Das griechische Parlament hat am 25. Januar knapp den Vertrag zur Lösung des Namensstreites mit seinem Nachbarland ratifiziert. Vor der Abstimmung konnte sich die Regierung in einer Vertrauensabstimmung mit einer ganz knappen Mehrheit im Amt halten.
Der kleine Koalitionspartner der regierenden linksradikalen Partei Syriza von Ministerpräsident Tsipras, die rechtspopulistische Anel, hatte angekündigt, diesen Vertrag nicht zu unterstützen. Verteidigungsminister Kammenos war zurückgetreten. Tsipras konnte sich aber durch unabhängige Abgeordnete mit einer hauchdünnen Mehrheit im Amt halten. Er regiert nun mit einer Minderheitsregierung. Nach einer hitzigen Debatte im Parlament und einer Grossdemonstration ratifizierte das Parlament dann den Vertrag von Prespes zur Lösung des Namensstreites mit seinem Nachbarland – ebenfalls mit Unterstützung einiger unabhängiger Abgeordneter.
Damit verzichtet Griechenland gegenüber dem neu „Nordmazedonien“ genannten Land auf das Veto in Bezug auf die Mitgliedschaft in der EU und der NATO. Im Ausland war das Echo auf den Vertrag einhellig positiv. Vermutlich ist auch ein alter strategischer Gedanke wieder da: das Land dürfte dadurch aus dem Einflussbereich Russlands und der Türkei ausscheiden. Der Name Nordmazedonien gilt „erga omnes“, das heisst für innere als auch für äussere Angelegenheiten. In den kommenden fünf Jahren müssen sämtliche amtlichen Dokumente auf den neuen Staatsnamen „Republik Nordmazedonien“ umgeändert werden. Bereits in den kommenden sechs Monaten muss zudem Skopje gewährleisten, dass keine Symbole bzw. Wahrzeichen mehr benutzt werden, die einen Bezug zum antiken Griechenland herstellen. Eine Kommission wird die Schulbücher überprüfen und bei Bedarf Veränderungen durchführen. Gestrichen werden müssen vor allem Passagen, die irredentistisch verstanden werden können. Aus dem Verkehr gezogen werden die bisherigen Pässe. Auch die Autokontrollschilder müssen neu vergeben werden: Anstatt von MK für Mazedonien muss es nun entweder NMK oder NM (beides für Nordmazedonien) heissen.
Was steckt hinter diesem Problem, das hierzulande viele geneigte Leserinnen und Leser als skurril empfinden mögen? Man hat in den letzten 25 Jahren einiges darüber gelesen, aber das Grundproblem wurde kaum richtig thematisiert. Es geht denn auch um mehr als nur um einen Namen.
Das Mazedonienproblem ist eines der vertracktesten der an leidvollen und kriegerischen Auseinandersetzungen reichen Geschichte des Balkans. Es reicht weit zurück; mindestens bis zum Frieden von San Stefano, 1876. Um zu verstehen, was in Griechenland in den letzten Wochen geschah, ist ein grobes Verständnis nötig. Wer hier Position bezieht, kann sich in die Nesseln setzen. Ich habe aber ehrlich versucht, der Situation gerecht zu werden.
