„Das Schiff fährt in den Hafen/wohl in Batavia./ Mit Mädchen muss man schlafen, /wozu sind sie sonst da!“
„Du sagtest viel, Johnny /Kein Wort war wahr, Johnny /Du hast mich betrogen Johnny, /Johnny in der ersten Stund /Ich hasse dich so, Johnny /Wie du dastehst und grinst, Johnny /Nimm die Pfeife aus dem Maul, du Hund. /Surabaya-Johnny, warum bist du so roh? /Surabaya-Johnny, mein Gott, ich liebe dich so.“
Brechts Sehnsuchtswelt
So dichteten sie, Deutschlands Dichter, fröhlich von einer Welt, die sie nie gesehen haben. Keiner der beiden, weder Kurt Tucholsky noch Bertolt Brecht, besuchte jemals die „Schmetterlinge“ – wie die Schönen der Nacht in Java genannt werden – in Surabayas legendärem Rotlichtbezirk „Gang Dolly“, wohin sich Surabaya-Johnny verirrt zu haben scheint. Hinter der Ironie der Poesie scheint sich Fernweh nach jenen paradiesischen Regionen mit ihren schattigen Palmenhainen, den kühlenden Brandungen, weiten Stränden, milden Temperaturen, wohlriechenden Nelkenblüten, Muskatnüssen oder Zimtstangen und vor allem nach den so vielfach gerühmten zierlichen, sanften und ewig lächelnden Frauen zu verbergen.
Immer wieder kam Brecht in seinem umfangreichen Werk – wenngleich oft recht zusammenhanglos – phantasievoll auf diese Inselwelt zurück, so etwa in seinem Gedicht „Tahiti“, einer gerne ähnlich sehnsuchtsvoll gepriesenen Insel, die ein ganzer Ozean von dem „Taifun bei Java!“ trennte. Oder in der Geschichte vom „Javameier“, einem Ingenieur, der „seinerzeit beim Brückenbau auf Java tätig“ gewesen war.
Wissenschaftler, Linguisten…
Deutschlands Dichter, Denker und Wissenschaftler waren fasziniert von den geheimnisumwitterten fernöstlichen Inseln des indonesischen Archipels. Wilhelm von Humboldt, der Bruder Alexanders, sprach nicht nur Griechisch, Latein Französisch, Englisch, Italienisch, Spanisch, Baskisch, Ungarisch, Tschechisch, Litauisch. Er studierte auch, ohne die Länder jemals besucht zu haben, Mandarin, Japanisch, Sanskrit und verfasste ein dreibändiges Werk über die alte, ostjavanische Kawischrift, in der einst die religiösen, in Javanisch oder Altsundanesisch verfassten Texte buddhistischer und hinduistischer Zentren geschrieben worden waren.
Der in Heilbronn geborene Sanitätsoffizier und spätere Revolutionär (1848) Robert Mayer entwickelte während eines zweijährigen Aufenthalts auf Java das „Gesetz von der Erhaltung der Energie“: „Bei Aderlässen hatte das Venenblut eine dem arteriellen Blute ähnliche rote Färbung. Woher sollte dies rühren? Woher anders als dass bei dem sehr verminderten Bedürfnisse der organischen Wärmeerzeugung sich das arterielle Blut wesentlich weniger desoxydiert als in kühlerer Umgebung. Die physiologische Lehre, dass die tierische Wärme lediglich aus einem Verbrennungsprozess resultiert, erhält also durch die angegebene Erscheinung eine augenfällige Bestätigung.“
Der größte unter all den deutschen Wissenschaftlern und Entdeckern, die in der Region forschten, war zweifellos der Arzt, Botaniker, Geologe, Paläontologe, Mineraloge, Vulkanologe, Ethnologe, Meteorologe und Landvermesser Franz Wilhelm Junghuhn, der „Humboldt von Java“. Nach turbulenten Jugendjahren nahm der 1812 in Mansfeld geborene Junghuhn dreiundzwanzigjährig das Angebot der holländischen Regierung an, als „Offizier van Gezondheit“ nach Java zu gehen.
