Während acht Monaten im Jahr ist der Ort ein touristischer Hotspot. Doch nicht alle kommen wegen der schönen Uferpromenade und der herrlichen Aussicht auf den See.
Salò ist ein Symbol für den italienischen Faschismus. Mussolini stand hier in den letzten Kriegsjahren einem Marionettenregime vor. Im April 1945 wurde er dann nahe der Schweizer Grenze von kommunistischen Partisanen erschossen.
„Anachronistisch“
Diese Woche haben die Mitte-links-Parteien im Gemeinderat von Salò einen Antrag eingereicht. Sie wollten Mussolini das Ehrenbürgerrecht aberkennen, mit dem er in den Zwanzigerjahren geehrt worden war. Die Mitte-rechts-Parteien, die im Rat eine 14:3-Mehrheit haben, lehnten den Antrag ab. Der Diktator, der Millionen ins Elend und Hunderttausende in den Tod getrieben hat, bleibt Ehrenbürger von Salò.
Die Rechtsparteien argumentierten, der Antrag der Linken sei „anachronistisch“. Giampiero Cipani, der Bürgermeister von Salò, sagte, „der einzige Weg, um die faschistische Ideologie zu bekämpfen ist, mit Tatsachen zu beweisen, dass unsere Idee eines liberalen und demokratischen Staates die Richtige ist“.
Die halbe Wahrheit
Das klingt gut. Trotzdem könnte man sich fragen, ob eine Aberkennung des Ehrenbürgerrechts nicht gerade ein Symbol wäre, um zu zeigen, dass man den Faschismus überwunden hat. Zudem ist die Erklärung des Bürgermeisters nur die halbe Wahrheit. Der andere Teil der Wahrheit geht so:
Faschistische Gewalttaten haben in jüngster Zeit in Italien zugenommen. Rechtsextreme Organisationen wie Casa Pound und Forza Nuova treten immer selbstbewusster auf und jagen vielen Schrecken ein. Beobachter in Rom sind der Ansicht, dass man in Salò befürchtet, die Rechtsextremen könnten sich für eine Aberkennung der Ehrenbürgerschaft rächen. Anschläge wären nicht gut für den Tourismus. War also die Angst vor Repressalien mit ein Grund für den Entscheid? Natürlich weist der Gemeinderat diese Argumentation als böse Unterstellung vehement zurück, ebenso die Unterstellung, mit der Beibehaltung des Ehrenbürgerrechts wolle man die alten und neuen faschistischen Hotel- und Restaurantbesucher nicht vertreiben.
75. Todestag
Die Zeiten sind für Faschisten und Neofaschisten emotional beladen. Am 28. April 1945 – vor 75 Jahren – war Mussolini erschossen und in Mailand aufgehängt worden. Die italienischen Sicherheitskräfte fürchten nun, dass Rechtsextreme und Neofaschisten den 75. Todestag auf ihre Art und Weise begehen werden: mit Grossaufmärschen, Provokationen – und vielleicht mit mehr. Bereits im vergangenen Jahr waren 20‘000 Neofaschisten nach Predappio in der Emilia-Romagna gepilgert – dem Geburtsort Mussolinis, wo er auch begraben ist.
Dass die Rechtsextremen auch heute nicht zimperlich sind, zeigen die jüngsten Ereignisse rund um die 89-jährige Liliana Segres, eine Überlebende von Auschwitz. Sie war von Staatspräsident Sergio Mattarella zur Senatorin auf Lebenszeit ernannt worden.
Morddrohungen
Im vergangenen Herbst wurde die Jüdin von Antisemiten und Holocaust-Leugnern mit dem Tod bedroht. Sie erhielt täglich bis zu 200 wüsteste Hassnachrichten und konkrete Drohungen. Seither lebt sie unter strengem Polizeischutz.
Als sie im November im italienischen Senat eine Rede hielt, erhob sich die linke Hälfte der kleinen Kammer und zollte ihr Respekt. Die rechte Hälfte blieb sitzen, unter ihnen die Lega-Senatorinnen und Senatoren, sowie jene von Berlusconis Forza Italia und Georgia Melonis „Fratelli d‘Italia“.
