Zum Schweizer Minarett-Streit sagte er: »Der symbolische Diskurs über Minarette ist in Wirklichkeit eine Kampagne gegen Menschen, die als Mitglieder einer Gruppe diskriminiert werden, eine Kampfansage gegen Toleranz und Demokratie.«
Der Antisemitismus-Forscher vertritt die These, dass das im arabischen Kulturkreis verbreitete Feindbild »Westen« von den westlichen Populisten mit dem Feindbild »Islam« erwidert wird – »es folgt den gleichen Konstruktionsprinzipien«. Kürzlich erschien sein neues Buch »Die Feinde aus dem Morgenland. Wie die Angst vor den Muslimen unsere Demokratie gefährdet.«
Mit dem Preis "Gegen Vergessen – für Demokratie" wird Wolfang Benz für seine »Verdienste um die Erinnerungskultur in Deutschland und sein gesellschaftliches Engagement gegen Vorurteile und gegen Fremdenfeindlichkeit« geehrt.
Unsere Autorin Alexandra Senfft hat mit Wolfang Benz gesprochen:
Alexandra Senfft: Herr Benz, Sie haben gerade ein wichtiges Buch über Islamfeindlichkeit in Deutschland veröffentlicht. Haben sich Ihre Gegner schon bei Ihnen gemeldet?
Wolfgang Benz: Die Gegner interessieren mich nicht besonders, das Publikum ist wichtig und das reagiert zustimmend.
AS: Als Sie schon vor zwei Jahren auf die Parallelen zwischen Islamophobie und Antisemitismus aufmerksam gemacht haben, sind Sie von verschiedenen Seiten heftig angegriffen worden. Was wird Ihnen vorgeworfen?
WB: Als ich mich zum ersten Mal zu diesem Thema zu Wort meldete, überzog mich eine kleine Gruppe von meist unbekannten Aktivisten mit Hass und Schmähungen. Auch die seriöseren Kritiker zeigten sich als Partei und waren entrüstet, weil ich angeblich Juden mit Muslimen vergleichen würde. Das tue ich natürlich nicht. Ich mache lediglich auf strukturelle und methodische Gemeinsamkeiten aufmerksam, die mir als Vorurteilsforscher auffallen. Dass ich dafür Beweise habe, ärgert diejenigen, die nicht verstehen wollen, dass es mir um Verhaltensmuster der Mehrheit gegenüber Minderheiten geht. Merkwürdigerweise hat niemand je dagegen protestiert, dass ich schon vor vielen Jahren Antiziganismus [Zigeunerfeindlichkeit] und Antisemitismus in Beziehung gesetzt habe. Was Ressentiments gegen Muslime angeht, gilt für manche offenbar immer noch, was längst als Irrtum erkannt ist: der uralte Trugschluss, die Minderheit sei selbst an der Abneigung gegen sie schuld. Dabei hat die Minderheit immer am wenigsten Schuld an ihrem Image.
AS: Es gibt verschiedene Begriffe für die Ablehnung gegen den Islam. Der geläufigste ist „Islamophobie“. Welchen Begriff nutzen Sie und warum?
WB: Ich benutze den Begriff Muslimfeindschaft, weil der Ausdruck „Islamophobie“ bei manchen sofort Wut-Reaktionen auslöst, die jeden Diskurs unmöglich machen. Aber natürlich sind die Reaktionen gegen Muslime oft phobisch, nicht anders als die Reaktionen von Antisemiten auf Juden.
AS: Wie sind Sie auf überhaupt auf dieses Thema gestoßen?
WB: Als Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin habe ich mich mit grundsätzlichen Problemen der Entstehung und Anwendung von Vorurteilen und Feindbildern gegen verschiedene Minderheiten beschäftigt.
AS: Welche Argumentationsmuster machen die Islamfeinde sich zu eigen?
WB: Die Strategie der Islamfeinde besteht in Diskriminierung, Stigmatisierung und Ausgrenzung. Dazu werden Verbrechen fanatisierter Extremisten verallgemeinert und mit der friedlichen muslimischen Bevölkerung in Verbindung gebracht. Dadurch werden Muslime zum Gefährdungspotential stilisiert.
