Nach dem Sieg im Bürgerkrieg über die Nationalisten hat Mao Dsedong 1949 die Volksrepublik fast dreissig Jahre lang beherrscht und mit utopischen Entwürfen – der Grosse Sprung nach vorn mit der katastrophalen Hungersnot 1958–61 und der Grossen Proletarischen Kulturrevolution 1966–76 – an den Rand des sozialen, ideologischen und wirtschaftlichen Kollapses gebracht. Aussenpolitisch stand das Land damals mitten im Kalten Krieg noch ganz im Schatten der Sowjetunion. Der Bruch mit den «sowjetischen Brüdern» erfolgte jedoch früh, d. h. bereits anfangs der 1960er Jahre. Mao profilierte China danach als Vorbild für die nicht Pakt-gebundenen Staaten, zumal in Indien und in Afrika.
Boykottiert und isoliert
Bereits in der revolutionären Phase, vorab in den 1930er und 1940er Jahren, setzte Mao ideologische Ausrufzeichen, die in Moskau und bei der Internationalen nicht gut ankamen. Ungleich der Sowjetunion galten nämlich für Chinas Kommunisten nicht die Proletarier, sondern die Bauern als Avantgarde der Revolution. Dass sich die neu gegründete Volksrepublik 1949 wieder enger an die Sowjets anschloss, hatte vor allem wirtschaftliche Gründe. China wurde vom Westen boykottiert und – ähnlich wie heute Nordkorea – komplett isoliert. Hilfe für das neu gegründete, vom langen Krieg gegen Japan (1937–45) und dem Bürgerkrieg (1945–49) geschundene Land konnte nur aus Moskau kommen.
Präsident der Bridge-Gesellschaft
Nach Maos Tod übernahm der grosse Revolutionär Deng Xiaoping die Macht. Er war zwar lange Zeit ein treuer Kampfgefährte Maos, wurde aber während der Kulturrevolution als «Kapitalist» gedemütigt und als einfacher Arbeiter in die Provinz abgeschoben. Deng kam 1976 als Vizepremier wieder an der Macht, weil nach dem Chaos der Kulturrevolution ein effizienter Organisator gefragt war. Deng hielt die Zügel fortan fest in der Hand, allerdings nie als Parteichef oder Premierminister. Das Amt des Chefs der mächtigen Militärkommission schien ihm ausreichend. Abseits der Politik war er immerhin Präsident der chinesischen Bridge-Gesellschaft ...
Staatskapitalismus
Deng entfachte Ende 1978 die chinesische Wirtschaftsreform, die angesichts der schnellen und überwältigenden Resultate auch als Revolution bezeichnet werden könnte. Der chinesische Staatskapitalismus entwickelte sich schneller als beispielsweise die zu Beginn nach ähnlichem Muster handelnden Volkswirtschaften etwa in Japan, Südkorea oder Taiwan. Im Westen wurde deshalb China in den 1980er Jahren durchwegs positiv beurteilt. Die USA hatten sich zur Überraschung der Weltöffentlichkeit bereits 1972 mit Mao verständigt, und nahmen 1979 diplomatische Beziehungen mit dem Reich der Mitte auf.
Positiver China-Hype
Westliche Politiker, Kommentatoren und Medien gingen aufgrund der damals gängigen Konvergenztheorie davon aus, dass mit der Wirtschaftsentwicklung auch langsam, aber sicher demokratische Verhältnisse Einzug halten würden. Die meisten westlichen Beobachter übersahen im damaligen China-Hype jedoch die Worte Deng Xiaopings, wonach die KP alles unternehmen werde, die Macht zu erhalten. Bei der gewaltsamen Unterdrückung der Arbeiter- und Studentenunruhen 1989 auf dem Platz vor dem Tor des himmlischen Friedens Tiananmen und anderswo in China wurden die westlichen Beobachter unsanft aus ihren ideologischen Träumen gerissen. Die Berichterstattung im Westen wechselte abrupt von unkritischem Optimismus direkt zu negativer, pessimistischer Einschätzung. Bis heute.
Kaiserliche Südreise
Mit der kaiserlichen Südreise stärkte Deng Xiaoping 1992 die Reform-Fraktion innerhalb der allmächtigen Kommunistischen Partei Chinas. Produktivität und Wachstum des Landes explodierten förmlich, nicht zuletzt unter kundigen Parteiführern und Premierministern, wie zum Beispiel Jiang Zemin und Zhu Rongji. China wurde stark und stärker. Nach über einem «Jahrhundert der Schande» macht sich China jetzt dezidiert daran, den Traum von Staats-, Partei- und Militärchef Xi Jinping wahr zu machen. Dem grossen kommunistischen Träumer – seit 2012 an der Macht – schwebt nämlich eine Verjüngung und eine neuen Blüte des Landes vor. Zum 100. Gründungstag der KPCh soll China ein «Land mit bescheidenem Wohlstand» sein. Am 100. Gründungstag der Volksrepublik 2049 dann wird nach Xis Vision China zum modernen, sozialistischen Staat mit chinesischen Besonderheiten mutieren.
Selbstbewusst
Während Reformübervater Deng Xiaoping zu Beginn der Reform noch dazu riet, die Aspirationen Chinas möglichst still und bescheiden zu halten, gibt sich nun Xi Jinping zum Wohlgefallen der meisten Chinesinnen und Chinesen selbstbewusst. Grosse Entwürfe wie die «Neue Seidenstrasse zu Wasser und zu Lande» oder der Ausbau der Streitkräfte zu einer modernen Armee werden deshalb im Westen argwöhnisch verfolgt.
Zentrum Eurasien
Für viele westliche Politiker und Medien ist deshalb schon heute klar, dass China nur eine Absicht hat, nämlich die USA als weltbestimmende Grossmacht abzulösen. Gewiss, China wird die kommenden Jahrzehnte stark prägen. Doch ein Hegemon – wie Spanien/Portugal und Frankreich im 16. und 17. Jahrhundert, Grossbritannien im 18. und 19. Jahrhundert und die USA im 20. Jahrhundert – wird China nicht. Die Welt ist komplexer geworden. Politisch, sozial und wirtschaftlich. Richtig allerdings ist, dass sich das Zentrum vom Atlantik nach Asien verschoben hat. Seit über fünfzig Jahren notabene. Dass allerdings haben nach 500 Jahren Vorherrschaft nur wenige Europäer mitbekommen. Selbst viele westliche Sinologen haben nicht begriffen, dass das europäische Weltzeitalter 1999 mit der Rückgabe der letzten portugiesischen Kolonie Macao an China endgültig der Vergangenheit angehört.
Das laufende Jahrhundert wird jedenfalls sein Zentrum in Eurasien haben. Die neu formierte Welt wird bestimmt werden von Grossmächten wie China und Indien. Aber auch Amerika ist noch längst nicht alte Geschichte. Dazu kommen mittlere Staaten wie etwa Indonesien, die Türkei, Nigeria oder Brasilien sowie die Europäische Union EU oder die Assoziation Südostasiatischer Staaten Asean. Mit andern Worten, eine multipolare Welt zeichnet sich ab. Das 21. Jahrhundert jedoch wird nicht, wie westliche Kommentatoren oft gerne und angstvoll schwadronieren, ein «Chinesisches Jahrhundert» sein.