US-Präsident Joe Biden macht sich Sorgen – er möchte einen Flächenbrand im Nahen und Mittleren Osten verhindern, macht aber Äusserungen, die, einmal milde ausgedrückt, widersprüchlich sind. Er sei dagegen, dass Israel die atomaren Anlagen in Iran angreife, aber was Attacken auf die iranischen Ölraffinerien betrifft, denke er darüber nach, sagte er. Dann schob er nach, er sei der Meinung, Israel sollte sich «andere Alternativen» überlegen, wie es auf die Raketen- und Drohnenangriffe aus Iran vom Dienstag reagieren könne. Und zuletzt, am Freitag, sagte er, Israel müsse «viel vorsichtiger sein».
Was lösen solche Aussagen in der Konfliktregion aus, welchen Eindruck machen sie? Die Erfahrung hat gezeigt, dass Israels Premier Netanjahu sich nicht um ermahnende Worte aus Washington kümmert – Bidens «Drohungen» im Frühjahr, die USA würden es nicht bei Worten bewenden lassen, wenn Israel im Gazastreifen dort die südlichste Stadt, Rafah, bombardieren würde, blieben wirkungslos (die USA stoppten dann, als Reaktion, die Lieferung von Bomben, dies aber nur für wenige Wochen, dann kehrte man zum Courant normal zurück). Auch die warnenden Worte an die Adresse Israels vor der Eskalation gegenüber dem Hisbollah respektive Libanon verhallten ungehört.
In westlichen Medien gibt es zwei diametral entgegengesetzte Sichtweisen: Die einen warnen vor einem Flächenbrand, der die ganze Region ins Chaos stürzen werde – andere erkennen in der Eskalation der letzten Tage eine Chance für einen grundsätzlichen, positiven Umbruch. Leitartikel in der NZZ und der Frankfurter Allgemeinen weisen in diese Richtung. In beiden Medien wird auf 1967, auf den Sechstagekrieg und dessen Folgen verwiesen. Nur: Von der Chance, dass die Karten in der Region grundlegend neu gemischt würden, fantasierten westliche Politiker schon bei anderen Gelegenheiten, nach 2001 (Al-Qaida-Attacke vom Nine-eleven in den USA), als erst die USA, später die Nato, in Afghanistan eingriffen – und 2003, als US-Präsident George W. Bush, eifrig unterstützt vom britischen Premier Tony Blair, den Krieg im Irak entfachte.
Wie verhalten sich die anderen Staaten in der Region?
Die Resultate, in beiden Fällen: katastrophal. Nach 20 Konfliktjahren in Afghanistan ergriffen die westlichen Mächte förmlich die Flucht aus Afghanistan und überliessen das Land den Taliban-Extremisten. Irak versank nach dem Krieg von 2003 in einem Chaos, das, u. a., zur Ausbreitung der mörderischen Macht der Terror-Extremisten des «Islamischen Staats» (IS) führte. Die Folgen sind bis heute nicht überwunden: Irak, dank gewaltiger Erdölressourcen theoretisch unermesslich reich, kämpft immer noch gegen Armut und ist nicht einmal in der Lage, auf seinem Staatsgebiet aus eigener Kraft Sicherheit und Ordnung zu schaffen. Die Regierung in Bagdad musste sich daher entschliessen, die ungeliebten pro-iranischen (und mehrheitlich von Iran finanzierten) Milizen in der Grössenordnung von 100’000 Mann in die eigenen Streitkräfte zu integrieren.
Wenn US-Präsident Joe Biden oder Israels Premier Netanjahu von Iran und der Notwendigkeit von militärischen Schlägen sprechen, wirkt das immer so, als ginge diese Feindschaft, als gingen die gegenseitigen Drohungen all die anderen Länder in der Region nichts an. Nur: Zwischen Israel und Iran liegen Syrien, Jordanien, Irak, Saudi-Arabien und die Arabischen Emirate. Flugzeuge, Raketen, Drohnen der einen oder anderen Seite würden diese Staaten überqueren, das heisst, sie würden (sagen wir besser schon: sie werden?) sie zumindest indirekt, wenn nicht treffen, so doch betreffen. Was zur Frage führt: Wie verhalten sich die betreffenden Regierungen in diesem Fall, würden/werden sie sich einmischen?