AS: Worin sehen Sie Ähnlichkeiten zwischen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit?
WB: Die Ähnlichkeiten bestehen in der Stigmatisierung unterschiedlicher Minderheiten durch die Mehrheit und in den Mitteln, die zur Diskriminierung und Ausgrenzung angewendet werden. Insbesondere die Religion spielt eine große Rolle. Das verwundert in unserer säkularisierten Gesellschaft sehr und legt die Vermutung nahe, dass es nicht um Religion geht, sondern dass Religion als Waffe benützt wird.
AS: Halten Sie es für möglich, dass hier auch Übertragungen aus der Vergangenheit eine Rolle spielen? Ich meine damit die häufig nicht bearbeitete nationalsozialistische Vergangenheit der Eltern oder Großeltern – Scham- und Schuldgefühle, Abwehr und tradierte Feindbilder?
WB: Übertragungen aus der Vergangenheit spielen als Kristallisationskerne der Abneigung auch eine Rolle. Vor allem aber sind es sozialpsychologische Mechanismen im Verhältnis von Mehrheit und Minderheit.
AS: In Ihrem neuen Buch »Die Feinde aus dem Morgenland« sprechen Sie von der „Causa Sarrazin“ – wofür steht aus Ihrer Sicht Thilo Sarrazins Bestseller »Deutschland schafft sich ab«?
WB: Sarrazins Buch steht für verbreitete Ängste in der deutschen Mehrheitsgesellschaft und für soziale Probleme, zu denen er schlichte sozialdarwinistische und fremdenfeindliche Lösungen anbietet.
AS: Wie wissenschaftlich fundiert sind seine Thesen?
WB: Sarrazins Thesen haben Stammtischniveau, und ihre Fundierung durch Statistiken und Zahlenreihen ist nicht stichhaltig. Das ist längst untersucht und bewiesen. Doch das interessiert seine Anhänger und Sympathisanten nicht.
AS: Mich hat in Ihrem Buch auch geärgert, dass die religionsbezogene Kriminalstatistik, auf die sich Sarrazin und andere berufen, um eine angeblich erhöhte Gewaltbereitschaft von Muslimen nachzuweisen, gar nicht existiert. Es gab viele namhafte Leute, die – selbst wenn sie Sarrazins Meinungen nicht teilten –, dennoch lobten, dass er eine dringend notwendige Debatte angestoßen habe. Hat er den Diskurs über die Integration voran gebracht?
WB: Herr Sarrazin hat den Diskurs über Integration weder angestoßen noch vorangebracht. Er ist lediglich mit Gebrüll in eine Sackgasse gestürmt.
AS: Wie nehmen Muslime in Deutschland die Mehrheitsgesellschaft und sich als Minorität wahr?
WB: Ich weiß es nicht. Die Umfragen dazu gibt es noch nicht.
AS: Aus Ihren Interviews mit aktiven Vertretern des muslimischen Kulturkreises wird deutlich, dass Muslime ihre Diskriminierung mittlerweile für »normal« halten und sich in der deutschen Gesellschaft entsprechend stigmatisiert und ausgegrenzt fühlen. Fast resigniert, kommt mir das vor. Kann man von einer Wechselwirkung sprechen, die zur Ausgrenzung bzw. Isolierung der Muslime in der deutschen Gesellschaft führt? Gibt es eine selbst erfüllende Prophezeiung, eine negative Dynamik?
WB: Es gibt die Wechselwirkung, bei der eine Ausgrenzung durch die Mehrheit zur Isolierung, zur Ghettoisierung der Minderheit führt. Je mehr Abneigung der Minderheit entgegenschlägt, desto mehr schließt sie sich zusammen und geht in Abwehrstellung. Das macht ihr die Mehrheit dann wieder zum Vorwurf.