Das Ergebnis seiner ausgedehnten Forschungsreisen durch Java und Sumatra waren zahlreiche Veröffentlichungen, eine umfangreiche Sammlung der von ihm gefundenen fossilen Konchylien und Pflanzen und ein Herbarium, das 1851 in Leiden unter dem Titel „Plantae Junghuhnianae“ herausgegeben wurde. Er pflanzte in Java den Cinchonarindenbaum an, aus dessen Rinde Chinin gewonnen wird, ein Medikament gegen Malaria und Fieber. Er befasste sich mit der Topographie des Landes, mit Geologie und Vulkanologie.
Gleichzeitig notierte er detailliert ethnologische Beobachtungen. Zu mitternächtlicher Stunde hatte er zusammen mit seinen einheimischen Begleitern einen Tiger erlegt, der eine Ziege seiner Gastgeberin erbeutet hatte. „Frauen und Kinder waren besonders befangen in dieser Furcht, denn sie blieben alle in sicherem Abstand stehen. Nur die Witwe, vor deren Tür wir das Tier geworfen hatten, lief schnell herbei. Ihr langes schwarzes Haar war aufgelöst und hing ihr rundum über die Schultern, wie bei fast allen Frauen, die nun hier standen. Der Oberkörper der Witwe war wie gewöhnlich nackt bis auf den Sarong, der um ihre Lenden geschlagen war. Sie richtete ihre funkelnden, stieren Augen unbeweglich auf das Tier und schrie: ‚Das ist der Tiger, der meinen armen Mann gefressen hat, und der auch die Ziege geholt hat!‘ Sie schrie mit schneidend-lauter, heulender Stimme und warf sich mit einer Art Gebrüll auf den Leichnam des Tieres, schlug ihre Hände in die Wunden, wühlte darin herum, färbte sich mit Blut, packte ihn beim Kopf, schlug auf seine Augen ein, biss ihn ins Fell, sprang zähnefletschend, fäusteballend auf und warf sich von neuem mit wildem, unartikuliertem Wutgeschrei auf das Tier. Bald wurden auch die anderen Weiber von der Wut angesteckt, selbst die Kinder kamen, einer verdrängte den anderen, um den Tiger zu schlagen, zu treten, zu zerfleischen oder wenigstens seine Füße im Blut zu baden.“
…Künstler und Dichter
Ein weiterer deutscher Auswanderer, den die ostindische Inselwelt unwiderstehlich angezogen hatte, war der in seiner Heimat nahezu vergessene Künstler, Maler, Musiker, Komponist und Filmemacher Walter Spies, der von 1930 bis 1942 auf Bali lebte. Er bildete sich autodidaktisch zum Ethnologen, Naturforscher, Konservator und Archäologen aus. Neben seinen zahlreichen Tätigkeiten verfasste er ein Wörterbuch der balinesischen Sprache, schrieb die Lieder und Legenden der Balinesen auf, studierte ihre Tänze, Zeremonien, erforschte die Gamelanmusik Javas und Balis, erfand Choreographien und gab Vicki Baum wichtige Hinweise für ihren Welterfolg „Liebe und Tod auf Bali“.
