Karachi Sweets heisst ein beliebter Laden für Süsswaren und Salzgebäck in Bandra, dem früheren Vorort Bombays, der inzwischen längst im geografischen Zentrum der ausufernden Megalopolis liegt. Es war eine Tradition in meiner Familie, am letzten Abend vor der Heimreise in die Schweiz bei Karachi Sweets Dahiwada und Sevpuri zu kosten und Namkeen für Freunde zuhause einzukaufen.
Ich erschrak daher, als der Mumbai Mirror letzte Woche berichtete, eine Reihe von Läden mit pakistanischen Namen stünden fortan unter Polizeibewachung. Dies gilt offenbar auch für Karachi Sweets, auch wenn der Name nichts direkt mit der gleichnamigen Stadt zu tun hat, sondern von einer Familie namens Karachiwallah geführt wird, die zudem ... Hindus sind. Sie waren sogar Superpatrioten, die nach der Teilung des Landes 1947 aus der pakistanischen Provinz Sindh nach Indien ausgewandert waren.
Indische Soldaten auf pakistanischem Territoirum
Seit einem Monat fegt ein nationalistischer Sturm über Indien hinweg, der alles niederzureissen scheint, was nicht in die Trikolore gehüllt ist oder die indische Armee kritisiert oder nicht mit einem der vielen Hindu-Symbole geschmückt ist, sei es nun der Lotus, oder die Swastika, oder eine Gottheit.
Auslöser waren die vier Terroristen, die am 18. September in Uri im indischen Kaschmir ein Militärcamp überfielen und achtzehn Soldaten zur Strecke brachten. Zehn Tage später kam es zu einem Revancheakt indischer Kommandos, die auf pakistanisches Territorium eindrangen und offenbar sieben Mudschaheddin-Camps „ausschalteten“. Die landesweite Frustration über die schiere Leichtigkeit, mit der Pakistan nach Belieben Terrorakte ausführen lässt, schlug in euphorische Begeisterung für das Husarenstück der Armee um.
„I salute our heroes“
Plötzlich war jede Kritik an den Männern in Khaki nicht nur verpönt, sondern wurde als anti-national zum Verstummen gebracht. Wer die Frage stellte, wie es möglich war, dass vier Männer eine schwerbewachte Garnison mit Kampftrupps in Brigadestärke überfallen und zwei Tage in Schach halten konnten, wurde als Terror-Sympathisant gebrandmarkt. Die regierende BJP, eben noch für die Zurückhaltung ihrer Regierung angeprangert, verstand es, mithilfe eines Twittersturms den nationalen Diskurs auf den Kopf zu stellen. Statt Kritik zu üben, wurde es plötzlich zur nationalen Pflicht, die Soldaten als Helden zu salutieren.
Auch die TV-Kanäle wurden zu Brandbeschleunigern. Jeder Studiogast, sei es eine Fabrikmanagerin oder ein Filmstar, Gewerkschafter oder Lokomotivführer, wurde auf seine Gesinnung in Sachen Pakistan befragt und beurteilt. Wer nicht mit Worthülsen wie „I salute our heroes“ reagierte, setzte sich im Nu dem Verdacht aus, ein Quisling für den bösen Nachbarn zu sein.
Von Lollywood nach Bollywood
Jeder Kontakt mit Pakistan, sei es nun ein Name, ein Sänger, Filmstar oder eine Süssigkeit, wurde sofort mit dem Vermerk „Verräter“ gestempelt. Bollywood wurde rasch als Sündenbock geoutet. Der Konsum von Bollywood-Filmen gehört zu den liebsten pakistanischen Freizeitbeschäftigungen. Auch wenn viele Streifen nicht die nötige Vertriebsbewilligung erhalten, überfluten sie nur Tage nach der indischen Premiere den DVD-Schwarzmarkt. Die Journalistin Tavleen Singh schrieb in ihrer Indian Express-Kolumne, Bollywood habe mehr Positives für Indiens Prestige und Soft Power getan als Politiker und Generäle beider Länder regelmässig zerstörten.
Dieser Markt ist ein Grund, warum in den letzten Jahren immer wieder Stars der Filmindustrie von Lahore (‚Lollywood’) in Bombay-Studios unter Vertrag kamen. Nun soll dies ein rasches Ende nehmen. Angestachelt von Medien und Politikern – und bedroht von ihren Schlägertrupps – überboten sich der Verband der Kinobesitzer und jener der Filmproduzenten in patriotischen Bekenntnissen. Keines ihrer Mitglieder werde fortan Filme mit pakistanischem Spuren – Komparsen, Komponisten, Drehbuchschreiber – zeigen, keines werde dafür eine Dreherlaubnis erhalten.
