Scheint – denn in Wirklichkeit dürfe es sich eher um eine Art Torschluss-Panik auf Seiten von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und dessen nationalistischem „Likud“ handeln.
Wollte er sich der Wählerschaft als einer präsentieren, der bei den Grossen der Welt ein- und ausgeht („eine andere Liga“ hiess es auf Plakaten), so ging dieses Kalkül nicht wirklich auf: Besuche bei Putin, in Tokio und New Delhi kamen nicht zustande, nur in London überfiel er den gerade Brexit-gebeutelten Boris Johnson.
Sich die Wahl „nicht stehlen lassen“
Was er am Rande dieses Kurzbesuches sagte, war wichtiger, als was beim Gespräch mit dem Premier herauskam: Er rief die Wähler, vor allem aber die Parteifreunde des Likud auf, sich die Wahlen diesmal „nicht stehlen zu lassen“. Im Klartext: Beim letzten Mal sei die Wahl in vielen Wahllokalen gefälscht und er damit um den Sieg gebracht worden. Deswegen solle diesmal das Fotografieren in den Wahllokalen erlaubt werden, damit solch ein Betrug unterbunden wird. Aus den Reihen des Likud wurde sofort sekundiert: Heute werde doch überall fotografiert, warum also nicht in Wahllokalen? Zumal dies doch zum Schutz der demokratischen Wahlen geschehe.
Netanjahu und seine Parteifreunde sollten es besser wissen: Im April hatten sie unangemeldet Fotografen einer Agentur in arabische Wahllokale geschickt, um das dortige Wählerverhalten und danach die Auszählung der Stimmen zu dokumentieren. Als sich dies herumsprach, wurde der Foto-Einsatz untersagt, denn es könne nicht angehen, dass eine Partei ihre eigenen „Kontrolleure“ losschicke.
„Die Araber kommen“
Im April hatte Netanjahu sich an die Wahlen von 2015 erinnert, als gerade aus dem Bereich der israelischen Araber die unverhältnismässig hohe Wahlbeteiligung von 80% gezählt wurde. Von Betrug sprach damals niemand, aber Netanjahu rief seinen Anhängern zu: „Die Araber kommen“, und forderte sie auf, nun erst recht wählen zu gehen. Die vereinigte arabische Liste wurde trotzdem drittstärkste Gruppe. Diese galt zwar nicht als koalitionsfähig, konnte aber eben doch in der Knesset das Wort ergreifen.
In der Folge änderte sich dies. Sicher auch, weil dieser Erfolg den israelischen Arabern keine direkten und messbaren Vorteile einbrachte, aber auch seit der Verabschiedung des „Staatsgesetzes“ durch die Regierung Netanjahu 2018 und seiner restriktiven Behandlung der (20% starken) arabischen Minderheit, die das Gefühl unter deren Angehörigen verstärkte, dass sie vom Urnengang nichts zu erwarten haben. Die arabischen Parteien begannen wieder selbständig aufzutreten und im April sank die arabische Wahlbeteiligung unter 50%.
Ein Fall von Wahlbetrug
Eigentlich kein Grund zur Sorge für Netanjahu. Inzwischen hatten die arabischen Parteien sich aber wieder zusammengerauft und der Likud-Chef konnte sich ausrechnen, dass jeder gewählte Araber die Zahl der zur Disposition stehenden Mandate für Juden verringere. Netanjahu dementierte zwar, dass er Kontrollmassnahmen nur in arabischen Wahllokalen fordere, im April hatte die von ihm beauftragte Agentur dies aber längst – und nicht ohne Stolz – zugegeben. Wie auch längst die angeblichen „Erfolgsmeldungen“ von „hundert Fällen von Wahlbetrug“ widerlegt sind: Eine Untersuchung fand gerade einmal einen Fall.
Für „Bibi“ ist das aber kein Grund, nachzugeben: Er hat oft genug gezeigt, wie wenig er sich um die arabischen Bürger Israel schert und jede Stimme mehr für ihn und den Likud scheint diese Linie in seinen Augen zu rechtfertigen.
Kritik an Rabin
Das dies keine Übertreibung ist, mag an einem Skandal abzulesen sein, den sein Sohn Yair inzwischen im Internet losgetreten hat: Dieser griff dort den ehemaligen und später ermordeten Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin (Arbeiterpartei) an, dieser habe bei Staatsgründung ein Flüchtlingsschiff (die „Altalena“) bei seiner Ankunft im Nahen Osten beschiessen und dabei Holocaust-Überlebende an Bord töten lassen, auch sei er verantwortlich für den Tod von 2000 Israelis.
Netanjahus einzige Reaktion auf diese Vorwürfe: „Das ist seine Meinung allein.“ Eine „Meinung“ über Rabin, der für seine Rolle beim Oslo-Abkommen zwischen Israel und der PLO immerhin den Friedens-Nobelpreis erhielt, vom Vater Yair Netanjahus aber auf übelste Art dafür kritisiert und angegriffen wurde. Der Apfel fiel nicht weit vom Baum …