Im Vorwort dankte Vicki Baum einem „Dr. Fabius“, der niemand anders als Walter Spies war, für seinen Anteil am Gelingen des Buches: „Er galt in Bali als ein Sonderling und als unvergleichlicher Kenner des balinesischen Wesens. Er überließ mir einen Koffer mit Manuskripten, Tagebuchblättern und Aufzeichnungen. Ein Brief lag bei, in dem Doktor Fabius mich in ein paar ziemlich ironischen Sätzen dazu ermächtigte, Ordnung in die Konfusion von Manuskripten zu bringen – ‚woran mich meine balinesische Faulheit immer gehindert hat‘, wie er schrieb – und zu veröffentlichen, was ich dessen für wert halten möchte. Liebe und Tod auf Bali ist das Buch, das ich aus diesen Manuskripten herausschälte, nachdem ich versucht hatte, Überflüssiges und zu Verstricktes wegzulassen.“ Jahre später erklärte Vicki Baum in einem Interview, Spies habe die Entstehung des Manuskripts Seite für Seite überwacht und überall dort, wo ihre „Beschreibungen nicht mit den balinesischen Sitten und Traditionen in Einklang standen, die richtige Lösung vorgeschlagen.“
Der Linguist und Indologe Heinrich Zimmer, dem im Zuge der nationalsozialistischen Rassegesetze der Lehrstuhl für Indologie in Heidelberg „wegen nichtarischer Versippung“ entzogen wurde (Er war mit Hugo von Hofmannsthals Tochter Christiane verheiratet.), erforschte den buddhistischen Tempelberg Borobudur in Zentraljava und widersprach in seinem Werk „The Indian Art of Asia“, das 1955 in Princeton erschien, mit seiner ausführlichen Beschreibung der Anlage fachmännisch Goethes abfälligem Urteil über die „indische“ Kunst, der in einem Brief an August Wilhelm von Schlegel geschrieben hatte: „Kann ich der indischen Kunst, insofern sie plastisch ist, nicht günstig sein, da sie die Einbildungskraft, anstatt zu sammeln und zu regeln, zerstreut und verwirrt.“
Wie kaum anders bei dem vielseitig Interessierten zu erwarten, finden sich in den Registerbänden der Werke Johann Wolfgang Goethes zahlreiche Angaben, die Bezug nehmen auf Ostindien, Java oder Batavia. Und anders als seine oben zitierten Dichterkollegen, fabulierte der Frankfurter Polyhistor nicht nur, sondern bemühte sich neugierig, seine Kenntnisse über den Archipel ständig zu erweitern.
Zwar erwähnte der 34jährige Dichter die Region schon 1783 in dem Lustspiel „Der Bürgergeneral“, in dem sich ein Bader namens Schnaps als Bürgergeneral der französischen Revolution ausgibt und einen anderen Dorfbewohner ebenfalls zum Bürgergeneral befördert, was diesen aufs höchste erschreckt: „Zum General? – Herr Schnaps, Herr Schnaps! das klingt nun fast wieder nach dem ostindischen General-Gouverneur.“
Es waren jedoch die Verhandlungen auf den Wiener Kongress, die Goethes großes Interesse an der holländischen Kolonie weckten: England musste das während der napoleonischen Kriege besetzte Ostindien (1811-1816) an die Niederlande zurückgeben. In seinen 1819 veröffentlichten „Noten und Anmerkungen zum besseren Verständnis des west-östlichen Divans“, hatte er auf Berichte über diese fernen Länder hingewiesen: „Die Engländer haben uns in der letzten Zeit über die unbekanntesten Gegenden aufgeklärt… Über die Halbinsel hinunter bis Java können wir nach Belieben, nach Kräften und Gelegenheiten unsere Übersicht ausdehnen.“ Besonders beeindruckt zeigte er sich von Sir Thomas Stamford Raffles‘ (den London während der Besatzungszeit als Gouverneur von Java und Batavia eingesetzt hatte, und der später Singapur gründete) zweibändiger „Geschichte Javas“, die Goethe schon kurz nach ihrem Erscheinen Ende 1827 las: „Am allerzudringlichsten aber sind die bedeutenden Werke wodurch wir Indien immer mehr kennenlernen; so haben wir Java ganz zur Hand und man muss gestehen, dass dergleichen Öffentlichkeit noch niemals war“, rühmte er das Buch in einem Brief vom 28. Oktober 1827.
Als 1815 der junge, preußische Professor der Naturgeschichte am Athenaeum Illustre in Amsterdam, Caspar Georg Carl Reinwardt, nach Ostindien abgereiste, um in Bogor den heute noch berühmten botanischen Garten einzurichten, ließ ihm Goethe die Mahnung zukommen, „das Mineralogische, besonders das Geologische nicht außer Acht (zu) lassen“. Mitte der zwanziger Jahre berichten Dutzende von Eintragungen oder Briefen über Sendungen, die der Amateurgeologe, -mineraloge, -biologe in Bogor bestellt hatte, und die ihm über Den Haag zugestellt wurden.
