Es wären dem Papst bessere Berater zu wünschen. Im buddhistischen Myanmar, wo seit August über eine halbe Million muslimische Rohingya wegen militärischer Gewalt die Flucht ins benachbarte Bangladesh ergriffen, wären klare Worte nötig gewesen. Doch Klartext hätte die verschwindend kleine Minderheit von Christen in Gefahr gebracht. Der Papst beliess es dann mit moralischen Allgemeinheiten und mied das in Burma verpönte R-Wort Rohingya wie der sprichwörtliche Teufel das Weihwasser.
Das R-Wort
Selbst der Erzbischof von Yangon, Kardinal Charles Maung Bo, riet dringend davon ab, das R-Wort in den Mund zu nehmen. Anstatt Rohingya sollte der Ausdruck «Muslime aus dem Bundesstaat Rakhine» verwendet werden. Kardinal Bo hält auch den «globalen Aufschrei» gegen Aung San Suu Kyi für verfehlt. Jene Suu Kyi notabene, die von einem «Eisberg von Falschinformationen» über die «Bengali» spricht und «Terroristen» für die Gewalt in Rakhine verantwortlich macht. Wahr daran ist nur, dass in einer Aktion am 25. August die militante Splittergruppe Arakan Rohingya Salvation Army eine Polizei- und Militärstation angriff und mehrere Soldaten und Polizisten tötete. Die Armee begriff das als Freipass für eine seit Jahrzehnten verfolgte Politik. Diesmal freilich wollten die Militärs das Problem ein für allemal mit Mord, Totschlag, Brandschatzung und Vergewaltigungen lösen. Über 600’000 Rohingyas flüchteten ins benachbarte Bangladesh. Die Uno spricht heute von «ethnischer Säuberung».
«Eindringlinge aus Bangladesh»
Aung San Suu Kyi freilich hat die 54-Millionen-Bevölkerung – weit über 90 Prozent sind Buddhisten – hinter sich. Buddhismus ist in Myanmar Staatsreligion. Seit es im Zuge demokratischer Reformen Presse- und Meinungsfreiheit gibt, hetzt ein Teil einflussreicher buddhistischer Mönche im Internet und den Medien auf übelste Weise gegen die Muslime im Allgemeinen und die Rohingya im Besonderen. Die Rohingya sind seit Generationen, zum Teil seit über 200 Jahren, im Land. Von den Burmesen, ja selbst von den katholischen Bischöfen, werden sie als «Eindringlinge aus Bangladesh» bezeichnet. Der buddhistische Chauvinismus mutiert zu einem ethnisch-religiösen Nationalismus. Auch Rassismus spielt eine nicht unwesentliche Rolle. Die dunkelhäutigen Rohingya werden in Myanmar nur als minderwertige «Bengali» wahrgenommen. Mit andern Worten: Benutzte die zur Realpolitikerin gereifte Aung San Suu Kyi das R-Wort, wären ihre Wahlchancen 2020 gleich null.
«Ins Gebet eingeschlossen»
Ungleich Suu Kyi, ist Papst Franziskus nicht Realpolitiker, sondern profiliert sich seit Jahren für die Schwachen und Unterdrückten mit dem moralischen Mantra von Aussöhnung, Dialog und Milderung der Not. Franziskus hat in den letzten Monaten wiederholt die Gewalt der burmesischen Militärs verurteilt und sich mit den Rohingya solidarisiert. Noch im August hat sich der Papst, freilich im heimischen Vatikan, explizit gegen die Verfolgung «unserer Rohingya-Brüder und Schwestern» ausgesprochen und die Rohingya ins «Gebet eingeschlossen». Neben Gebeten wäre freilich den über eine halbe Million Flüchtlingen in Bangladesh wohl auch einige Dutzend Millionen Dollar des steinreichen Vatikans wohl noch willkommener …
Frieden
In Burmas Hauptstadt Naypyidaw salbaderte Franziskus mit schönen Worten: wichtig sei es, die «Achtung der Rechte aller zu garantieren, welche das Land als ihr Zuhause ansehen». Im Gespräch mit buddhistischen Mönchen sagte er: «Die Zukunft Myanmars muss der Friede sein, ein Friede, der sich auf die Achtung der Würde und der Rechte eines jeden Mitgliedes der Gesellschaft gründet, auf die Achtung jeder ethnischen Gruppe und ihrer Identität.» Vor Hunderttausenden von Christen las Franziskus die Messe und vermied sorgfältig das R-Wort. Friede, Freude, Eierkuchen.
