Die Pressekonferenz hatte um 11.00 Uhr begonnen. Erst um 12.00 Uhr liess Monti die Katze aus dem Sack. Er werde sich nicht vor den Karren der italienischen Mitte-Parteien spannen lassen, er werde keinen Wahlkampf betreiben. „Ich ergreife Partei für niemanden.“
Noch am Mittwoch war man im Rom davon ausgegangen, Monti könnte als Vertreter der gemässigten Kräfte in die Wahlen vom 24. und 25. Februar ziehen. Meinungsumfragen sagten einem Monti-Block zwischen 20 und 25 Prozent der Stimmen voraus.
Politisches Manifest
Doch schon am Freitag zeichnete sich ab, dass sich Monti aus dem Wahlkampf heraushalten will. Er glaubt offenbar nicht daran, dass das Zentrum genügend Kräfte mobilisieren kann, um eine gewichtige Rolle zu spielen. „Ich bin nicht Kandidat irgendeiner politischen Koalition“, sagte er am Sonntag.
Doch Monti schlägt nicht alle Türen zu. Er präsentierte eine Art politisches Manifest: eine Agenda mit dem Titel „Italien verändern, Europa verändern“. Wenn es genügend Kräfte gebe, die dieses Manifest unterstützten, könnte er sich vorstellen, erneut Ministerpräsident zu werden.
Monti betonte, er habe vor 13 Monaten das Land „in einer gefährlichen Lage“ angetreten. Doch Italien habe es in diesem Jahr geschafft, aus eigener Kraft auf den richtigen Weg zu gelangen und aus der grössten Krise herauszukommen. „Die Italiener können wieder erhobenen Hauptes nach Europa gehen.“
“Ich bin es müde, Berlusconis Gedanken zu folgen“
Während seines vom Fernsehen übertragenen zweistündigen Auftritts ritt Monti eine fast brutale Attacke gegen Berlusconi. „Ich bin es müde, dem Gang seiner Gedanken zu folgen“, sagte Monti. Berlusconi sage jeden Tag etwas anderes. Zuerst habe er ihn gelobt, dann verurteilt. Hin und her. Vorletzte Woche sagte Berlusconi, Monti sei sein Wunschkandidat als neuer Premierminister. Vorgestern erklärte Berlusconi, die Regierung Monti sei ein Desaster, ausser Steuererhöhungen nichts gewesen. „Ich kann dieser geistige Entwicklung nicht folgen“, sagte Monti süffisant.
Seit Tagen verspricht Berlusconi, er werde sofort die unbeliebte neue Immobiliensteuer (Imu) wieder abschaffen. „Es ist bellissimo, zu versprechen, die Steuern zu senken oder abzuschaffen“, konterte Monti jetzt. „Wer das tut, wird in einem Jahr die Immobiliensteuer verdoppeln müssen.“
Eine Mauer gegen Berlusconi
Im Vorfeld der Medienkonferenz sprach Monti mit der Zeitung „La Repubblica“. Dabei erklärte der scheidende Ministerpräsident, das Zentrum müsse sich nach den Wahlen mit der Linken gegen Berlusconi verbünden. „Wir müssen gemeinsam eine Mauer aufbauen, um das Wiedererstarken der populistischen Rechten zu verhindern.“
An der Medienkonferenz kritisierte Monti Berlusconi auch wegen seiner fehlenden Bereitschaft, die Korruption zu bekämpfen. Zudem habe Berlusconi Gesetze gestrickt, die nur seiner Person dienten. „Es wäre besser, Gesetze ad nationem zu schaffen, statt Gesetze ad personam.“
Doch nicht nur Berlusconi kriegte Fett ab. Monti kritisierte auch den linken Flügel des „Partito Democratio“ und die Gewerkschaften. Sie hätten die dringend nötige Arbeitsmarktreform verhindert.
Wie ein Getriebener
Seit Tagen stand Monti dem krankhaften Hass Berlusconis und der geballten Macht seines Medien-Imperiums gegenüber. Monti sei „ein kleiner Player“ („piccolo protagonista“), sagt Berlusconi.