AS: Seit Jahren sind die Bücher von Frauen aus dem muslimischen Kulturkreis, die dem Islam – ich würde sagen: der Tradition ihrer Familie – aufgrund persönlicher Leidensgeschichten den Rücken gekehrt haben, unter deutschen Lesern und vor allem Leserinnen besonders populär. Ich nenne hier vor allem Necla Kelek, Ayan Hirsi Ali oder Seyran Ates. Woher kommt diese Identifikation?
WB: Kronzeugen gelten als authentisch und glaubwürdig. Auch wenn sie nur eigene Emotionen zum Ausdruck bringen, wird das von Interessenten als allgemeingültig gewertet. Kronzeugen werden instrumentalisiert und ausgenutzt. Sie genießen die Popularität, die ihnen aus ihrer Rolle erwächst.
AS: Helfen solche Bücher den muslimischen Frauen? Und wie sieht es mit Alice Schwarzers Einsatz für die Musliminnen-Rechte aus?
WB: Nein, das tun sie nicht. Auch Alice Schwarzers Theatereffekte helfen den Musliminnen nicht. Diese verwahren sich gegen die unerbetene Bundesgenossin.
AS: Es ist ja nicht nur die Ablehnung von Muslimen sehr verbreitet, auch der Antisemitismus zeigt sich wieder sehr viel offener, er ist wieder »salonfähig«. Laut einem Expertenbericht, der Anfang dieses Jahres dem Bundestag vorgelegt wurde, sind rund 20 Prozent aller Deutschen »latent antisemitisch«. Warum sind so viele Deutsche rassistisch und fremdenfeindlich – haben sie nichts aus ihrer Geschichte gelernt?
WB: Der Expertenbericht über den Antisemitismus bringt nichts Neues. Dass 20 % der Deutschen Ressentiments gegen Juden haben, ist seit Jahrzehnten immer wieder durch Demoskopen bestätigt worden. Aber der Unterschied besteht darin, dass die judenfeindlichen Ressentiments auf der Ebene der Einstellung latent sind und in der philosemitischen politischen Kultur unseres Landes nicht zum Ausbruch kommen. Niemand agitiert ungestraft öffentlich gegen Judentum und Juden, wohl aber gegen den Islam und die Muslime. Die Vorstellung, der Mensch lerne gerne aus der Geschichte, und nach der Katastrophe des Holocaust könne es also keinen Antisemitismus mehr geben, ist naiv.
AS: Feindbilder haben ja unter anderem die Funktion, die eigene Identität aufzuwerten. Könnte es sein, dass die Deutschen ein Identitätsproblem haben? Etwa, weil es am Ende des Dritten Reichs einen abrupten Zusammenbruch ihrer über den Nationalsozialismus definierten Identität gab, die sie anschließend meist nicht durch eine neue zu ersetzen in der Lage waren, insbesondere, weil sie sich mit den Tätern in den eigenen Familien nicht auseinandergesetzt haben?
WB: Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind Ausdruck von Identitätsproblemen, von Angst und Unsicherheit. Deshalb sind nicht nur Deutsche oder Schweizer oder Österreicher anfällig dafür, Probleme der eigenen Gesellschaft durch Ausgrenzung (von Minderheiten, von Fremden, von Ausländern) zu lösen oder wenigstens zu beschwichtigen.
AS: Wie sieht es in anderen Ländern aus?
WB: Das Beispiel Ungarn lehrt uns, dass die Stigmatisierung von Minderheiten – dort sind es vor allem Juden und Roma – als Heilmittel gegen nationale Traumata benutzt wird. Die Schweiz hat viel Beifall bei deutschen Muslimfeinden für das Minarett-Verbot erhalten, und Ausländerfeindlichkeit erscheint Vielen ein probates Mittel, Bedrohungs- und Überfremdungsängste zu lindern. Die Ethnisierung von sozialen Problemen löst dieselben nicht, benennt aber vermeintlich Schuldige. Das beruhigt offenbar Viele, Politiker wie Bürger.