In Diensten der Ostindischen Kompanie
Goethes Dichterkollege Friedrich Schiller befasste sich zwar lieber mit näher Gelegenem, pflegte aber verwandtschaftliche Beziehungen nach Java. Gemäß eines Vertrags, den er mit der Vereenigde Ooste-Indische Compagnie abgeschlossen hatte, stellte Herzog Carl Eugen von Württemberg 1787 das „Regiment Württemberg“ zum Dienst in den holländischen Kolonien am Kap der guten Hoffnung und in Hinterindien auf. Am 26. Februar und 2. September desselben Jahres marschierten die beiden Bataillone aus Ludwigsburg ab. Während der Herzog 300 000 Gulden für den Verkauf seiner Landeskinder an Holland einstrich, kämpfte ein Teil dieser württembergischen Soldaten in Ceylon erfolglos gegen die angreifenden Engländer (1795/96 ging die holländische Kolonie Ceylon in englischen Besitz über.) und gerieten in Kriegsgefangenschaft. Andere Kompanien wurden nach Makassar auf Celebes (heute: Sulawesi), nach Batavia oder Semarang auf Java verlegt.
„Unter den Offizieren des Regiments befanden sich viele mit Schiller bekannte frühere Schüler der Hohen Karlsschule (die Militärakademie in Stuttgart). Auch sechs uneheliche Söhne des Herzogs waren darunter“, berichtet der ehemalige deutsche Botschafter in Jakarta, Heinrich Seemann, in seinem Buch „Indonesien in der deutschen Geisteswelt“.
Unter diesen Offizieren befand sich auch Karl von Wolzogen, einer der vier Söhne der Gönnerin Friedrich Schillers, Henriette von Wolzogen, die den fahnenflüchtigen Regimentsmedicus der Herzoglich Württembergischen Armee und Dichter nach seiner Flucht aus Stuttgart vor der Auslieferung bewahrte. Durch die Heirat Schillers mit Charlotte von Lengefeld war er schließlich auch verschwägert mit der Familie von Wolzogen, denn Charlottes Schwester Karoline war in zweiter Ehe mit Karls Bruder Wilhelm vermählt.
Nach neun Dienstjahren schied Karl von Wolzogen aus dem Regiment Württemberg aus, nahm den Posten eines Kapitäns der Nationalgarde in Java an und wurde später zum „Obersten Generalinspekteur der Forsten in Java“ mit Sitz in Semerang an der Nordküste der Insel ernannt. Von dort schrieb er etliche Briefe an seinen Freund und Schwager Schiller, dessen Werke er fleißig las. „Eine wahre Geisteserquickung“ schien ihm die Lektüre des „Don Carlos“, wie er 1790 aus Makassar mitteilte. „Außerdem besitze ich die erste Ausgabe von ‚Kabale und Liebe‘, ‚Die Räuber‘ und den ‚Geisterseher‘.“
Sein Bericht über einen offiziellen Besuch am Hofe eines Sultans von Solo in Zentraljava, den er stets als „Kaiser von Java“ bezeichnet, hätte Schiller ausreichend Stoff sowohl für ein Drama als auch für eine Komödie geben können. Darin schildert Karl von Wolzogen Spannungen zwischen dem „Kaiser von Java“ und dem „Sultan“ (Tatsächlich gab es nie einen Kaiser von Java, und nannten sich die Herrscher von Solo nie Sultan, sondern gaben sich den Titel „panembahan“, verehrter Herrscher, oder „sunan“, Heiliger.): „Die Unterthanen des Kaisers, und die des Sultans nekken sich schon hie und da, fallen in einzelnen Parthien in die Negereien, sengen, brennen, morden und verheeren alles was ihnen vorkommt….“ Der Hintergrund: Die holländische Ostindische Gesellschaft hatte schon 1755 das Königreich Mataram zerschlagen und zunächst in zwei Provinzen mit den Hauptstädten Yogyakarta und Solo aufgeteilt. Nach den üblichen Nachfolgezwisten unter javanischen Sultanen und Heiligen, in die von Wolzogen geraten war, wurden die beiden Fürstentümer noch einmal aufgeteilt.
