In meiner Kolumne vor zwei Wochen schrieb ich vom Wahlkarneval Indiens mit seiner Überfülle von Parteifarben, Slogans, Kandidatenköpfen und Wahlgeschenken. Doch wie immer in diesem Land ist auch das Gegenteil wahr. Und diesmal ist es noch «wahrer». Es betrifft den Kandidaten, den jedermann bereits als den Premierminister der nächsten fünfzehn Jahre herbeisehnt oder befürchtet.
Narendra Modi führt eine Kampagne, in der nur die Helikopter-Rotoren ohrenbetäubend und landesweit lärmen. Der Rest sind dosierte, kalkulierte, gezielte Botschaften.
Lückenlos geplanter Wahlkampf
Modi ist auf gutem Weg, bis zum Ende des Wahlkampfs am 12. Mai sein Plansoll von dreihundert besuchten Wahlkreisen zu erfüllen. Im Durchschnitt legt er zweitausend Kilometer im Tag zurück. Dies bedeutet micht nur, dass er ständig in der Luft ist. Er muss auch in den Medien ständig «on Air» sein und deren Multiplikatoreffekt nutzen. In einem Land dieser Grösse und Diversität braucht ein Spitzenkandidat diese von Medien erzeugte Nähe zum Wähler und den landesweiten Eindruck einer lokalen Unmittelbarkeit.
Dies bedarf einer minutiösen Planung, und es verlangt totale Message Control, auch und gerade für die subkutanen Signale, die ein Politiker mit permamenter Medienpräsenz aussendet. Wenn Modi am Morgen seinen Helikopter besteigt, ist sein medialer Körper bestückt wie das Leibchen eines Sportstars.
Jeder Zielgruppe den passenden Modi
Je nach dem sozialen Profil seiner Zuhörer trägt er einen karmesinroten Punkt auf der Stirn und einen orangen Schal um den Hals (Zuhörer: vorallem Hindus); ist die Kurta in blassen Farben gehalten, die Stirne rein, das Haar gescheitelt, dann sind die Zuhörer wahrscheinlich Minderheiten oder kommen aus städtischen Mittelschichten. Und für das ganze Land zeigt sich der Chefkandidat immer im kurzärmligen Hemd, etwas eng um den prallen Brustkorb, sodass jeder an den schmalbrüstigen Manmohan Singh denkt; alle kennen, das haben die sozialen Medien sichergestellt, inzwischen Modis Brustumfang (56 Inches).
Für jeden der vier bis sechs Auftritte am Tag ist die richtige Rede bereit, jede mit lokalen Details angereichert, und weitere werden während des Flugs eingearbeitet, wann immer neue Ereignisse oder Dummheiten des Gegners bekannt werden. Auch Tweets werden daraus gebastelt, die von einer Armee von Freiwilligen unten auf der Erde vieltausendfach weiterverbreitet werden. Sie werden zu Slogans verdichtet, welche Modis Reden spicken, präzis in der Länge, inhaltlich scharf konturiert, für die Medien mit ihrer Gier nach Breaking News und Schlagzeilen verpackt und sofort konsumierbar.
Professionalisierung der Politik nach US-Muster
Zum Zweck der Message Control musste auch die Wahlkampfmaschinerie der Partei mit ihren Lecks und ausgeleierten Slogans beiseite geschoben werden. Kaum war Modi im letzten Herbst von der BJP (Bharatiya Janata Party, Indische Volkspartei) zum Kandidaten für das Premierministeramt erkoren worden, besetzten seine Vertrauensleute aus Gujerat das Parteihauptquartier, sie zogen in die Landesbüros ein. Eine Reihe von Unterstützungskomitees begann mit Meinungsforschung, Helfer aus den USA, meist Exil-Gujeraten, opferten ihre Ferien, um Inputs aus US-Wahlkämpfen zu liefern.
Die Wahlauftritte sind ganz auf die Person Modis zugeschnitten. Schon Wochen zuvor beginnen die Vorbereitungen, die Lautsprecheranlagen sind auf dem letzten Stand, für Regengüsse stehen Zelte bereit. Anhänger werden mobilisiert, Unschlüssige werden angesprochen, Busfahrten werden für sie organisiert. Für die Medienleute stehen Lunchboxes bereit, VIP-Parking, Stühle, Schreibblöcke. Den Fernsehstationen werden audiovisuelle Feeds zur Verfügung gestellt. Und kurz nachdem Modis Helikopter aus der aufgewirbelten Staubwolke auftaucht und am Himmel verschwindet, stehen bereits die ersten Videos zur Verfügung, gefilmt aus den besten Winkeln, zu denen Fernsehleute keinen Zugang haben.
