Im Programm der Solothurner Filmtage fehlt ein enorm wichtiger Film. Er wird auch im nächsten Jahr fehlen und mutmasslich immer. Es ist der dokumentarische Nachruf auf den Kameramann Pio Corradi, der über hundert Filmen seine künstlerisch überragende Begabung lieh, national und international mit Preisen geehrt, in der Filmszene freundschaftlich verehrt, am 1. Januar 2019 im Alter von 79 Jahren gestorben. Das Bundesamt für Kultur (BAK) wollte die Würdigung nicht, auch die Zürcher Filmstiftung nicht.
Das sind mehr als nur Ablehnungen, wie sie im Lotteriespiel der Förderung zum unvermeidbaren Pech gehören. Es handelt sich um Verirrungen einer Expertokratie im Dschungel ihrer eigenen Kriterien.
Markanter filmgeschichtlicher Beitrag
Das Verdikt trifft direkt den Filmschaffenden Iwan Schumacher, der seine Fähigkeiten samt Sensibilität mit zahlreichen Dokumentationen bewies, mehrfach mit Pio Corradi zusammenarbeitete und ihn umfassend kennt. Auf diesem soliden Fundament entwickelte er ein überzeugend aussagekräftiges und vollständiges Dossier fürs Projekt „Mein Kameramann‟. Er plante für Gesamtkosten von 373’000 Franken eine Kinoversion mit 85 und eine Fernsehversion mit 52 Minuten und engagierte mit dem Kameramann Aurelio Buchwalder und der Cutterin Anja Bombelli zwei tadellos Erfahrene in ihrem Fach.
Die Annäherung an Pio Corradi sollte aus verschiedenen thematischen Blickwinkeln erfolgen. Das Augenmerk galt dem handwerklichen Können, den extremen Drehbedingungen, der Fotografie, dem Umgang mit Menschen, den im Zeitverlauf veränderten Techniken, der Konfrontation mit dem Tod.
Die Dokumentation wäre mit jenem Medium, das Pio Corradi lebensbestimmend so meisterhaft beherrschte, zu einem markanten Beitrag in der Schweizer Filmgeschichte geworden.
Arroganz der Oberflächlichkeit
Die SRG und 3sat erklärten rasch und verbindlich ihre Absicht, „Mein Kameramann‟ zu einem Fünftel zu finanzieren und dereinst auf attraktiven Sendeplätzen auszustrahlen. Die Stiftung In Zürich verfügte ein Nein, das BAK gar ein doppeltes.
Die erste Eingabe Iwan Schumachers schickte das BAK im Dezember 2018 mit 3 gegen 2 Expertenstimmen bachab. Die Befürwortenden versprachen sich „einen interessanten Dokumentarfilm‟, mussten sich indessen den absurd Argumentierenden beugen. Ihre Urteilskraft gehört unter die Lupe.
Der Einwand, es werde das „Potential der Geschichte zu wenig ausgeschöpft“, weil nur Pio Corradi spreche, ist ein glatter Eingriff in die künstlerische Freiheit und folglich, sofern ihr das BAK den Respekt zollt, unstatthaft. Die Feststellung, „Das filmische Konzept ist nicht klar“, rutscht in die pauschale Beliebigkeit und wird vom eingereichten Dossier leicht nachlesbar Lügen gestraft. Die Bemerkung, „Die Schnittzeit erscheint sehr kurz berechnet“, hadert mit der Grammatik und wird mit der Gegenfrage obsolet, was für die effizient arbeitenden Iwan Schumacher und Anja Bombelli denn „sehr kurz“ bedeute.
Ein Projekt mit der Arroganz der Oberflächlichkeit zu bodigen, ist, beim Namen genannt, ein Pfusch.
Aus der Hüfte schiessende Expertengremien
Dem nochmals und aktualisiert nach Bern geschickten Produktionsdossier erging es im September 2019 wiederum miserabel. Es wurde ausgezählt mit den Einwürfen, der Film sei „ein Puzzle aus Anekdoten, Zeitzeugen und Filmausschnitten“, es falle „die emotionale Annäherung an den Protagonisten schwer“, es fehle „eine klare Haltung des Filmemachers in Bezug auf sein Sujet“ und ein überzeugendes Auswertungskonzept.
Wer das Dossier Satz für Satz mit der gebührenden Sorgfalt studiert, schüttelt erstens wegen der zittrig aus der Hüfte schiessenden Expertengruppe den Kopf. Und reibt sich zweitens die Augen, weil das Schnellgericht einen freien und sattelfesten Künstler darüber belehrt, wie gefälligst ein Film über Pio Corradi zu gestalten sei: gefühlsbetont, humorlos, ohne Zeitzeugen und Werkausschnitte und bitte mit einer Haltung, der das BAK die Unbedenklichkeit bescheinigen kann. Das sind Obrigkeitsallüren.
Transparenz als Seifenblase
Kurz und bündig, wie es der selbstherrlichen Zürcher Filmstiftung entspricht, versagte diese Iwan Schumacher im Oktober 2019 die Unterstützung. Ohne Begründung. Huldvoll immerhin mit dem zackigen Hinweis, er könne „innert 10 Arbeitstagen eine mündliche Begründung verlangen“.
„Mündlich“, keinesfalls schriftlich und bindend. Transparenz als Seifenblase. Das ist nebenbei und insofern zweifelhaft, als die Filmstiftung mit öffentlichen Geldern eine staatliche Aufgabe erfüllt, weshalb gegen ihre Entscheide eine verwaltungsrechtliche Beschwerde möglich sein müsste.
Im Kleinklein ersticken
Im konkreten Zusammenhang stellt sich aber vordringlich eine andere Frage: Wo blieben in Bern und Zürich die durchsetzungsstarke Expertin, der energische Experte zur Ermahnung der Kolleginnen und Kollegen, über die Schatten der beckmesserischen und übergriffigen Kritik zu springen und sich ins Gewissen zu rufen, dass Iwan Schumacher aufgrund seines bisherigen Schaffens Vertrauen und mithin Förderung verdient? Auch und gerade für einen Film über Pio Corradi.
Mit Scheuklappen auf Dossiers starren, manisch nach Haaren in der Suppe suchen, die Filmografien ausblenden: mit solchen Beurteilungsmethoden riskiert die Förderung, im Kleinklein zu ersticken, Erfolgreiche zu bestrafen und das Vertrauen nachhaltig zu verlieren.