Kritische Stimmen…
Auch der ehemalige Soldat, Zeitgenosse und Kollege Schillers, Heinrich von Kleist, der über die politischen Zustände nicht nur in Europa sondern – wie seine Erzählungen „Das Erdbeben in Chile“ oder „Die Verlobung von Santo Domingo“ zeigen – auch in Übersee wohl informiert war, wusste natürlich um das Schicksal der Kameraden des „Regiments Württemberg“.
In der Komödie „Der zerbrochene Krug“ spielt Kleist auf diesen Vorgang an. In dem Stück versucht der Dorfrichter Adam die Gunst der jungen Eve, die den Bauernsohn Ruprecht liebt, zu erschleichen. Mit einem gefälschten Einberufungsbefehl, dass Ruprecht als Soldat nach Java abkommandiert werde, versetzt Richter Adam Eve in Angst und Schrecken um ihren Geliebten. Gegen ihre Zuneigung verspricht der Richter, Ruprecht vom Wehrdienst zu befreien. In Anwesenheit des Gerichtsrats Walter muss Adam eine Verhandlung gegen Ruprecht führen, der von Eves Mutter beschuldigt wird, einen wertvollen Krug zerbrochen zu haben, in der die Intrige aufgedeckt wird (Zwölfter Auftritt).
Eve: (wirft sich dem Gerichtsrat zu Füßen)
Herr! Wenn Ihr jetzt nicht helft, sind wir verloren!
Walter: Verloren? Warum das?
Ruprecht: Herr Gott!! Was gibt’s?
Eve: Errettet Ruprecht von der Konskription!
Denn diese Konskription – der Richter Adam
Hat mirs als ein Geheimnis anvertraut,
Geht nach Ostindien; und von dort, Ihr wisst,
Kehrt von drei Männern nur einer zurück!
Walter: Was? Nach Ostindien? Bist du von Sinnen?
Eve: Nach Bantam, gnädger Herr; verleugnets nicht!
Hier ist der Brief, die stille heimliche
Instruktion, die Landmiliz betreffend,
Die die Regierung jüngst deshalb erließ:
Ihr seht, ich bin von allem unterrichtet…
Sehr viel deutlicher als Kleist beschrieb der weltläufige und anglophile Theodor Fontane mit erstaunlicher Detailkenntnis die Schrecken und Brutalität der holländischen Kolonialpolitik in seinem Gedicht „Die Balinesenfrauen auf Lombok“. Darin schildert er die „puputan“ der balinesischen Rajas. In dem blutigen, über zehn Jahre währenden Unterwerfungskrieg, in dem die holländische Kolonialmacht Ende des neunzehnten Jahrhunderts auch auf Bali ihre „Pax Neerlandica“ durchsetzte, führten die Unterlegenen das Ende selbst herbei. In Begleitung Tausender zogen Balis Rajas in ihren „puputan“, die ihnen einen Platz im Nirwana sichern sollten, in die Geschossgarben holländischer Maschinengewehre.
Unerhört,
Auf Lombok hat man sich empört,
Auf der Insel Lombok die Balinesen
Sind mit Mynheer unzufrieden gewesen.
Und die Mynheers fasst ein Zürnen und Schaudern:
„Aus mit dem Brand, ohne Zögern und Zaudern!“
Und allerlei Volk, verkracht, verdorben,
Wird von Mynheer angeworben,
Allerlei Leute mit Mausergewehren
Sollen die Balinesen bekehren.
Vorwärts, ohne Sinn und Plan;
Aber auch planlos wird es getan:
Hinterlader arbeitete gut,
Und die Männer liegen in ihrem Blut.
Die Männer. Aber groß anzuschaun
Sind da noch sechzig stolze Fraun,
All eingeschlossen zu Wehr und Trutz
In eines Buddhatempels Schutz.
Reichgekleidet, goldgeschmückt,
Ihr jüngstes Kind an die Brust gedrückt,
Hochaufgericht’t eine jede stand,
Den Feind im Auge, den Dolch in der Hand.
Die Kugeln durchschlagen Trepp und Dach –
“Wozu hier noch warten, feig und schwach?“
Und die Türen auf und hinab ins Tal,
Hoch ihr Kind und hoch den Stahl
(Am Griffe funkelt der Edelstein),
So stürzen sie sich in des Feindes Reihn.
