zwei-Staaten-Lösung“ endgültig in den Mülleimer der Geschichte zu befördern gedachte.
Drohung mit Krieg
Israels Luftangriffe in Syrien, im Iran und im Libanon waren weiteres „Beiwerk“ zur propagandistischen Vorbereitung der Wahlen. Den Höhepunkt erreichte die „Gewalt-Kampagne“ aber keine Woche vor dem Wahltag: Netanjahu sprach plötzlich davon, dass er vielleicht gezwungen sei, mit Krieg auf die fortgesetzten Zwischenfälle am und im Gazastreifen zu antworten. Keine leere Drohung, wie sich bald zeigen sollte. Die liberale Tageszeitung „HaAretz“ berichtete, dass Netanjahu diesen Krieg bereits konkret geplant hatte: Führende Militärs seien dagegen gewesen und er habe sie daraufhin von weiteren Diskussionen ausgeschlossen. Verhindert wurde die Umsetzung des Plans schliesslich durch denselben Generalstaatsanwalt Mendelblit, der nun just am Tag nach der Wahl die Vorbereitungen mehrerer Korruptionsklagen gegen Netanjahu wieder aufgenommen hat.
Eine zweite Eigenart des Netanjahu-Wahlkampfes war – wie schon in früheren Fällen – offen zur Schau getragener Argwohn, dass er die Wahlen verlieren könne. Unter anderem, indem er den israelischen Arabern vorwarf, ihm durch Wahlbetrug „die Wahlen stehlen“ zu wollen.
Nicht wieder neue Wahlen
Er versuchte erfolglos, eine breit angelegte Kontrollaktion besonders der arabischen Wahllokale durchzusetzen. Erfolglos, weil offizielle Untersuchungen Netanjahus Behauptungen längst widerlegt hatten.
Die „Gewalt“-Kampagne dürfte in Trümmern liegen. Zumindest solange Netanjahu nicht neuen Mut schöpft, aus der Situation doch noch als Sieger hervorzugehen. Letztlich müsste aber auch ihm klar sein, dass dies diesmal – wenn überhaupt – nicht so leicht sein würde wie noch bei der letzten Wahl im April: Am Morgen danach hatte zuerst Benny Gantz, Führer der Mitte-Links-Partei „Blau-Weiss“, seinen vermeintlichen Sieg gefeiert, dann Netanjahu. Beide sollten sich irren: Netanjahu erhielt zwar den Auftrag zur Regierungsbildung, er scheiterte aber an der Minimalanforderung von 61 Mandaten und liess im Eilverfahren Neuwahlen für den 17. September beschliessen.
Nicht wenige Wähler und Gewählte dürften die Situation jetzt mit der vom April vergleichen. Etwa die Abgeordnete, die meint, man befinde sich nun „wieder am Punkt Null“. Verständlich, aber nicht unbedingt überzeugend: Obwohl niemand ernsthaft solch ein Ergebnis erwartet hatte, so musste man das aber doch als möglich einkalkulieren und man tat dies auch. Wobei man sich – besonders kurz vor der Wahl – einig schien, dass ein neues Patt nicht wieder neue Wahlen auslösen dürfe.
Rotierender Ministerpräsident
Einen Ausweg aus solch einer Situation hatte Avigdor Lieberman schon lange empfohlen: Der Führer der „Israel Beitenu“-Partei („Unser Haus Israel“) war vor einem Jahr noch Verteidigungsminister unter Netanjahu, überwarf sich dann aber mit diesem und löste damit die Wahlen im April aus. Er war es dann auch, der Netanjahu die Gefolgschaft verweigerte, wenn dieser nicht bereit sei, Privilegien der Religiösen in Israel drastisch zu reduzieren – zum Beispiel die Wehrdienst-Befreiung von orthodoxen Jeshiva-Schülern. Sein Ziel sei es, eine „liberale und säkulare Regierung der nationalen Einheit“ zu bilden.
Am Tag nach den September-Wahlen scheint dieses Konzept der einzige Ausweg zu sein: Eine Koalition von „Likud“, „Blau-Weiss“ und der Lieberman-Partei hätte eine grosse Mehrheit und wäre nicht immer abhängig von kleinen Interessengruppen. Ausserdem könnte man damit Netanjahu ablösen, wie von Blau-Weiss-Führer Gantz und Lieberman gefordert wird. Gantz schlug bereits vor, eine solche Grosse Koalition müsse Rotation zwischen ihm und dem „Likud“-Führer bringen und er – Gantz – die erste Halbzeit als Ministerpräsident übernehmen.
Netanjahus Stern sinkt
Was Netanjahu betrifft, so könnte dieser vorläufig mit einem weniger wichtigen Posten abgespeist werden. Womit auch das von Netanjahu geforderte Amnestie-Gesetz für den Regierungschef wegen der Korruptionsklagen gegen ihn vom Tisch wäre: Entweder er wird verurteilt oder aber er wird freigesprochen – ohne jede Sonderbehandlung. So oder so: Seine Karriere dürfte damit dem Ende entgegengehen. Noch nicht in den nächsten Tagen, aber bei den nächsten Wahlen in Israel dürfte der Spitzenkandidat des Likud nicht mehr Netanjahu heissen.