In den syrischen Provinzen Raqqa und Deir az-Zor treffen die syrische Armee und ihre Hilfsmilizen aus Iran und aus dem Irak, der IS, amerikanische Kampfflugzeuge und Berater der von der amerikanischen Koalition begleiteten und geschützten Kämpfer der SDF (Syrische Demokratische Kräfte) und diese Kämpfer selbst in gefährlicher Nähe aufeinander. Dazu kommen noch iranische Mittelstreckenraketen, die auf Ziele in der Provinz Deir az-Zor abgefeuert werden. Sowie russische Kriegsflugzeuge, die ebenfalls den IS bombardieren.
Wer beherrscht Ostsyrien nach dem IS?
Deir az-Zor, Provinz und Provinzhauptstadt gleichen Namens, liegen anschliessend an die Provinz Raqqa, Euphrat abwärts. Die Stadt Raqqa ist im Begriff, von den SDF-Kräften belagert zu werden. Diese sind in einige der Aussenquartiere der Stadt eingedrungen. Doch wie in Mosul ist auch in Raqqa ein verzweifelter Abwehrkampf der eingekesselten IS-Kräfte zu erwarten.
Die zivilen Bewohner der Stadt haben begonnen aus Raqqa zu fliehen, und – wie im Falle von Mosul – gibt es Berichte darüber, dass die IS- Verteidiger versuchen, die Bewohner der Stadt mit Gewalt an der Flucht zu hindern, weil ihre Anwesenheit ihnen einen gewissen Schutz gegen allzu breitflächige Bombardierungen durch die amerikanische Koalition verschafft.
Wettlauf um die Besetzung von Deir az-Zor
Die syrische Regierung versucht, mit ihrer Armee Deir az-Zor zu erreichen und zu besetzen und den Leuten der SDF oder anderen pro-amerikanischen Kämpfern dort zuvorzukommen. Die Provinz Deir az-Zor, in der es zahlreiche Erdölquellen gibt, befindet sich in Händen des IS. Doch in einem Teil der Hauptstadt und auf dem anschliessenden Militärflugplatz halten sich syrische Regimetruppen seit 2014. Sie sind vom IS umzingelt und werden aus der Luft versorgt.
Offenbar gibt es mindestens zwei syrische Vorstössse, die auf Deir az-Zor abzielen. Der eine, südliche, zielt auf Deir az-Zor hin, indem er sich nah an der jordanischen und an der irakischen Grenze vorbei auf den Euphrat hinbewegt. Dieser Vorstoss kollidiert mit den Amerikanern, die in Tanf, an der syrischen Grenze zu Jordanien und zum Irak, auf syrischem Boden ein Lager eingerichtet haben, in dem sie Widerstandskämpfer gegen Asad trainieren. 50 Kilometer um Tanf herum haben sie eine Dekonfliktierungszone mit den Russen vereinbart, und sie zeigen sich entschlossen, die pro-Asad-Kräfte, seien sie reguläre Armee oder iranische oder irakische Schiitenmilizen, die Asad helfen, aus dieser Zone fern zu halten, wenn nötig mit Waffengewalt.
Bisher hat es drei Zusammenstösse in diesem Raum gegeben. Sie gingen jedes Mal darauf zurück, dass die amerikanische Luftwaffe auf pro-syrische Kräfte das Feuer eröffnete, die in der Sicht der Amerikaner diese Zone bedrohten, indem sie in sie eindrangen oder sich ihr annäherten.
An Raqqa vorbei in Richtung Deir az-Zor
Der zweite, nördlichere Vorstoss der syrischen Armee zielt südlich von Palmyra an Raqqa vorbei gegen Deir az-Zor. Dabei stehen die syrischen Regulären und prosyrischen Kräfte etwa 50 Kilometer südwestlich von Raqqa. In der Nähe von Tabqa sind syrische Truppen mit den Kämpfern der SDF zusammengestossen. Syrische Kriegsflugzeuge griffen auch ein, und es ist zum Abschuss eines syrischen Kriegsflugzeugs durch die amerikanische Luftwaffe gekommen.
Die SDF gegen die syrische Armee?