Die Hälfte fällt tot, die Hälfte fällt wund,
Aber jede will sterben zu dieser Stund,
Und die letzten, in stolzer Todeslust,
Stoßen den Dolch sich in die Brust.
Mynheer derweilen in seinem Kontor,
Malt sich christlich Kulturelles vor.
Günter Grass beschrieb in seinem Roman „Ein weites Feld“ die Reaktion, die das Gedicht in politischen Kreisen im Haag und in Berlin hervorrief. In dem Roman sitzt Fonty, wie er die Hauptfigur des Buches nennt, im Atelier von Max Liebermann Modell und berichtet dem Maler von der Aufregung, die sein Gedicht ausgelöst hat.
„‚Die Balinesenfrauen auf Lombok‘… hatten anstößig gewirkt. Gleichfalls war die Doppelzeile ‚Allerlei Leute mit Mausergewehren sollen die Balinesen bekehren‘ in den Niederlanden empfindlich aufgenommen worden. Man hatte ihn ‚einen Meister der Grobschmiedekunst‘ genannt. Tüftelnde Schlaumeier waren dahintergekommen, dass die niederländischen Kolonialtruppen nicht mit Mausergewehren, vielmehr mit solchen der Firma Mannlicher ausgerüstet und auf Missionsreise gewesen seien.“
Fontanes Zeitgenosse Karl Marx zitiert in seiner Analyse der „sogenannten ursprünglichen Akkumulation“ im 24. Kapitel des Ersten Bandes von „Das Kapital“ aus der schon von Goethe so hoch geschätzten „The History of Java“ Thomas Stamford Raffles‘: „Die Geschichte der holländischen Kolonialwirtschaft – und Holland war die kapitalistische Musternation des 17. Jahrhunderts – ‚entrollt ein unübertreffbares Gemälde von Verrat, Bestechung, Meuchelmord und Niedertracht‘. Nichts charakteristischer als ihr System des Menschendiebstahls in Celebes, um Sklaven für Java zu erhalten. Die Menschenstehler wurden zu diesem Zweck abgerichtet. Der Dieb, der Dolmetscher und der Verkäufer waren die Hauptagenten in diesem Handel, eingeborene Prinzen die Hauptverkäufer. Die weggestohlene Jugend wurde in den Geheimgefängnissen von Celebes versteckt, bis reif zur Verschickung auf die Sklavenschiffe. Ein offizieller Bericht sagt:
‚Diese eine Stadt Makassar z.B. ist voll von geheimen Gefängnissen, eins schauderhafter als das andre, gepfropft mit Elenden, Opfern der Habsucht und Tyrannei, in Ketten gefesselt, ihren Familien gewaltsam entrissen.‘
Wo sie (die Holländer) die Füße hinsetzten, folgte Verödung und Entvölkerung. Banjuwangi, eine Provinz in Java, zählte 1750 über 80 000 Einwohner, 1811 nur noch 8000. Das ist der doux commerce!“
… und Hofberichterstatter
Neben Fontanes verblüffend detailreicher Kenntnis und Marx‘ vernichtender Analyse, wirkt Ernst Heinrich Haeckels Bericht „Aus Insulinde“ beinahe peinlich ignorant. Der reisefreudige Professor für Vergleichende Anatomie sowie für Zoologie gilt als einer der beliebtesten wissenschaftlichen Schriftsteller der Jahrhundertwende. Doch dieses Buch hätte das Ehrenmitglied der Gesellschaft für Rassenhygiene wohl besser nicht geschrieben. Es wimmelt von Fehlern. Schon der Titel stieß auf berechtigte Kritik. „Den Vorwurf, dass ich diesen Namen ‚nicht mit besonderem Geschmacke‘ geschaffen habe, muss ich ablehnen, weil jene Bezeichnung für den ostindischen Archipel nicht von mir herrührt, sondern seit fünfzig Jahren daselbst in Gebrauch ist... Dagegen ist die später stattdessen vorgeschlagene Bezeichnung ‚Indonesien‘ nicht in weiteren Gebrauch gekommen.