Kann und soll das Kulturleben einer Stadt zu Markte getragen werden? Was für ein Paket von Angeboten wäre zu diesem Zweck zu schnüren? – Fragen zu einem Versuch, mit Kulturmarketing den lahmenden Tourismus zu neu zu beleben.
Am Grendel und am Kapellplatz in Luzerns Altstadt kaufte man vor ein paar Jahren noch Kleider, Bücher und sogar Brot. Jetzt reiht sich ein Uhrengeschäft ans nächste. In den Schaufenstern glitzern Gold und Diamanten im gleissenden Licht der Spots. Das Problem ist nur: Käuferinnen und Käufer, die für eine Uhr 30’000 Franken hinblättern, sind selten geworden. Wohl flanieren wieder Touristen aus fast aller Herren Länder durch die Gassen, doch die Gruppen aus Asien, die am Schwanenplatz die Cars für zwei Stunden verliessen, bleiben aus. Luzerns Tourismus erwacht nur langsam.
Lief da etwas falsch? Brachte Corona alles aus dem Gleichgewicht? Sind Korrekturen angesagt? Luzerns Stadtmarketing fokussierte offiziell nie auf den Brand «Uhrenstadt». Faktisch aber war es so. Warum also nicht einfach eine neue Marke erfinden, wenn die alte nicht mehr taugt?
Flugs trafen sich Vertreterinnen und Vertreter von Luzern Tourismus, des Lucerne Festivals, des Luzerner Sinfonieorchesters und des KKL, bildeten eine IG und erfanden gemeinsam mit den Kulturbeauftragten von Kanton und Stadt Luzern den neuen Brand «Musikstadt Luzern». Ein ebenso flugs vom höchst prominenten Werber Dennis Lück geschaffenes Logo soll helfen, mit dem neuen Begriff die Stadt international zu vermarkten. Lück half als Werber Olaf Scholz erfolgreich auf den Kanzler-Thron, warb für BMW und spielt in einer Heavy-Metal-Band die Gitarre.
Wirtschaft im Fokus
Dass es um Wirtschaft geht und nicht oder nur am Rand um Musik, gesteht man offen ein. Schliesslich (und glücklicherweise) stammt der öffentliche Beitrag von 120’000 Franken an die Anfangskosten der Kampagne (den gleichen Betrag bringen die beteiligten Kulturinstitute auf) von der Wirtschaftsförderung und nicht aus dem Kulturtopf.
Das ist auch folgerichtig, denn die Vermutung liegt nahe: Tourismus Luzern hat einen Kurswechsel im Auge. Statt auf die Massen, die sich durch die Altstadt und entlang der Reuss drängen, ein Selfie mit Wasserturm und Kapellbrücke knipsen und wieder von dannen ziehen, will man lieber auf Qualität und – trendgerecht – auf Nachhaltigkeit setzen. Man bevorzugt Einzeltouristen, die ein paar Tage im Vier- oder Fünfsternehaus verbringen. Zielgruppe ist ein finanziell gut gepolstertes und womöglich auch intellektuell und kulturell anspruchsvolles Publikum, das gerne ein klassisches Konzertangebot nutzt und auch bezahlt. Das mag gegen Overtourism helfen und die des Tourismus müde Luzerner Bevölkerung besänftigen.
Zäune und Mauern
Alles bestens. Vielleicht führt die Strategie wirklich zum Ziel. Doch es bleiben ein paar Fragen.
Zum Beispiel: Welche Musik denn ist gemeint? Sieht man, wer die «Musikstadt Luzern» vertritt, so ist es klar das klassische Konzertangebot im schönen KKL-Ambiente. Das ist eine Engführung, auch wenn sich das Lucerne Festival vom Image bürgerlich-gepflegter Exklusivität gelöst hat und vor allem gegenüber zeitgenössischer Musik offen geworden ist. Von offizieller Seite war kaum davon die Rede, dass es neben diesem Angebot auch andere musikalische Formen gibt, die sich vielleicht nicht so leicht touristisch-wirtschaftlich nutzen lassen, die aber in sehr viel grössere gesellschaftliche Bereiche ausgreifen, ob das nun Volksmusik, Jazz, Chorgesang oder freie musikalische Äusserungen sind.
Vor allem: Die neue IG errichtet mit dem Begriff «Musikstadt» Zäune und Mauern. Er grenzt ab und aus. Oder er bedient sich – um ein anderes Bild zu verwenden – längst obsolet gewordener Schubladen: In dieses Fach gehört die «klassische» Musik, ins nächste die Volksmusik, in ein weit entferntes vielleicht Rock oder Folk, in weitere Theater, Tanz oder bildende Kunst. Irgendwo wären auch Architektur und Design unterzubringen. Alles soll seinen Platz haben – als ob sich die Dinge so leicht separieren liessen.
Doch Marketingfachleute lieben simple Slogans. Vor den Medien sagte KKL-CEO Philipp Keller am vergangenen Freitag, es sei wichtig, «nicht Einzel-Brands zu vermarkten, sondern diese zu verknüpfen. Das wird aber schwieriger, je mehr Akteure beteiligt sind». Will man also, weil es schwieriger wird, unter sich bleiben? In den Köpfen sehr vieler Künstlerinnen und Künstler trennen Grenzen aber längst nicht mehr. Sie sind durchlässig geworden. Musikerinnen und Musiker sehen sich auch nicht zuerst als Marketing-Faktor, und wenn es um kulturelle Phänomene geht, wird es, um Kellers Worte zu gebrauchen, stets «schwieriger». Mit simplen Slogans und einem noch so hübschen Logo ist diesen Schwierigkeiten nicht beizukommen. Denn diese liegen in der Natur der Sache. Kultur muss diesen Schwierigkeiten weder ausweichen noch sie lösen. Sie muss mit ihnen leben können. Vielleicht gehört eben dieses Vermögen zu ihrem Wesen. Damit ist allerdings nur sehr schwer griffiges Marketing zu machen.
«Kulturstadt» als Ersatz?
Als Kritik an «Musikstadt Luzern» wurde sogleich der Vorschlag laut, man möge doch von «Kulturstadt» reden. Dann wäre das Kunstmuseum mit von der Partie. Und vielleicht auch die Fachhochschulen Musik und Design & Kunst. Da wären alle einträchtig beisammen. Gegenfrage: Lässt sich, was die Kultur einer Stadt oder einer Region ausmacht, überhaupt in einen Brand verpacken? Das setzt tiefergreifende Überlegungen voraus. Man stiesse dabei auf eine Welt voller Widersprüche und Überschneidungen und vor allem voller Ungenauigkeiten. Es ginge um Atmosphäre, wechselseitige Partizipation, Rücksichtnahmen, Hilfeleistungen, um soziale Aspekte, um Politisches im weitesten Sinn von Öffentlichkeit und ihrer Gestaltung. Da wäre plötzlich von Wanderwegen oder vom öffentlichen Nahverkehr und Quartiererschliessungen die Rede, von Bildung auf allen Stufen ohnehin, vielleicht gar von Gastronomie. Auf einen einfachen Nenner ist all das nicht zu bringen. «Kulturstadt» wäre eine Etikette mit zu viel – oder gerade darum ohne – Inhalt.
Überhaupt: Braucht eine Stadt einen Brand? Der Marketingbegriff stammt aus dem Englischen und hängt zusammen mit dem Brandmarken der Rinder mit dem Zeichen des Eigentümers auf amerikanischen Ranches. Mit «Musikstadt» oder «Kulturstadt» hat das nicht gerade viel zu tun. Vielleicht haben Marketing und Marketingsprache generell nicht allzu viel mit Kultur zu tun.