Berlusconi wirkt wie ein Getrieber, als stünde er unter Drogen. Er flitzt von einem Fernseh- oder Radiostudio zum nächsten. „Er schläft kaum“, sagt einer seiner Freunde. Er versprüht nur noch Pech und Schwefel, Unsinn und faustdicke Lügen.
Europa sei an allem schuld, vor allem Deutschland, vor allem Merkel. Er geisselt den „teutonischen Egoismus“, bezeichnet Merkel als Diktatorin und spricht vom „germano-zentrischen Europa“. Er spielt mit dem Gedanken, die Lira wieder einzuführen und aus der EU auszutreten.
Wider besseres Wissen
Als er am Mittwoch noch geglaubt hatte, Monti würde für die Gemässigten ins Rennen steigen, titelte die Berlusconi-Zeitung „Il Giornale“: "Monti führt die Liste von Merkel an“ („Monti fa la lista Merkel“).
Er kündigte an, er werde als Ministerpräsident die Zahl der Parlamentarier, Regional- und Provinzräte um 50 Prozent reduzieren. Berlusconi vergass, dass er diese populistische Forderung schon viermal verkündet hat und Jahre lang Zeit gehabt hätte, sie umzusetzen.
Das Verrückte bei Berlusconi ist, dass er irgendetwas erzählt, die Fakten verdreht – und viele glauben ihm. Das hat er schon als Ministerpräsident getan. So setzte er wider besseres Wissen komplett falsche Wirtschaftszahlen in die Welt. „Italien geht es gut, sehr gut“, betonte er immer wieder. Italien ging es gar nicht gut.
Die jungen Frauen der Staatsanwaltschaft
So behauptet er neuerdings auch, die Mailänder Staatsanwaltschaft habe ihm junge Frauen in seine Villa geschickt, damit er in eine Falle tappe. Mit der damals minderjährigen Ruby habe er gar nichts zu tun, obwohl erwiesen ist, dass er ihr Millionen bezahlt hat. Und eben: nicht er hat die Wirtschaft ruiniert, sondern „la Merkel“.
Letzte Woche sagte er, Monti sei in Brüssel auf seinen, Berlusconis, Druck hin, von der Europäischen Volkspartei empfangen worden. Monti betonte heute, dass dies erwiesenermassen gelogen ist.
Kein Tag ist letzte Woche vergangen, ohne dass Berlusconi in einer TV- oder Radiostation auftrat. Seine Absicht ist es, so oft wie möglich am Fernsehen zu erscheinen. Zwar gibt es auch in Italien eine Art Aufsichtsbehörde, die „Agcom“. Sie postuliert klar: Auch im Vorfeld des Wahlkampfes muss bei den Fernseh- und Radio-Übertragungen die Präsenz der Politiker „ausgeglichen“ und „paritätisch“ sein. Berlusconi kümmert sich einen Deut darum. Vor allem seine vier eigenen Fernsehstationen sind vollgemüllt mit seinen Auftritten.
Die Agcom hat jetzt entschieden, dass es an den Feiertagen keine Auftritte geben darf. „Also trete ich am Sonntagabend in der öffentlich-rechtlichen RAI auf“, sagt Berlusconi, „Feiertag ist erst am Montag.“
Milliardenschwerer Irrläufer
Es gibt kaum ein Land, das derart viele Gesetze kennt. Doch offenbar gelingt es im überregulierten Italien nicht, einen milliardenschweren Irrläufer in die Schranken zu weisen. Das Land schaut ohnmächtig zu, wie er jeden Abend gegen das Gesetz verstösst und seine Geifereien verbreitet.
Dieses Trommelfeuer kann Wirkung zeigen. Berlusconi ist nicht zu unterschätzen. Er spricht mit seinem billigen Populismus immer wieder diesen oder jenen an. „Nicht ihr seid schlecht und unfähig. Schuld an der Krise seid nicht ihr, sondern das Ausland, die EU, die Merkel.“ Und: „Ich rette euch.“
Dennoch: Berlusconi wird wohl nicht Ministerpräsident werden. Seine PdL-Partei (Popolo della Libertà) hat in den letzten stürmischen Tagen mit seiner medialen Omnipräsenz wieder leicht zugelegt, von 14 auf 18 Prozent. Die Frage ist jetzt, ob sein aggressiver Dauerauftritt an Fernsehen und Radio ihm wirklich hilft oder kontraproduktiv wirkt. Er müsste seinen Stimmenanteil in den nächsten acht Wochen mindestens verdoppeln. Das wird schwierig.