“ Der Herr Professor übersah geflissentlich, dass die Kolonialmacht den Gebrauch des Namens Indonesien untersagt hatte, weil unabhängigkeitsbewegte „Inlanders“, wie sie im offiziellen Sprachgebrauch hießen, ihrem Land diese Bezeichnung gaben. Die unter Zwangs- und Corvéearbeit ächzende „malaiische Bevölkerung erfreut sich inmitten ihrer paradiesischen Natur eines allgemeinen Wohlstandes und des höchsten Glückes, der Zufriedenheit… Unter dem klugen und wohlgesonnenen Regiment der Holländer fühlen sich die Eingeborenen sehr zufrieden“, behauptete Haeckel. Bis Ende des neunzehnten Jahrhunderts zwang das holländische Steuersystem des „Kultuurstelsel“ alle Dörfer, ein Fünftel ihrer Ernten und Erträge der Regierung zu liefern. In Sumatra „starben die Leute wie die Fliegen“, berichtete der Ungar Ladislao Székeley von den Rodungsarbeiten, mit denen Sumatras jungfräuliche Wälder in Plantagen für Virginiablätter verwandelt wurden: „Die Gesunden räumen die Toten beiseite und setzen ihren Kampf auf Leben und Tod fort.“
Katastrophen, Wilde und Sensationen
Erheblich korrekter und wissenschaftlicher erforschte der Geograph und Ethnologe Karl Helbig, der in Hamburg neben Meereskunde, Wirtschaftsgeographie, Klimatologie, Geologie, Paläontologie und sogar indonesische Sprachen studiert hatte, in den dreißiger Jahren Sumatra und Borneo und später Mexiko und Mittelamerika. In seinem 1941 erschienen Buch „Urwaldwildnis Borneo. 3000 km Zick-Zack-Marsch durch Asiens größte Insel“ schildert er eine Begegnung mit Angehörigen eines Dayak-Volkes im Gebiet des Kapuas-Flusses in West-Borneo:
„Vor allem stoßen wir jetzt auch auf die ersten Schädeltrophäen... Verräuchert, zahnlos, voller Kakerlakenlarven und Spinneneier baumeln sie in geflochtenen Rohrkörbchen unter dem finsteren Gebälk und grinsen uns mit hohlen Augen an. Hier und da hängen auch noch aufgereihte Haarschöpfe, zerfressen und verfilzt, daneben… Die Dayak schauen starr und unerforschbar ins Leere, genau wie jene Schädel, wenn wir ihre Beutestücke aufmerksam betrachten. Keiner wagt es, sie zu berühren; denn sie sind der heiligste Besitz. Nur bei ganz besonderen Anlässen holt der Dorfzauberer sie herab, opfert vor ihnen und trägt sie dann umher, damit sie überall ihre magischen Kräfte verbreiten können.“
„Der Westen, also das Entscheidungszentrum der Menschheit, interessiert sich nur so lange für einen Teil der Welt, einen Kontinent, als er befürchtet, dass von dort irgendeine Gefahr ausgehen, ihn etwas bedrohen könnte“, beobachtete der legendäre polnische Journalist Ryszard Kapuscinski – oder eine Katastrophe das Sensationsbedürfnis westlicher Wohlstandsbürger befriedigen kann. Vulkanausbrüche, Tsunamis und andere Naturkatastrophen sorgen für Tod und Zerstörung und bringen solch vergessene Länder endlich doch in die Zeitungsschlagzeilen und oft auch in die Literatur.
