Wer füllt das Vakuum nach dem angekündigten amerikanischen Rückzug aus Syrien? – Kandidaten sind gegenwärtig die kurdischen Bewaffneten der YPG (Volksverteidigungskräfte) und die Türkei, auf längere Zeit hinaus jedoch auch die Asad-Regierung, möglicherweise mit russischer und mit iranischer Hilfe.
Ein Tweet am Sonntagabend
Am vergangenen Sonntag warnte Trump die Türkei per Twitter. Er erklärte, die USA würden die Türkei wirtschaftlich zu Grunde richten, wenn sie die Kurden angreife, die mit den Amerikanern gegen den IS gekämpft hatten. Am Montag darauf telefonierte Trump mit Erdogan, und die beiden sollen übereingekommen sein, eine Sicherheitszone an der nordsyrischen Grenze zu schaffen, die 20 Meilen, rund 30 Kilometer, tief werden könnte, wie beide Seiten in unterschiedlich formulierten Darstellungen erklärten. Am Dienstag darauf sollten die Generalstabschefs beider Staaten sich in Ankara treffen, um die Details festzulegen.
Wer sind „die Terroristen“?
Auch die Aussenminister beider Seiten erklärten, sie stimmten der Sicherheitszone zu. Doch eine diplomatische Unschärfe besteht in der Frage, wozu diese Sicherheitszone dienen soll. Nach den Amerikanern soll sie die Infiltration von Terroristen in die Türkei verhindern. Die Türkei stimmt zu. Doch für Ankara sind die syrischen Kurdenkämpfer der YPG, die bisherigen Verbündeten der Amerikaner im Kampf gegen den IS, „Terroristen“. Denn die Türkei sieht in ihnen eine Filiale der PKK, das heisst der türkisch-kurdischen Kampforganisation, die seit 1984 gegen Ankara kämpft, weil sie Autonomie für die türkischen Kurden fordert. Die PKK-Kämpfer sind auch von den Europäern und den USA als „Terroristen“ eingestuft worden.
Der türkische Aussenminister erklärte, es sei ein schwerer Fehler, die YPG mit den syrischen Kurden gleich zu setzen. Er hat dabei insofern recht, als es andere politische Gruppen unter den syrischen Kurden gibt. Die YPG jedoch dominieren dank ihrer Bewaffneten und ihrem bisherigen Bündnis mit den USA.
Hoffnung für Flüchtlinge?
Eine Sicherheitszone an der syrischen Nordgrenze ist eine alte Forderung der Türkei. Sie stammt aus der Zeit, in welcher der IS bis an die türkische Grenze heranreichte und die syrischen Kurden sich gegen ihn zur Wehr setzten, am prominentesten in der Grenzstadt Kobane in der zweiten Hälfte des Jahres 2014. Das türkische Sicherheitszonen-Projekt war immer mit der Vorstellung verbunden, dass ein Teil der Millionen syrischer Flüchtlinge in der Türkei in dieser Zone eine Unterkunft finden könnten.
Wenn die Sicherheitszone zustande kommt, wird die Türkei sie kontrollieren, denn die Amerikaner werden abziehen. Ankara wird dann ohne Zweifel gegen „die Terroristen“ vorgehen. Gewiss gegen möglicherweise widererstehende IS-Terroristen, jedoch zweifellos auch und in erster Linie gegen die YPG-Bewaffneten, die für Ankara der Hauptgrund dafür sind, dass die geplante Zone entstehen soll.
Die HTS beherrscht Idlib
In der Zwischenzeit hat in Idlib, weiter im Westen und östlich ebenfalls angrenzend an die Türkei, die radikal islamistische HTS (Guppierung zur Befreiung von Syrien), früher Nusra Front und Filiale der Qaida, die Macht über die ganze Provinz übernommen. Sie hat ihre Gegner der von der Türkei gebildeten und unterstützten NLF (Nationale Befreiungsfront) besiegt, ohne dass die türkische Armee ihnen entscheidend geholfen hätte.
Eine Absprache zwischen Moskau und Ankara?
Manche Beobachter glauben, diese Vereinbarung zwischen den Russen und der Türkei sei zustande gekommen, damit die Russen und die Asad-Armee in Idlib freie Hand erhalten, um dort den HTS niederzukämpfen. Im Gegenzug erhält die Türkei die Möglichkeit, den YPG weiter im Osten zu zeigen, wo der Hammer hängt. Ob dies am Ende wirklich eintritt, muss die Zukunft erweisen. Jedenfalls ist deutlich geworden, dass für Ankara die Bekämpfung der „kurdischen Terroristen“ Vorrang hat vor jener der radikal-islamistischen und ebenfalls als terroristisch eingestuften HTS.