Mazedonien inmitten des Pulverfasses Balkan
Auf dem Balkan hatte sich unter römischer Herrschaft im Norden die lateinische und im Süden die griechische Sprache durchgesetzt. Ab dem 6. Jahrhundert liessen sich slawische Stämme nieder, die durch die Apostel Kyrill und Method christianisiert wurden. Der Niedergang der oströmischen Macht ging einher mit einem Machtgewinn des ottomanischen Reiches, das seine grösste Ausdehnung im 19. Jahrhundert erreicht hatte. Auf dem Balkan gab es für lange Zeit eine bedeutungsvolle Grenze, die das ottomanische Reich von der sich im 19. Jahrhundert ebenfalls im Zenit ihrer Macht befindlichen Donaumonarchie schied. Im Südbalkan, ottomanisch beherrscht, gab es keine sauberen ethnischen Strukturen. Der Flickenteppich, der in Jugoslawien bis zu den Kriegen nach dem Zerfall des Kommunismus bestand, war das vorherrschende Strukturprinzip – auch in gewissen Gebieten des heutigen Griechenlands. Die Ottomanen teilten dabei ihre Untertanen nicht nach Volkszugehörigkeit oder Sprache ein, sondern nach Religion. Griechen wurden dabei dem Konstantinopler Patriarchat zugeschlagen, Serben dem Belgrader Patriarchat. Und es gab auch eine Volkgruppe, die dem sogenannten Exarchat zugeschlagen wurde, das sich im bulgarischen Sofia befand und heute Patriarchat von Bulgarien genannt wird. In diesem Durcheinander siedelten aber auch zum Beispiel Albaner und Aromunen. Das Nationalbewusstsein war zunächst nicht bei allen Volksgruppen gleich ausgeprägt, vor allem bei der exarchischen Volksgruppe nicht. Gleichzeitig kann man heute auch schlecht sagen, wer wo welcher Volkszugehörigkeit war. Wer zum Beispiel bei den türkischen Behörden als Muslim registriert war, war nicht unbedingt Türke, er konnte auch Albaner sein.
Heute geht es um die Volksgruppe, die zu ottomanischer Zeit dem Exarchat zugeschlagen wurde. Und es geht um Mazedonien, das zunächst ein geographischer Begriff ist. Zu ottomanischer Zeit hatte sich besagter Flickenteppich über das Gebiet gelegt; heute teilen sich Griechenland, zu einem kleinen Teil Bulgarien und eben das Land, um das es hier geht, dieses Gebiet.
Die Balkankriege und der Erste Weltkrieg
Wie kam das? Die Balkankriege beendeten auf blutige Art die Dominanz des ottomanischen Reiches auf dem Südbalkan. Es entstanden Nationalstaaten, wobei die Grenzziehung willkürlich war, oft nach dem Recht des Stärkeren erfolgte und wiederum auf dem Territorium der neu entstandenen Nationalstaaten unbefriedigte Minderheiten schufen. Im Frieden von San Stefano wurde 1876 praktisch die ganze geographische Region Mazedonien Bulgarien zugeschlagen. Diese Ordnung hatte aber keinen Bestand und wurde ein paar Jahre später am Berliner Kongress revidiert. Die Grossmächte wollten nicht, dass Russland durch seinen Vasallen Bulgarien Zugang zur Ägäis erhielt – die Furcht davor ist also ein alter Gedanke. Die ottomanische Ordnung wurde restauriert. Nun begann aber ein Wettstreit um die Dominanz auf dem Gebiet des geographischen Mazedonien. Ob Dörfer dem Exarchat oder dem Patriarchat zugehörig waren, änderte sich. Oft wurde Druck gemacht, Gewalt eingesetzt; es gab auch Tote. Gewalt wurde zwar von beiden Seite angewendet, dem Exarchat loyale Kräfte waren aber eindeutig aggressiver. 1893 formierte sich die IMRO, eine Terrororganisation. Unter verschiedenen Namen hatte sie einige Jahrzehnte Bestand. In dieser Zeit vor dem Ersten Weltkrieg tauchte denn auch erstmals das Adjektiv „mazedonisch“ im Zusammenhang mit den slawischsprachigen Bewohnern der geographischen Region Mazedonien auf, allerdings erst einmal zusammen mit dem Adjektiv „bulgarisch“.
Das Pulverfass Balkan war entstanden. In den dem Ersten Weltkrieg vorangehenden Balkankrisen und im Ersten Weltkrieg versuchte Bulgarien wiederum, sich grosser Teile Mazedoniens zu bemächtigen und abermals einen Zugang zur Ägäis zu erhalten. Dieser Versuch scheiterte und Bulgarien erlitt eine bittere Niederlage. In dieser Zeit entstand Griechenlands Nordgrenze, wie sie heute noch besteht. Das neu entstandene Jugoslawien hatte sich grosse Gebiete bis zur griechischen Grenze einverleibt. Die Volksgruppe auf seinem Territorium, die dem Exarchat zugehörig war, wurde kurzerhand dem Belgrader Patriarchat zugeschlagen.