Syrien schweigt – ist Jordanien ein Helfeshelfer Israels?
Das syrische Regime? – hüllt sich in Schweigen. Diktator Asad zeigt keinerlei Lust, sich zugunsten des Hisbollah zu engagieren –, obschon er der libanesischen Miliz zu einem guten Teil seine militärischen Erfolge im 13-jährigen Kampf gegen die teils islamisch-fundamentalistische, teils demokratische Opposition verdankt. Auch auf punktuelle Luftangriffe Israels gegen militärische Objekte auf syrischem Boden reagiert er nicht. So dürfte er sich auch verhalten, wenn israelische Flugzeuge, Raketen oder Drohnen das Gebiet Syriens mit Zielen in Iran überqueren.
Jordanien handelt anders: Im April, als iranische Flugkörper mit Zielen in Israel (eine Vergeltung auf die von Israel durchgeführte Ermordung eines Generals und dessen Stellverrtreter im Gebäude der iranischen Botschaft in Damaskus) jordanisches Territorium überquerten, trat die Luftabwehr des Königreichs in Aktion und fing einige Geschosse ab. Das Gleiche vollzog sich jetzt, als am Dienstag die iranischen Raketen Jordanien überflogen. Was in der Bevölkerung des Landes prompt die Frage aufwarf, ob und in welchem Ausmass die Regierung zum Helfershelfer Israels geworden sei. Die Obrigkeit konterte: Das taten wir nur, um unser eigenes Staatsgebiet zu schützen. Aber schon oberflächliche Recherchen zeigten: Jordanien handelte auf Anweisung des US-amerikanischen Strategie-Zentrums Centcom, stationiert in Katar, das den Israeli bei der Abwehr der iranischen Attacke half.
Irak hält sich heraus – Saudi-Arabien ist «neutral»
Was aber ist mit Irak und Saudi-Arabien? Der irakische Premier, Mohammed Shia al-Sudani, habe bei «Dutzenden von Treffen» mit Militärkommandanten und Vertretern der (ins Militär integrierten) Milizen diskutiert und sei zum Beschluss gekommen, dass Irak sich aus dem Konflikt heraushalten werde, schreiben nahöstliche Medien.
Was Saudi-Arabien betrifft, wird es komplizierter: Mitglieder der Regierung, etwa Aussenminister Prinz Faisal bin Farhan, betonte noch diese Woche in einem Interview mit der Financial Times, «die Schaffung eines eigenständigen Staats Palästina ist eine Voraussetzung für Frieden», vermied es aber in diesem Zusammenhang, nur ein einziges Wort zum Konflikt zwischen Israel und Iran zu äussern. Von Kronprinz Mohammed bin Salman anderseits ist eine Aussage des Inhalts überliefert, «persönlich» sei ihm die palästinensische Frage egal, aber weil er wisse, dass das Volk anders denke, engagiere er sich für eine Zweistaaten-Lösung und weigere sich, mit Israel Beziehungen aufzunehmen, so lange keine klare Perspektive für diese Lösung erkennbar sei. Und was Iran betrifft: Da befindet sich Saudi-Arabien in der Zwickmühle: Die islamische Republik bleibt ein Rivale, aber gleichzeitig ein zwar schwieriger, aber unverzichtbarer Nachbar. Durch die Vermittlung Chinas haben die beiden Länder wieder gegenseitige Beziehungen aufgenommen, und Saudi-Arabien erteilte, erstmals seit Jahren, wieder Permits für Iranerinnen und Iraner für die Pilgerfahrt nach Mekka.
Sollten demnächst israelische Flugzeuge und Raketen saudisches Territorium mit Zielen in Iran überqueren, dürften die Saudis sich, aufgrund der komplexen Interessenslage, neutral verhalten, also: Augen und Ohren zu und durch.