Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat einen Pflichtdienst für junge Menschen ins Gespräch gebracht. Es gibt reflexartigen Widerspruch, aber auch Zustimmung. Eine Debatte lohnt sich in jedem Fall.
Im Jahr 2011 wurde in Deutschland die Wehrpflicht Hals über Kopf abgeschafft. Schon vorher war der Wehrdienst mehr und mehr abgemildert worden, und weil die Bundeswehr sowieso viel zu wenig Geld hatte, waren die Verantwortlichen froh, sich den Aufwand für die Wehrpflichtigen sparen zu können.
In Zeiten der Hightech-Kriege stellt sich das Thema der Wehrpflicht anders als früher. Es kommt weniger auf die Quantität als auf die Qualität an. Aus Sicht des Militärs dürfte eine neue allgemeine Dienstpflicht aber den Vorteil haben, dass es leichter an diejenigen herankäme, die für die heutigen Anforderungen geeignet sind. Aber das ist nur ein Gesichtspunkt bei Steinmeiers Anregung, neu über einen Pflichtdienst für Frauen und Männer gleichermassen nachzudenken. Er meint, dass es jungen Menschen gut täte, einmal in einem völlig anderen Umfeld Erfahrungen zu sammeln. Allerdings ist das mit einem massiven zeitweiligen Eingriff in die Freiheit der Lebensgestaltung verbunden.
Ein solcher Eingriff steht unter einem hohen Rechtfertigungsdruck. Die Aufgaben, die erfüllt werden sollen, müssen unabweisbar wichtig sein. Und es muss auch plausibel gemacht werden, dass es ohne die zeitweilige Verpflichtung zu diesen Diensten nicht geht. Es genügt nicht, den jungen Leuten zu versichern, dass es ihnen gut täte, einmal aus «ihrer Blase», wie Steinmeier sagt, herauszukommen. Und es ist kein Automatismus, dass «Vorurteile abgebaut» und «der Gemeinsinn gestärkt» wird, wie Steinmeier sich das erhofft. In diesen Schwierigkeiten liegt aber die interessante gesellschaftliche Herausforderung.
Denn der Staat hat sich in den vergangenen Jahren mehr und mehr zu einer Umverteilungsmaschine entwickelt, deren vornehmste Aufgabe darin besteht, möglichst viele Härten des Lebens abzufedern. Politiker haben sich angewöhnt, ihre Wähler nicht mehr als Bürger, sondern primär als Konsumenten anzusprechen. Dazu werden die Staatsschulden immer weiter nach dem Motto ausgeweitet: «Lebe jetzt, zahle später.»
Die Einführung einer Dienstpflicht wäre ein Paradigmenwechsel. Dabei würden jungen Menschen Härten zugemutet. Dazu genügt es nicht, auf die Erfahrung zu verweisen, dass mancher Rekrut und Ersatzdienstleistender, wie es sie früher gab, rückblickend seine Dienstzeit als bereichernd bezeichnet. Der Staat ist keine pädagogische Anstalt, sondern eine Institution, die zu ihrem Funktionieren und ihrer Erhaltung auch Forderungen stellen kann und muss. Er muss hieb- und stichfest begründen können, warum er seinen jüngeren Bürgern etwas abverlangt, das zeitweilig tief in ihre Freiheit eingreift.
Dazu werden aber Politiker gebraucht, deren Horizont weiter als die jüngsten Umfrageergebnisse reicht und die glaubwürdig Aufgaben benennen können, für die Kraft und Mut junger Menschen dringend benötigt werden. Die Anregung, die Frank-Walter Steinmeier gegeben hat, ist auch eine Aufforderung an die Gesellschaft, über sich selbst nachzudenken.