So weiß zwar kaum jemand von den Völkern und den drei Sprachen, die einst auf der kleinen Sunda-Insel Tambora existierten. Doch kaum eine Zeitung, die nicht Artikel über die verheerende Eruption des dortigen Vulkans von 1815 veröffentlichte – sogar noch 200 Jahre nach dem Ereignis. Noch mehr beachtet wurde der Ausbruch des Krakatau, der zum ersten global medialen Ereignis wurde, weil die britische Firma Newall & Co und das deutsche Unternehmen Siemens & Halske rechtzeitig zum großen Knall das Seekabel verlegt hatten, das Batavia über Singapur mit Europa verband. Anlässlich des 75. Jahrestages des Ausbruchs des Krakatau, der sich 1883 in einigen gewaltigen Eruptionen selbst zerstörte, bastelte Arno Schmidt aus Zeitungsclippings eine Hörfunksendung für zwei Sprecher:
„B: Um 10 Uhr 2 Minuten also, am 27. August 1883, erfolgte jenes Ereignis, jene Katastrophe größten Ausmaßes, von der die von Menschen niedergeschriebene Geschichte weiß – das einzige bisher bekannte globale Geschehnis, das der gesamte Erdball verspürte. – immer noch das größte; trotz aller unserer Atombombenversuche.
A: Es war praktisch das erstemal, dass der wohlklingende Name … (wie kostend): ‚KRAKATAU‘….. der Menschheit geläufig wurde…“
Und in Tankred Dorsts wunderlicher Erzählung „Das lange Gespräch mit dem Vogel“ liest ein pädophiler Schauspieler auf Bali einem 14jährigen Mädchen einen Zeitungsbericht über den Krakatau vor.
Exotik und Gefahr wurden zum Leitmotiv zahlreicher Berichte über die Inselwelt. So schilderten nahezu alle frühen Besucher Ostindiens gefährliche Begegnungen mit Tigern oder Kannibalen. Als bester Beobachter indonesischer Traditionen erwies sich ausgerechnet einer, der professionell mit Raubkatzen und ähnlich gefährlichem Getier zu tun hatte, John Hagenbeck. Zusammen mit seinem Bruder Carl versorgte er den Stellinger Tierpark, den Pariser Zoo und den New Yorker Zirkus Barnum mit wilden Tieren und erfand sogar den ersten King Kong der Filmgeschichte. (Auf dem Höhepunkt seines Films „Darwin“ aus dem Jahre 1920 verschleppt ein Gorilla eine weiße Frau.) In seinem Reisebericht über Sumatra und Java „Kreuz und quer durch die indische Welt“ bewies er seine scharfe Beobachtungsgabe. Er war tatsächlich der Einzige unter all den schreibenden Abenteurern und Forschern, dem die Bedeutung des „guling“ oder „bantal (Kissen) guling“ aufgefallen war – des wohl harmlosesten Objekts im ganzen Archipel:
„Unter den vielen Eigentümlichkeiten des holländisch-indischen Lebens ist eine, die dem Fremden anfangs ungemein komisch vorkommt, nämlich die Art zu schlafen. Statt der Steppdecke befindet sich auf dem Lager ein walzenförmiges Kissen von Körperlänge, dieses nimmt der mit einem flanellenen Schlafanzug bekleidete Schläfer zwischen die Arme und hält es an den Leib gedrückt. Der Brauch ist, wie so viele andere, von den Malaien übernommen und sehr bekömmlich, denn das Schlafkissen schützt den Unterleib vor Erkältung, ohne den übrigen Körperteilen beschwerlich zu fallen.“
Erkältungen waren in der Hitze Batavias nahezu unbekannt und wurden erst von den weißen Eroberern eingeführt und durch die Klimaanlagen zur Seuche. Die holländischen Lagerverwalter, Ankäufer und Administratoren in Ostindien litten vielmehr unter dem Mangel an weißen Christinnen. Eheschließungen mit den braunhäutigen Ungläubigen waren für aufrechte Calvinisten tabu. Gelegentliche Besuche bei den chinesischen Prostituierten vor den Stadtmauern Batavias verursachten unerwünschte Ausgaben und bargen gesundheitliche Risiken. Darum schliefen sie bevorzugt mit ihren „englischen Puppen“, wie sie die bis zu zwei Meter langen, schlauchähnlichen Kissen nannten. Die Engländer machten sich lustig über diese „Holländerinnen“, die in Deutschland berühmt wurden durch Rosa von Praunheims Film „Die Bettwurst“. Und Pramoedya Ananta Toer, Indonesiens großer Schriftsteller, spottete gerne über diese „Holländerinnen, die nicht furzen“. Noch heute schläft kaum ein Javaner ohne sein guling.