Selbst die rechtspopulistische, fremdenfeindliche Lega Nord steht nicht mehr voll auf seiner Seite. Das hindert Berlusconi nicht, am Sonntag zu behaupten: „Ich mache 40 Prozent und werde Ministerpräsident.“
Italien fehlt eine starke Mitte
Berlusconi scheint den letzten Kampf seines Lebens zu kämpfen. Vielleicht weiss er, dass er am Ende ist. Aber wenn er schon nicht gewinnen kann, will er noch möglichst viel Porzellan zerschlagen. Und das tut er im Moment, tonnenweise.
Die grosse Frage wird sein, bricht seine Partei jetzt auseinander. Es gibt Anzeichen dafür, dass mehrere PdL-Vertreter den Ego-Trip ihrer Galionsfigur nicht mehr hinnehmen. Doch wohin wollen sie desertieren? Wollen sie eine eigene Splitterpartei gründen?
Zu den Problemen der italienischen Politik gehört, dass es seit dem Zusammenbruch der Democrazia Cristiana (DC) im Jahr 1993 keine einflussreiche Mitte-Partei mehr gibt. Die Mitte besteht zurzeit aus drei Formationen: der UDC von Pier Ferdinando Casini, der Bewegung FLI (Futuro e Libertà per l'Italia) von Gianfranco Fini, dem Präsidenten des Abgeordnetenhauses, und der Gruppe von Luca Cordero di Montezemolo, dem Präsidenten von Ferrari.
Doch diese drei Gruppen sind schwach. Zudem sind Pier Ferdinando Casini und der Post-Faschist Gianfranco Fini nicht gerade Identifikationsfiguren, in dessen Nähe sich viele drängen.
Vor einer Schlammschlacht zwischen der Linken und Berlusconi
Die Gefahr besteht jetzt, dass das, was von der Mitte übrig bleibt, im kommenden Wahlkampf vollends aufgerieben wird. Denn jetzt gibt es eine Schlammschlacht zwischen der Linken und der Berlusconi-Partei.
Der sozialdemokratische Mitte-links-Block „Partito Democratico“ (PD) ist zurzeit laut Umfragen mit Abstand die stärkste Formation. Die Linken können (inklusive der Partei „Sinistra, Ecologia, Libertà, SEL) auf rund 40 Prozent der Stimmen kommen. Der 61-jährige Anführer des Partito Democratico, Pier Luigi Bersani, profiliert sich immer mehr als zwar langweilig scheinender, aber verantwortungsbewusst und seriös agierender Politiker. Die meisten Italiener könnten heute damit leben, dass er Ministerpräsident wird. Seine Chancen sind intakt.
Akzeptiert die Linke den rechtsstehenden Monti?
Da gibt es noch eine weitere Unbekannte: Das „Movimente 5 Stelle“, die Fünf-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo. Dabei handelt es sich um eine pure populistische Protestpartei, mit einer kaum greifbaren Ideologie. Nach einem rasanten Aufstieg scheint die Bewegung bereits an Schwung zu verlieren. Doch immerhin kann sie noch immer 15 bis 18 Prozent der Italiener hinter sich scharen.
Der lange Auftritt von Monti am Sonntag hat zwar einige Klärung gebracht. Doch vieles ist völlig offen. Wenn die Linken die Wahlen gewinnen, werden sie dann akzeptieren, dass ihnen Monti vor die Sonne steht und – „unter seinen Bedingungen“ – Ministerpräsident wird? Wohl kaum. Würde Monti unter Bersani auch als Finanzminister dienen? Jedenfalls wird es Bersani nicht einfach haben, den bei den Linken ungeliebten Monti ins Boot zu holen.