Nach drei Monaten der Kämpfe um die Stadt al-Bab haben am vergangenen Freitag die türkischen Truppen und die syrischen Kämpfer der FSA (Freie Syrische Armee), die mit ihnen verbündet sind, die Stadt al-Bab besetzt.
Die Zerstörung al-Babs
Die IS-Kämpfer haben sich in Richtung Raqqa zurückgezogen. Al-Bab liegt rund 40 Kilometer nordöstlich von Aleppo und gegen 30 Kilometer südlich der türkischen Grenze. Nach Raqqa sind es rund 120 Kilometer. Zwischen Raqqa und al-Bab liegt der Ort Membidsch, der von den syrisch-kurdischen Kämpfern der YPG mit ihren syrisch-arabischen Partnern von der SDF (Syrian Defence Forces) gehalten wird. Die gleiche Kombination von SDF und YPG führt mit amerikanischer Hilfe eine Offensive gegen Raqqa durch und hat aus dem Norden vorstossend das Ostufer des Euphrat-Stausees erreicht.
In den beiden vergangenen Wochen hat auch die syrische Regierungsarmee von Süden her einen Vorstoss nach al-Bab unternommen. Die türkischen und pro-türkischen Kräfte haben das Ringen um die Stadt knapp gewonnen. Die syrische Armee steht drei Kilometer südlich von al-Bab vor der Ortschaft Tadef, wo sich noch IS-Kämpfer halten. Al-Bab ist den Schilderungen nach weitgehend zerstört.
Der Ort war Ziel von Luftangriffen der türkischen Luftwaffe sowie der amerikanischen, der russischen und der syrischen. Gegenwärtig versuchen die Türken und ihre syrischen Verbündeten, aus den Ruinen der Stadt die Minen und Explosivfallen zu emtfernen, die der IS stets zurücklässt, wie der türkische Verteidigungsminister erklärte. Sie sind auch damit beschäftigt, den IS aus den umgebenden Dörfern zu vertreiben.
Bollwerk des IS
Dort hat sich offensichtlich eine Art Nachhut festgesetzt, die darauf ausgeht, den Vormarsch ihrer türkischen und syrischen Gegner zu verlangsamen. Wie gefährlich sie sind, zeigte eine Selbstmord-Autobombe vom IS, die am Donnerstag an einer Strassensperre 41 Personen tötete, zumeist Zivilisten. Dem Vernehmen nach hatten sich geflohene Einwohner von al-Bab an der Strassensperre versammelt, um die Erlaubnis zu erhalten, in ihre Stadt heimzukehren, als die Bombe explodierte.
Der zähe Widerstand von al-Bab, der nun gebrochen ist, erklärt sich dadurch, dass die Stadt von einst 100‘000 Bewohnern und weiteren 50‘000 in den Vorstädten zu einem Bollwerk des IS geworden war. Sie bildete das Bindeglied zwischen Raqqa, der Hauptstadt des IS, und der türkischen Grenze. Viele der ausländischen Kämpfer des IS und ihre Familien waren dort untergekommen. Die türkische Grenze, heute verriegelt, war über lange Jahre hinweg weitgehend offen für den IS und dessen Nachschub an Söldnern sowie seiner Waffen- und Petroleum-, Antiquitäten- und Geldgeschäfte.
Die Zielsetzung Ankaras
Nach al-Bab, so hat Präsident Erdogan mehrmals erklärt, soll Membidsch das nächste Ziel der türkischen Aktion „Euphrat Schild“ werden. Diese Stadt in der Hand der syrischen Kurden und ihrer verbündeten syrisch-arabischen Kräfte, der SDF, ist die letzte grössere Ortschaft westlich des Euphrats, die sich noch in kurdischen Händen befindet.
Der Vorsitzende des Militärrates der Stadt hat gegenüber dem Sender „al-Jazeera“ erklärt, sie werde sich mit allen Mitteln gegen einen möglichen türkischen Angriff verteidigen. Ankara schwebt vor, wie Präsident Erdogan mehrmals erklärt hat, nach der erhofften Einnahme von Membidsch, den Amerikanern vorzuschlagen, mit türkischer Hilfe gegen Raqqa vorzustossen, statt – wie es gegenwärtig geschieht – mit Hilfe der syrischen Kurden der YPG.
Diverse Optionen
Ob die Amerikaner auf diesen Tausch eingehen würden, wenn er einmal – nach dem von Ankara erwarteten Sturz von Membidsch – aktuell werden sollte, weiss man natürlich nicht. Präsident Trump müsste darüber entscheiden.