Instrumentalisierung lokaler Kandidaten
Der lokale Wahlkandidat? Er ist da, um das Publikum zwischen den rockigen Musikeinlagen und den NaMo-Clips wachzuhalten, während jedermann nur auf den NaMo Chopper wartet. Narendra Modis Leute haben bei der Kandidatenselektion entscheidend mitgemischt, und Selektionskriterium Nummer Eins war «Winnability».
Doch nun, da die Strategie aufgeht und Modi immer mehr allesbestimmendes Wahlkampfgesicht, Wahlkampfthema, und Wahlkampfaussage wird, braucht man vom lokalen Kandidaten nur die Verbindung zur stimmstärksten Kaste im Bezirk. Es ist ein Vorteil, wenn er tiefe Taschen hat, aber sonst kann es ein Überläufer aus der Kongresspartei sein, ein Politiker unter Korruptionsverdacht, oder ein verblassender Bollywood-Star.
Ganze Partei im Dienst des Spitzenkandidaten
Es gab viele enttäuschte Gesichter unter den altgedienten BJP-Kadern. Doch wenn eine Wahlstrategie ganz auf ein Gesicht zugeschnitten ist, kann man sich andere bekannte oder enttäuschte Gesichter schenken. Sie stehen sogar im Weg, besonders später, wenn dieser einmal holprig werden sollte. Dann ist es von Vorteil, wenn ein Regierungschef Parlamentarier hinter sich weiss, die ihm allein ihre Wahl verdanken. Sogar Gründungsmitglieder der BJP wurden auf sichere Sitze abgeschoben. Wer, wie der ehemalige Finanz- und Aussenminister Jaswant Singh, nicht parierte, wurde kurzerhand aus der Partei geworfen.
In einer Kampagne, in der nur noch eine Person zählt und das, was sie verkörpert, ist auch das Wahlprogramm der Partei nicht mehr so wichtig. Die erste Wahlrunde war bereits vorbei, als es dem Bürger doch noch nachgereicht wurde. Wer Message Control will, muss auch dieses Nebenprodukt steuern, und Modis Wahlkampfmanager retournierten Entwürfe solange an das von Brahmanen bemannte Redaktionskomitee, bis die alte Riege endlich das Einsehen hatte.
Moderate Töne
Und diese Message war, wie Modis Wahlkampfreden auch, erstaunlich moderat. Saubere Regierungsführung stand im Vordergrund, und Dienst am Bürger, Sicherheit vor Terrorismus, notwendige Wirtschaftsreformen, um die miserable Infrastruktur auf Gujerat-Niveau zu bringen. Auch den Minderheiten (ja, selbst den Muslimen) gebührt Schutz, ebenso wie den Armen und den Dalits.
Stammt nicht Modi selber aus einer tiefen Kaste? Musste er nicht als fliegender Chaiwallah auf Bahnsteigen Tee verkaufen, um den Hunger zu stillen? Ist er nicht ein (politisch) «Unberührbarer», vom liberal-linken Establishment hochnäsig rechts liegengelassen? Kann er sich überhaupt messen – und erst hier wird Modi giftig und scharfzüngig – mit Rahul Gandhi, diesem Kronprinzen, dem der Thron in Delhi bereits in die Wiege gelegt wurde (aus der er sich noch nicht emanzipiert hat)?
Spitzen gegen Muslime und Säkularisten
Nur selten zeigten sich kleine Lecks in dieser linientreuen Selbstdarstellung. Für das Wort «Kronprinz» setzt Modi immer «Shezada» ein, ein Wort in Urdu, der Sprache der Muslime, und damit schwingt mit, dass die Gandhis «Muslim Appeasers» sind, dass die Kongresspartei die islamische Mogulherrschaft des 16. bis 18. Jahrhunderts weiterführt.
Das BJP-Wahlmanifest verspricht, Indien wieder zum Refugium für verfolgte Hindus zu machen. Warum nicht auch Christen, Muslime, Buddhisten – schliesslich ist Indien doch ein säkularer Staat? Seht, antwortet Modi auf diesen Einwand, Säkularismus ist alles, worüber sie sprechen können, während er, Modi, die Alltagsprobleme des Bürgers anspricht.
Aber dies sind Ausrutscher, sagen seine vielen Anhänger, die ich nun immer öfter auch unter Bekannten und Freunden finde. Modi habe sich verändert, aus einem Muslimfresser sei ein Staatsmann und Landesvater geworden; es sei unfair, ihm diesen Läuterungsprozess nicht zuzuerkennen. Oder sind es am Ende doch Ausrutscher, die nur zeigen, dass die Botschaft noch nicht ganz unter Kontrolle ist? Augenblicke, in denen die Maske plötzlich ein bisschen verrutscht?