Der Konflikt wird eingefroren
Kurzfristig diente dies Griechenland, denn die Unzufriedenheit der Bevölkerung und der Terror der IMRO im nun jugoslawischen Teil Mazedoniens richtete sich gegen das serbisch dominierte Jugoslawien. Griechenland war zunächst nicht mehr im Fokus und die Bevölkerungszusammensetzung in Nordgriechenland änderte sich, weil eine riesige Anzahl von Flüchtlingen aus Kleinasien im griechischen Mutterland angesiedelt werden musste – auch im Norden. Für die verbleibende slawische Bevölkerung in Nordgriechenland entstand dadurch ein starker Assimilierungsdruck.
In der Zwischenzeit tauchten erstmals Referenzen auf, die sich auf die „mazedonische Sprache“ bezogen. Gemeint ist die Sprache, die die Bulgaren als bulgarischen Dialekt und die Serben als Südserbisch bezeichneten. Der deutsche Slawist Thede Khal sagt, dass man zwar die These vom bulgarischen Dialekt vertreten kann. Politisch steht diese Meinung aber auf verlorenem Posten. Bulgarien hat das schon in den Neunzigerjahren anerkannt. In den jüngsten Verhandlungen um das Abkommen, das das griechische Parlament nun ratifiziert hat, konnte auch Griechenland nicht mehr darauf bestehen, dass es eine mazedonische Sprache nicht gibt. Immerhin gab es schon vor und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg offizielle griechische Dokumente, die sich explizit darauf bezogen. Für die Kritiker des Abkommens ist das ein grosser Minuspunkt.
Griechenland trat in den Zweiten Weltkrieg ein, indem es ein italienisches Ultimatum ablehnte. Dem Land gelang es aber überraschend, die italienische Invasion zurückzuwerfen. Das Deutsche Reich musste zu Hilfe eilen und dieser zweiten Invasion war Hellas nicht mehr gewachsen. Das rief wiederum die mit den Achsenmächten verbündeten Bulgaren auf den Plan, die sich erneut einen Zugang zur Ägäis verschafften und grosse Teile Nordgriechenlands besetzten. Bulgarien setzte dabei auf Kader der IMRO, die vielerorts die Bürgermeister und weiteres administratives Personal stellte. Ein Teil der slawischsprachigen Minderheit, die vorwiegend in Nordwest-Griechenland ansässig war, bildete militante Gruppierungen. Diese kämpften entweder auf Seiten der Achsenmächte oder waren kommunistisch geprägt. Diese Gruppierungen verfolgten zwar gegensätzliche Ideologien, erstrebten aber beide die Trennung des makedonischen Territoriums von Griechenland und seinen Anschluss an Bulgarien oder Jugoslawien.
Nach dem Rückzug der Achsenmächte wurden die Vorkriegsgrenzen wiederhergestellt. In Griechenland brach aber ein Bürgerkrieg zwischen kommunistischen und royalistisch-bürgerlichen Kräften aus.
In Jugoslawien wurde 1944 die sechste Teilrepublik der jugoslawischen Föderation ins Leben gerufen. Deren Grenzen entsprachen genau dem mit dem Vertrag jetzt umgetauften Nordmazedonien. In dieser Zeit begann die jugoslawische Führung bewusst, eine mazedonische Nationenbildung zu betreiben. So gelang es im Gegensatz zur Zwischenkriegszeit, die Gegend vorerst zu befrieden. Gleichzeitig gab es aber Andeutungen von titoistischer Seite, wonach das griechische Mazedonien, inklusive Thessaloniki, eigentlich zu Jugoslawien gehören sollten. Griechenland war damals schwach und gespalten und konnte vorerst nicht adäquat auf diese irredentistischen Strömungen reagieren.
1949 wurde die Niederlage der Kommunisten im Bürgerkrieg besiegelt und Angehörige der slawischsprachigen Minderheit, die sich in grosser Zahl im Bürgerkrieg exponiert hatten, verliessen Hellas. Während der ideologischen Konfrontation zwischen Ost und West im Kalten Krieg wurde auch der Mazedonienkonflikt für ein halbes Jahrhundert „eingefroren“ –, um dann mit umso grösserer Schärfe wieder aufzubrechen.