Man kann vermuten, dass die amerikanischen Militärs, die gegenwärtig die YPG und die mit ihnen agierenden SDF beraten und auch am Boden und aus der Luft unterstützen, sich eher für das Fortführen der gegenwärtigen Allianz aussprechen würden. Die Kurden haben sich als Kämpfer und als politischer Partner im Irak und in Syrien bewährt.
Von der türkischen Armee weiss man zur Zeit nicht, wie stark die Entlassungen und Inhaftierungen von Offizieren und Mannschaften in Folge des fehlgeschlagenen Putsches vom 15.Juli 2016 die Wirksamkeit und Einsatzmöglichkeiten der türkischen Armee in Syrien reduzieren.
Man kann sich auch fragen, inwieweit sich der Krieg gegen die PKK auswirkt, der jedenfalls Teile der türkischen Streitkräfte in Anspruch nimmt durch die Notwendigkeit, einerseits gegen die PKK offensiv vorzugehen und sich zum anderen auch gegen ihre Überfälle zu verteidigen. Ganz abgesehen davon, dass es eine politische Hinwendung Ankaras zum Russland Putins gibt, von der man nicht weiss, wohin sie noch führen wird.
Massaker an Kriegsgefangenen in Idlib
Gleichzeitig mit den letzten Kämpfen um al-Bab und Umgebung spielte sich in der westlich von Aleppo gelegenen Provinz Idlib, die als die letzte grössere Zone gilt, die von den Rebellengruppen gegen Asad beherrscht wird, eine Tragödie ab. Während der Auseinandersetzungen, die sich dort zwischen den Rebellengrupen abspielen und die im wesentlichen die einstige Nusra Front, nun „Gruppierung zu Befreiung Syriens“, mit dem ebenfalls islamistischen, aber verhandlungsbereiten Block der „Freien Syriens“ konfrontieren, kam es zur Gefangennahme einer grösseren Gruppe, der „Dschund al-Islam“ (Militärs des Islam) durch eine andere Gruppe, die „Aqsa Brigade“, die seit langem als dem IS nahestehend eingestuft worden war.
Die Aqsa Brigade folterte und tötete den Angaben nach 120 Kämpfer und Sympathisanten der „Dschund al-Islam“. Dann zog sie aus Idlib ab, um auf das Territorium des IS hinüberzuwechseln. Das bisherige Militärlager der „Aqsa Brigade“ wurde von deren Widersachern besetzt und untersucht. Bisher sollen 90 der dort verscharrten Toten ausgegraben und identifiziert worden sein. Es sind die Familien der Ermordeten, die darauf dringen, dass die Leichen geborgen werden.
Asad verfolgt seine eigenen Ziele
Während sich die Rebellen gegen Asad in Idlib gegenseitig bekämpfen und ermorden, geht die Armee Asads mit Artillerie und Luftwaffe gegen die östlich von Damaskus, in der dortigen „Ghouta“, verbliebenen Rebellengruppen vor. Dies geschieht trotz des Waffenstillstands unter dem Vorwand, dass sich auch unter diesen Rebellen Gruppen von „Nusra“ und IS-Mitarbeitern befinden, für welche der Waffenstillstand nicht gilt. Ausserdem lässt sich immer behaupten, die andere Seite habe den Waffenstillstand zuerst gebrochen. Die Sprecher der verschiedenen Widerstandsinseln, deren Stimmen noch nach aussen dringen, warnen, der Waffenstillstand drohe zusammenzubrechen. Doch Moskau und die Türkei sorgen dafür, dass er weiter in jenen Bereichen aufrecht erhalten bleibt, in denen die syrischen Streitkräfte augenblicklich zu schwach sind, um offensiv vorzugehen.
Die Verhandlungen von Genf, die gleichzeitig stattfinden, müssen als eine Übung angesehen werden, die dazu dient, den Waffenstillstand an jenen Fronten zu stärken, an denen er gegenwärtig der syrischen Armee von Nutzen ist. Dass sie darüber hinaus auch einen Frieden voranbringen könnten, ist unwahrscheinlich. Die Asad-Kräfte streben nach einem vollständigen Sieg. Die Rebellen wissen, dass ihnen ein solcher Sieg früher oder später Folter und Tod in den Händen der Schergen des Asad Regimes bringen würde. Sie ziehen es daher vor, weiter zu kämpfen, auch wenn sie sich kaum mehr Siegeschancen ausrechnen können. Einige der Gruppen des Widerstandes reden mit in Genf, doch sie bestehen darauf, dass Asad gehen muss, bevor ein Frieden erreichbar sei.