Nie mehr ein pakistanischer Schauspieler
Ein neuer Blockbuster-Film des Erfolgsregisseurs Karan Johar, der in einigen Tagen anlaufen soll und in einer Nebenrolle den pakistanischen Schauspieler Fawwad Khan ins Spiel bringt, wurde von Drohungen regelrecht eingedeckt, von Brandstiftung bis zu Mord. In einer Verzweiflungsgeste trat Johar schliesslich mit einem Video an die Öffentlichkeit. Mit weinerlicher Stimme schwor er, ein Superpatriot zu sein und die Armee zu verehren. Nie mehr werde er einen pakistanischen Schauspieler vor seine Kamera holen – wenn doch bitte nur seine Premiere zugelassen werde.
Am Samstag willigte der Politiker Raj Thackeray grosszügig ein, seine Vandalen zurückzupfeifen. Dafür müsse der Filmproduzent der Armee fünfzig Millionen Schmerzensgeld zahlen. Ausgerechnet der BJP-Regierungschef des Bundesstaats Maharashtra hatte den Deal mit dem Rädelsführer Thackeray ausgehandelt – statt ihn zu verhaften. Man kann ruhig annehmen, dass neben dem Opfergeld mindestens ebenso viel auf die Konten des Radauhelden geflossen sind – und jene des Vermittlers.
Wehende Fahnen, Stechschritt
Auch die Wirtschaft, immer bereit, sich mit der Politik ins Einvernehmen zu bringen, hat für ihre Firmenwerbung wehende Fahnen und Stechschritt entdeckt. Für das Unternehmen mit dem Namen Hero war es ein Leichtes, seine Produkte – von Fahrrädern bis zu Nähmaschinen – als nationale Brands anzupreisen. Auch die Fabrikanten von Feuerwerkskörpern – ein grosses Geschäft unmittelbar vor dem Lichterfest Diwali – tun das Ihre, um die Produkte ihrer chinesischen Konkurrenten zu diskreditieren, weiss doch jedermann, dass China Pakistans engster Freund ist.
Keiner reitet auf der von der Regierung losgetretenen nationalistischen Welle besser als der Yogi Baba Ramdev, Gründer der Firma Patanjali, der letztes Jahr mit seiner Kampagne gegen Maggi-Nudeln sogar Nestlé des Fürchten gelehrt hatte. Bei einem Medienauftritt in Bombay lobte er vor einigen Tagen Narendra Modi, der sowohl Buddha wie Yuddha in seinem Köcher führe – Frieden und Krieg.
„Warum soll Nestlé Geld verdienen?“
Für seine Firma Patanjali kommt die jüngste Krise wie gerufen. Mit ihrem Produktemix von Heilkräutern, Nahrungsmitteln und Kosmetika hat die Firma innert Kürze 800 Mio.$ verdient. Nun will er diese Zahl verdoppeln – in einem Jahr. Seine nächsten Produkte sind einheimische Jeans und Milchprodukte. „Warum soll Nestlé mit indischen Kühen Gewinne erzielen?“, fragte er und erntete in der erlauchten Runde der indischen Industrie-Elite Lachen und Applaus. Mit den Jeans will er die Chinesen dafür bestrafen, dass sie „Geld aus Indien herausholen und damit Pakistan unterstützen“. So einfach ist das.
Auch für die Flammenwerfer der Regierungspartei gründet alles auf kühlem Kalkül. In Uttar Pradesh, Indiens grösstem Bundesland, stehen Wahlen bevor. Die BJP hat dort nicht nur die Muslime gegen sich aufgebracht, sondern auch die kastenlosen Dalits, zwei gewichtige Wählersegmente. Es kann nicht schaden, wenn mit nationalistischen und religiös eingefärbten Slogans die Hindu-Mehrheit unter der Fahne der Armee und ihres Obernbefehlshabers geeint wird. Nichts bietet sich dafür besser an als Pakistan – der klassische „Andere“, der mit seiner islamisch gefärbten Terror-Strategie das ideale Feindbild abgibt.
Treuebekenntnis zu „Mutter Indien“
Wenn sogar Namen wie Karachi Sweets bewaffneten Schutz nötig machen, wie steht es dann mit den Millionen indischer Bürger – immerhin 150 Millionen von ihnen – die einen muslimischen Namen tragen? Schon heute ist es für einen dieser Namensträger sehr schwierig, in Bombay eine Wohnung zu mieten oder einen Staatsjob zu ergattern. Wenn die offiziöse Propaganda auch von Hindus ein Treuebekenntnis zu „Mutter Indien“ einfordert, dann stehen ihre muslimischen Mitbürger erst recht in der Pflicht. Sie müssen ihren Patriotismus ständig unter Beweis stellen, auch und gerade wenn dieser mit Hindu-Symbolen eingefärbt daherkommt.