Ein neues Land entsteht
Als Jugoslawien zerfiel, erklärte die Sozialistische Republik Mazedonien ihre Unabhängigkeit und nannte sich bis zum jetzigen Vertrag Mazedonien. An diesem Punkt flammte der Konflikt wieder in ungeahnter Schärfe auf. Griechenland sieht den Namen Mazedonien als historisch nicht gerechtfertigt an, da die Geschichte des antiken Makedoniens ein Teil der griechischen antiken Geschichte ist, und zu diesem Zeitpunkt keine Slawen in der Region wohnten. Zusätzlich wird argumentiert, dass ein grosser Teil des jungen Staates nie Teil der historischen Region Makedonien gewesen sei. Die Bezeichnung Mazedonien für einen slawisch dominierten Staat wird im Zusammenhang mit den Ereignissen des blutigen griechischen Bürgerkrieges und als kommunistische Erfindung angesehen.
Die junge Republik argumentierte, dass die Bezeichnung Makedonien mindestens seit dem 19. Jahrhundert für die ganze Region üblich sei, und dass sich die slawischsprachigen Bewohner der Region auch mindestens ebenso lang als Mazedonier bezeichnen.
Einer der Gründe für das Aufflammen des Konfliktes war die Verfassung: Diese erklärte, dass sich die Republik für den Status und die Rechte der Mazedonier in den Nachbarländern einsetzt. Dieser Artikel verpflichtete die Republik, alle Mazedonier in ihrer kulturellen Entwicklung zu fördern und ihre Bindungen an die alte Heimat zu fördern. Griechenland erinnerte sich an die Zeit des Bürgerkriegs und die aggressive bulgarische Politik und interpretierte dies als Ermutigung zum Separatismus und befürchtete potenzielle territoriale Ansprüche. Gleichzeitig wählte die junge Republik den Stern von Vergina als Staatsflagge. Dieses Symbol des antiken, griechischen Mazedoniens wurde in den Achtzigerjahren bei Ausgrabungen in Griechenland entdeckt und korreliert mit Makedonien aus der antiken Zeit. Zu Recht fasste Griechenland dies als Provokation auf, denn slawische Mazedonier haben mit dem antiken griechischen Mazedonien Alexander des Grossen keine historische Kontinuität aufzuweisen. Treibende Kraft war die IMRO, die sich nun VMRO nennt, seit der Einführung des Mehrparteiensystems bis heute im Parlament von Skopje einen stark nationalistischen Kurs fährt und oft die Regierung stellte.
Ministerpräsident Kostas Mitsotakis von der Nea Dimokratia (ND) verhandelte darauf mit der jungen Demokratie. Eine Lösung lag auf dem Tisch, aber Mitsotakis stürzte über seinen Parteikollegen Antonis Samaras, der die Einigung hintertrieb. Deshalb wurde diese Vereinbarung nie umgesetzt. Skopje erklärte aber, dass es keine territorialen Ansprüche gegenüber den Nachbarstaaten hat. Ebenso änderte es seine Flagge. Seit dieser Zeit wird hüben wie drüben der Konflikt dazu benutzt, dem politischen Gegner zu schaden und die Volksseele zum Kochen zu bringen – wie jüngst wieder bei der Grossdemonstration in Athen. Die Chancen einer Verständigung und die Risiken des Status quo werden kaum gesehen, die Risiken eines Kompromisses hingegen schon. Kompromissfähigkeit wird auf dem Balkan immer noch allzu oft als Schwäche gesehen. Beliebt sind Politiker, die aufs Ganze gehen. Hinzu kommt bei den Griechen nicht selten ein Überlegenheitsgefühl, das das Verständnis für die Gegenseite und eine Kompromisssuche ebenfalls erschwert.
Die wie oben gezeigt lange verfeindeten Länder Griechenland und Bulgarien hatten sich schon während des Kalten Krieges unter Konstantinos Karamanlis versöhnt. Der Mazedonienkonflikt schwelte aber seit 1993 weiter. Die Berufung slawischsprachiger Mazedonier auf das antike griechische Erbe, zum Beispiel die Benennung des Flughafens von Skopje nach Alexander dem Grossen im Jahr 2007 war für die Griechen dann die ultimative Provokation – und das ist verständlich.