Der syrische SU-22 habe nach Aussagen der Amerikaner Truppen der SDF bombardiert und sei daher abgeschossen worden. Ein Sprecher der SDF, Talal Selo, sagte, die syrische Armee sei nicht nur mit Bomben, sondern auch mit Tanks und Artillerie gegen sie vorgegangen und es sei zu scharfen Kämpfen zwischen der SDF und der syrischen Armee gekommen. Wenn sie erneut in ihren Stellungen angegriffen würden, so der Sprecher, würden die SDF-Kämpfer sich zur Wehr setzen.
Erster US-Abschuss eines syrischen Kriegsflugzeugs
Von Bodenkämpfen sprechen die Amerikaner nicht. Sie begnügen sich mit der Erklärung, dass eines ihrer Flugzeuge ein syrisches abgeschossen habe, das SDF-Kämpfer bombardiert habe. Die Amerikaner fügen hinzu, direkt nach dem Vorfall hätten sie die Russen kontaktiert, und diese hätten sich willig gezeigt, mitzuhelfen, um die Lage zu beruhigen.
Ende der „Dekonfliktierung“ mit Russland?
Was allerdings den russischen Stellvertretenden Verteidigungsminister Sergei Rijabkow nicht daran hinderte, zu erklären, der Abschuss, den auch Damaskus bestätigt, sei ein Akt der Aggression gewesen und wirke zum Nutzen des IS. Rijabkow sagte auch, die Amerikaner hätten sich nicht an die Dekonfiktierungs-Vereinbarungen gehalten und der Vertrag mit den Amerikanern zur Vermeidung von Konflikten sei „beendet“.
„In Zukunft“, so Rijabkow, „werden alle fliegenden Objekte der Koalition, seien es Drohnen oder Flugzeuge, die westlich des Euphrats entdeckt werden, von der russischen Luftabwehr auf dem Boden oder in der Luft als Ziele in der Luft markiert und verfolgt werden“ („tracked“, in der englischen Version seiner Aussage). Der Minister forderte auch eine sorgfältige Untersuchung der Vorfälle durch das amerikanische Kommando.
Die Amerikaner ihrerseits versicherten, sie wollten gegen den IS, nicht gegen Russland und nicht gegen Syrien kämpfen, doch würden sie weiterhin im Falle von Aggressionen sich selbst und ihre „Partner-Kräfte“ verteidigen.
Iranische Raketen gegen den IS
Iran meldete, Mittelstreckenraketen seien aus Westiran auf IS-Ziele in Deir az-Zor abgefeuert worden. Dies sei als Reaktion auf die Anschläge des IS vom 7. Juni in Teheran auf das Parlament und auf das Mausoleum Khomeinis geschehen. Der IS hatte die Verantwortung für diese Anschläge übernommen. Die Iraner wollen einen Kommandoposten des IS in Deir az-Zor getroffen haben, was „viele Tote und die Zerstörung von Waffen“ verursacht habe.
Bestätigungen dieser Meldung von anderer Seite gibt es bisher nicht. Die iranische Regierung und ihre Propagandaorgane erklärten neben dem IS auch Saudi Arabien und Amerika für den Anschlag verantwortlich. In ihrer Version sind die Saudis und die Amerikaner heimliche Verbündete des IS gegen Iran, und sie kämpfen nur zum Schein gegen den IS.
Mehr Entscheidungsbefugnis für US-Militärs
Die Zuspitzung der Lage am Euphrat hat ohne Zweifel damit zu tun, dass die neue Trump-Administration in Washington den amerikanischen Offizieren im Pentagon und an Ort und Stelle viel mehr Eigenverantwortung für ihre Aktionen und Reaktionen in Syrien überlässt, als dies zuvor unter Obama der Fall gewesen war. Obama war stets darauf bedacht gewesen, Eskalationen zu vermeiden, die unversehens zu einem Krieg mit Russland hätten führen können. Trump überlässt den Militärs die Entscheidungen und damit auch die Verantwortung für die weiteren Entwicklungen in dem zunehmend verworrenen syrischen Bürger- und Stellvertreter Krieg.