Von den Militärs vorgeführt
Franziskus wurde gleich bei der Ankunft in Myanmar regelrecht vorgeführt. Noch bevor er mit den burmesischen Bischöfen, den buddhistischen Mönchen oder mit der Staatsrätin und Aussenministerin Aung San Suu Kyi reden konnte, wurde er zu Armeechef Min Aung Hlaing zitiert. Damit wurde wieder einmal klar, wer in Myanmar trotz demokratischen Reformen immer noch an der Macht ist. Im Parlament nämlich haben die Militärs eine Sperrminorität zur Verhinderung jeglicher Verfassungsänderung. Zudem besetzen sie selbständig die Schlüsselministerien des Innern, des Grenzschutzes und der Verteidigung. Mit einem Federstrich könnten die Militärs jederzeit die demokratischen Reformen für null und nichtig erklären. Dem Papst sagte der General, einst enger Vertrauter von Langzeit-Diktator Than Shwe, in Burma gebe es «keine ethnische und religiöse Diskriminierung». «Terroristen», so der General, seien für die Situation in dem an Bangladesh angrenzenden Bundesstaat verantwortlich. Ob der Papst geantwortet, betreten geschwiegen oder gar gebetet hat, ist nicht überliefert.
Interessenpolitik Chinas
Nach Burma besuchte der Pontifex Maximus das muslimische Bangladesh, ein Land, wo es mit 0,25 Prozent der Bevölkerung noch weniger Christen als im östlichen Nachbarland gibt. Auch in Dhaka vermied der Papst am Anfang das R-Wort. Er sprach vielmehr von «Flüchtlingen, die in Massen aus dem burmesischen Bundesstaat Rakhine» gekommen seien, und forderte zu «entscheidenden Massnahmen» in der Flüchtlingskrise auf. Der Vatikan freilich hat ausser Worten noch wenig zur Lösung des Problems beigetragen. Das erledigt China mit besten Beziehungen sowohl zu Myanmar als auch zu Bangladesh. Kein Wunder, denn China hat mit Öl- und Erdgas-Pipelines sowie dem Ausbau des Tiefseehafens Kyaukphyu im Rhakine-Bundesstaat handfeste Interessen. Kurz nach dem Papstbesuch ist nicht von ungefähr Aussenministerin und Staatsrätin Aung San Suu Kyi nach Peking gereist. Zwischen Bangladesh und Myanmar gibt es unterdessen ein Memorandum of Understanding zur Rückführung der derzeit in desolaten Lagern hausenden 800’000 Rohingya-Flüchtlingen nach Myanmar. China vermittelt. Es werden komplizierte und lange Gespräche.
«Nicht wegschauen»
In Bangladesh äusserte sich der Erzbischof von Chittagong – in dessen Provinz auch das berüchtigte Flüchtlingslager bei Cox’s Bazar liegt – vor dem Papstbesuch hoffnungsvoll: «Ich weiss, dass er nicht ohne ein Wort wieder gehen kann.» Bei einem interreligiösen Friedenstreffen ganz am Schluss des Pastoralbesuches in Dhaka und in Anwesenheit von Rohingya-Flüchtlingen nahm der Papst dann doch noch das R-Wort in den Mund: «Die Anwesenheit Gottes heisst heute auch Rohingya. Wir werden sie weiterhin im Bemühen unterstützen, dass ihre Rechte anerkannt werden. Wir werden unsere Herzen nicht verschliessen und nicht wegschauen.»
Randfigur
Im Westen jedoch sollte man sich nichts vormachen. Der Papst ist in Asien eine Randfigur, was mit dem eurozentrischen Blickwinkel der meisten westlichen Experten und Medien-Korrespondenten schnell vergessen geht. Eine moralische Autorität ist Franziskus nach seinem Myanmar-Besuch gewiss auch nicht mehr. Zudem: Dass neben Islam und Christentum auch der Buddhismus eine gewalttätige Seite aufweist, wird viele im Westen überraschen, aber der buddhistische Chauvinismus und Rassismus in Myanmar, aber auch in Sri Lanka sollte jenseits aller Schwärmereien wahrgenommen werden.