Ausflug ans Ende der Welt und der erfolgreiche Lösungsversuch
Erst der sozialdemokratische Ministerpräsident Zoran Zaev und sein griechischer Amtskollege Tsipras unternahmen wieder einen Lösungsversuch, der schliesslich erfolgreich war.
Psarades ist ein kleines Dorf an den Prespes-Seen am Dreiländereck Griechenland, Albanien und Nordmazedonien, wie ja jetzt dieses Land offiziell heisst. Ich war einmal dort. Es gibt einen wunderschönen Sandstrand, wunderbares klares Seewasser, gute Tavernen und pittoreske Dörfer in der Gegend – aber keine Leute. Die Grenze war damals praktisch tot. Touristen gab es keine und die Dörfer waren überaltert. Überall sah man verrammelte Fenster an Häusern, die verlassen waren, weil weder die Scholle noch die Wirtschaft die Menschen ernähren konnte. Man hatte den Eindruck, am Ende der Welt zu sein. Mutterseelenallein war ich am Strand und ich hatte den ganzen See für mich, als ich darin schwamm und meine Kreise zog. Das könnte sich nun ändern. Denn genau in dieser Ecke haben die Ministerpräsidenten Zaev und Tsipras letzten Sommer den Vertrag von Prespes unterzeichnet, der nun ratifiziert ist und in Kraft treten kann.
Der Vertrag beinhaltet die Verpflichtung Nordmazedoniens, diesen neuen Namen in offiziellen Dokumenten für alle Zwecke zu verwenden und das so in die Verfassung des Landes zu schreiben. Das ist in der Tat ein fairer Kompromiss, weil es einen klaren geographischen Unterschied zur griechischen Region Mazedonien schafft. Gleichzeitig wäre es unrealistisch von Griechenland, nach so langer Zeit auf einem Namen zu bestehen, der nicht mindestens das Wort Mazedonien enthält. Dies hätte jede Vereinbarung verunmöglicht. Die Wahl des Namens „Slawomazedonien“ oder ähnlich verbot sich wegen der zahlenmässig starken albanischen Minderheit im Land.
In anderen Bereichen zeigt der Vertrag, dass der kleinste gemeinsame Nenner manchmal schwer zu vermitteln ist. Die Nationalität der Bürgerinnen und Bürger muss nun in allen Reisepapieren als „mazedonisch/Bürgerin/Bürger der Republik Nordmazedonien“ bezeichnet werden. Das ist zwar ein juristischer Murks, es dürfte aber funktionieren.
Wie oben erwähnt, bezeichnet der Vertrag die Sprache als „Mazedonisch“. Tatsächlich präzisiert der Vertrag aber, dass es sich hier um eine slawische Sprache handelt, die mit der antiken Geschichte und Kultur in keinem Zusammenhang steht. Für den Rest der Welt sind aber Menschen, die „Mazedonisch“ sprechen, automatisch „Mazedonier“ und der neue Ländername Nordmazedonien dürfte es schwierig haben, sich im täglichen Sprachgebrauch durchzusetzen. Aus griechischer Sicht ist das ein grosser Nachteil des Vertragswerkes.
An sich ist der Vertrag im Unterschied zum Entwurf von 1993 sehr detailliert und versucht, alle Streitpunkte ein für alle Mal zu regeln. Nordmazedonien musste nicht nur seinen Namen und seine Verfassung ändern, sondern muss auch aus allen offiziellen Dokumenten, Schulbüchern und dergleichen sämtliche irredentistischen Tendenzen und Verweise auf die Antike tilgen. Diese Bestimmung sollte solchen Tendenzen einen Riegel schieben. Griechenland hat hingegen erklärt, es würde sein Veto gegenüber einem Nato-Beitritt und gegenüber der Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen aufgeben.
Und hier liegt für beide Länder der grosse Vorteil der Vereinbarung. Eine Normalisierung der Beziehungen und eine allfällige EU-Mitgliedschaft des Landes dürfte in der Region wirtschaftliche Impulse auslösen, Jobs schaffen und könnte vielleicht sogar die Abwanderung stoppen. Vielleicht wird es bald einmal an der Grenze zwischen Griechenland und Nordmazedonien öfters so geschäftig zu- und hergehen wie am Tag der Unterzeichnung des Prespes-Vertrages. Und vielleicht werden die Besucher des Sees den Strand und das Wasser bald nicht mehr für sich allein haben. Wünschbar wäre es.