„Republik von Salò“
Im Juli 1943 drohte das Mussolini-Regime einzustürzen: die Alliierten waren auf Sizilien gelandet und stiessen nach Rom vor. Die italienische Armee stand vor dem Zusammenbruch. Der faschistische Grossrat versuchte zu retten, was zu retten war und setzte Mussolini ab. Jetzt besetzten die Deutschen Nord- und Mittelitalien. Mussolini wurde von den italienischen Faschisten in einem Hotel auf dem schwer zugänglichen Grand Sasso unter Hausarrest gestellt. Das passte den Deutschen nicht. Sie befreiten den Diktator und flogen ihn via Wien nach München und brachten ihn zu Hitler auf die Wolfsschanze bei Rastenburg.
Am 23. September 1943 setzte ihn Hitler wieder ein, und zwar als Staatschef der neu gegründeten „Republik von Salò“. Die „Italienische Sozialrepublik“, wie sie offiziell hiess („Repubblica Sociale Italiana“), war ein von den Nazis beherrschter faschistischer norditalienischer Vasallenstaat. Er hielt sich 18 Monate lang; dann ging der Krieg zu Ende. Mussolini wurde am 28. April 1945 auf seiner Flucht in die Schweiz am Comersee erschossen.
Ehrenbürger, da und dort
Salò ist die symbolisch wichtigste, aber keineswegs die einzige Gemeinde, in der Mussolini noch Ehrenbürger ist.
Während der faschistischen Zeit erhielt der Duce in wahrscheinlich mehreren hundert Städten und Gemeinden das Ehrenbürgerrecht. Viele der Gemeindeverwaltungen wissen das heute gar nicht mehr, so im Südtirol. Viele forschen jetzt in den Archiven. Andere haben ihm das Bürgerrecht offiziell abgesprochen, zum Beispiel Bergamo – und diese Woche auch Nuns im italienischen Aosta-Tal. Dort gibt es noch immer neun Gemeinden *), die den Duce ehren.
Aosta, der Hauptort des Aosta-Tals hatte im vergangen Herbst ein Zeichen gesetzt. Der Ort entzog Mussolini das Ehrenbürgerrecht. Zur gleichen Zeit wurde – symbolträchtig und ostentativ – Liliana Segres mit dem Bürgerrecht geehrt.
„Er hat auch viel Gutes getan“
Dass Mussolini weiterhin Ehrenbürger von Salò ist, interessiert in Italien kaum jemanden. Spricht man heute mit Italienerinnen und Italienern, so überrascht immer wieder, mit welcher Lethargie, Interessenlosigkeit und Nonchalance sie über Mussolini sprechen. „Ja, er war ein Diktator, aber so schlimm war er nun auch wieder nicht. Er hat auch viel Gutes getan“. Solche Sätze hört man immer wieder, und zwar keineswegs nur von Rechtsaussen-Leuten, sondern auch von gebildeten, „normalen“, ehrbaren Menschen.
Man verdrängt das Thema. Mussolini ist in Italien nicht das Schreckgespenst, wie es Hitler in Deutschland ist. Immer wieder heisst es, Mussolini sei eben Opfer von Hitler gewesen. Das ist pure Geschichtsfälschung. Mussolini war schon vor den Nazis da.
„Das Problem ist, dass in Italien seit jeher eine Banalisierung der faschistischen Vergangenheit stattgefunden hat“, sagte der Südtiroler ORF-Journalist Lorenz Gallmetzer im vergangenen September in einem Interview mit Journal21.ch. Er zitiert die sardische Schriftstellerin Michela Murgia, die schrieb, dass in Italien ein Nürnberg fehle. Das Land habe nie eine offizielle Abrechnung mit dem Faschismus gehabt.
Siehe auch:
Journal21: Rambazamba bei Mussoli
Journal21: Lorenz Gallmetzer: Salvini lauert
*) Brusson, Challand-St-Anselme, Gressan, Gressoney-St-Jean, Hône, Mont Jovet, Quart, Torgnon, Villeneuve.