AS: Gibt es Untersuchungen darüber, welche Bevölkerungsschichten besonders negativ gegenüber Muslimen eingestellt sind? In ihrem Buch sagen Sie, bei Thilo Sarrazins Fans handele es sich überwiegend um »besitzendes, gebildetes Bürgertum, keineswegs [um] die an den Reibeflächen der Integration lebenden Bewohner sozial prekärer Wohngegenden«. Wenn ich aber z. B. an Kreuzberg in Berlin denke, wo ein hoher Anteil von Menschen türkischer Herkunft leben: Sind die Anfeindungen dort nicht besonders geballt?
WB: Es braucht keinen Kontakt, um eine Bevölkerungsgruppe abzulehnen. Wie der Antisemitismus ohne Juden funktioniert, so sind es nicht Muslime in der Nachbarschaft, die Hass gegen den Islam auslösen. Im Gegenteil: In Berlin-Kreuzberg, wo viele Menschen türkischer Herkunft leben, funktioniert das Zusammenleben recht gut.
AS: Gerade die Menschen, die Muslime gar nicht persönlich kennen, haben also besonders überzogene Klischees und Vorurteile?
WB: Antisemitismus wird nicht durch Eigenschaften oder Handlungen von Juden ausgelöst, sondern entsteht in den Köpfen der Mehrheit. Genauso verhält es sich mit der Abneigung gegen Muslime: Sie dienen als Projektionsfläche für Ängste in der Mehrheitsgesellschaft, die mit stereotypen Vorstellungen transportiert werden.
AS: Hat das etwas mit tiefsitzenden, althergebrachten Feindbildern zu tun oder spielt hier auch die Entsolidarisierung der Gesellschaften eine Rolle, die seit vielen Jahren durch den Neoliberalismus im Gange ist?
WB: Muslimfeindschaft ist wie Judenfeindschaft irreal und irrational. Sie benützt tradierte Feindbilder und gedeiht auf dem Nährboden sozialer, ökonomischer und emotionaler Krisen.
AS: Folgerichtig wäre doch eigentlich, dass sich die Minderheiten zusammentun, um sich gegenüber der Mehrheitsgesellschaft zu stärken. Es ist jedoch vielmehr zu beobachten, dass zum Beispiel jüdische Intellektuelle wie Ralph Giordano oder Henryk Broder besonders polemisch gegen den Islam und die Muslime wettern.
WB: Es gibt durchaus auch Beispiele für das Zusammenwirken von jüdischen und muslimischen Deutschen. Aber das ist noch nicht die Regel. Die Propagandisten von Feindbildern sind wirkungsmächtig, weil sie prominent sind, und Prominenz gilt in der Mediengesellschaft als Nachweis von Kompetenz und Seriosität.
AS: Gibt es hier einen Opferwettbewerb und eine Monopolisierung des Leidens?
WB: Das ist unübersehbar.
AS: Zum Antritt seiner ersten Amtszeit versuchte der US-Präsident Barack Obama die Politik seines Vorgängers Bush zu durchbrechen und regte einen Dialog mit der islamischen Welt an. Ist das der richtige Weg auch hier in Deutschland?
WB: Dialog ist nicht nur der richtige, sondern der einzig Erfolg versprechende Weg.
AS: Wie könnte es zu einem Dialog kommen, der der Demokratie förderlich ist und Minderheiten in Deutschland in den Diskurs einbezieht?
WB: Der Dialog muss aus der Mehrheit heraus angeboten werden. Das Gespräch auf Augenhöhe ist der Beginn für alles weitere.
AS: Der Journalist Yassin Musharbash hat den Roman „Radikal“ geschrieben – darin geht es um einen Verschwörungsring von Islamhassern aus gehobenen, einflussreichen Kreisen, die im Geheimen gegen Muslime agitieren und sie sogar umbringen: Ist das reine Fiktion?
WB: Ich hoffe sehr, dass das Fiktion bleibt.
Wolfgang Benz: Die Feinde aus dem Morgenland. Wie die Angst vor den Muslimen unsere Demokratie gefährdet C.H. Beck München, 2012, 220 Seiten, 12.95 Euro