Der Vertrag zeigt aber noch etwas anderes. Manchmal ist es klüger, einen schmerzhaften Kompromiss zu schliessen, als ein Problem auf die lange Bank zu schieben. In den Jahren nach 1989 löste sich die Ordnung des Kalten Krieges auf. Auch der Balkan wurde völlig neu geordnet. Der grosse Abwesende dabei war Griechenland. 1989/1990 fanden zwei Parlamentswahlen mit unklarem Resultat statt. 1989 wurde das Land von einer konservativ (ND)-kommunistischen (KKE) Koalition regierten, deren einzige Gemeinsamkeit der Hass auf die Sozialisten (PASOK) war, die sie gemeinsam aus dem Sattel gehoben hatten. 1990 bis 1993 regierte eine ND-Minderheitsregierung. Unstabil und mit Mehrheiten ad hoc gelang es Mitsotakis trotzdem, praktisch die Legislatur auszuschöpfen. Aussenpolitisch konnte er aber keine grossen Stricke zerreissen. Gerade in dem Zeitpunkt, wo man auf dem Balkan etwas hätte gestalten können, war Griechenland mit sich selbst beschäftigt. In der gleichen Zeit rollte Österreich die ehemaligen Kronländer auf und kaufte zum Beispiel grosse Teile des Bankensystems dieser Länder zusammen.
Unverständnis für diesen Konflikt
Griechenland ist zwar heute auf dem Südbalkan aktiv, aber dieses Engagement steht in keinem Verhältnis zu den Möglichkeiten, die sich geboten haben. Wie oben erwähnt, gab es 1993 einen heute weitgehend vergessenen ersten Versuch, den gordischen Knoten zu lösen. Damals stimmten Mitsotakis und seine Verhandlungspartner zwar einem zusammengesetzten Namen zu – Nova Makedonija – aber eine makedonische Sprache und Nation war im Vertrag nicht vorgesehen. Diese Punkte wurden bewusst offengelassen. Der Vertrag war überhaupt viel weniger detailliert und regelte nur die Grundsätze. Was blieb von diesem Versuch war die Tatsache, dass das heutige Nordmazedonien nur unter dem provisorischen Namen „Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien (FYROM)“ in die UNO aufgenommen wurde. Seit 1993 hat aber Griechenland viel verpasst auf dem Balkan. Spät, aber immerhin: jetzt ist eine Lösung da. Und in Zukunft würde sich die Verhandlungsposition Athens weiter verschlechtern, denn ob sich das Veto gegen die Natomitgliedschaft und EU-Beitrittsverhandlung ad libitum hätte halten lassen, ist meines Erachtens fraglich. Deshalb war es meiner Ansicht nach ein weiser Entscheid, jetzt diesen Vertrag abzuschliessen. Es liegt in der Natur des Kompromisses, dass beide Länder von ihren Maximalforderungen abrücken mussten. Unverständlich ist es aber, dass der Sohn von Kostas Mitsotakis, der heutige Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis, nicht in die Fussstapfen seines Vaters getreten ist und die heutige Vereinbarung hintertrieb. Immerhin ist der Verrat von Antonis Samaras aus dem Jahr 1993 immer noch eine schwärende Wunde in der Familie Mitsotakis. Schon deshalb sehe ich im Moment keine Alternative zu Ministerpräsident Tsipras.
Viele westeuropäische Kommentare sind geprägt von Unverständnis für diesen Konflikt. Sie fragen sich, wie man sich über ein derartiges Thema so ereifern könne. Man kann so argumentieren, wenn man von der Schweiz kommt, einem Land, das seit vielen Jahrhunderten in den gleichen Grenzen lebt und vor 200 Jahren in den letzten Krieg gezogen wurde. Vor dem Hintergrund der leidvollen Erfahrungen des Balkans ist der Konflikt aber allzu verständlich. Seien wir froh, dass er gelöst wird und hoffen wir auf gute Zusammenarbeit der beiden Länder!