Massimo reist oft zu Kongressen ins Ausland. Er ist Kulturbeauftragter in Florenz. „Wenn ich mich als Italiener vorstellte, begannen die Leute zu lachen: Aha, Berlusconi“.
„Man hat uns nicht mehr für voll genommen“, erzählt Massimo. „Berlusconi hat unseren Ruf beschädigt, wir wurden zu Witzfiguren“. In London traf er einen englischen Kulturbeauftragten. Der klopfte sich auf die Schenkel und wieherte: „Fantastic, tell us about Bunga-Bunga“. „Das war demütigend.“
Nicht nur im Ausland hat Italien Schaden genommen. Im Inland machten sich Hoffnungslosigkeit und Lethargie breit. Schlimmer noch: Viele Italiener begannen, sich für ihre Regierung, ihr Land zu schämen. „Der 'Berlusconismus' hängt wie eine Tonne Blei über uns.“, sagte ein Student, der Dokumente für die Volkszählung verteilt.
Ein warmes Gewitter in der Wüste
Und jetzt? Plötzlich ist die Tonne Blei weg. Es ist, als ob sich ein Krampf, eine Leichenstarre zu lösen begänne. Eine Römerin drückte es in einer SMS poetischer aus: „Als ob ein warmes Gewitter auf die Wüste niederginge – und plötzlich blühen wieder Hoffnungen“.
Hoffnungen, die nicht einfach zu erfüllen sind. Doch die neue Regierung gibt vielen Italienern Anlass dazu. Innerhalb einer Woche ist es Mario Monti gelungen, eine hochkarätige Mannschaft zusammenzustellen. Welch ein Wurf! Selten wohl gab es in einer Regierung so viel Fachwissen und Erfahrung. Da fehlen die politischen Schreihälse des früheren Kabinetts.
Jahrelang hat Berlusconi betont, er sei Garant dafür, dass die Kommunisten nicht an die Macht kämen. „Wenn ich abgewählt werde“, sagte er noch vor einem Monat, „kommen die Kommunisten. Eine Alternative zu mir gibt es nicht“. Und noch an diesem Donnerstag spielte er die alte Leier: "Wir dürfen das Land nicht den Linken überlassen".
“Kein demokratisches Land"
Hat er nicht gemerkt, dass die Regierung Monti alles andere als eine linke Regierung ist? Monti selbst führt ad interim die Wirtschaft. Corrado Passera, ein 57jähriger Fast-Schweizer aus Como, übernimmt den Schlüsselposten des Industrieministers. Er war bisher Konzernchef der zweitgrössten italienischen Bank, der Intesa Sanpaolo.
Ob Monti zunächst eine Regierung mit Politikern bilden wollte, ist inzwischen umstritten. Jedenfalls stellte er jetzt die dritte italienische Technokraten-Regierung auf die Beine. Die Abwesenheit von Politikern, die alle eine Hausmacht haben, wird ihm viele unnötige Reibereien ersparen.
Dass nur Fachleute und keine Politiker in der Regierung sitzen, veranlasst Berlusconi schon zu einer ersten Polemik. Italien sei jetzt „kein demokratisches Land“ mehr, sagt er.
Wieso denn nicht? Berlusconi hat in einer demokratischen Ausmarchung die Mehrheit im Parlament verloren. Der Staatspräsident hat, wie es die demokratisch angenommene Verfassung vorsieht, ihn zum Rücktritt aufgefordert und einen Nachfolger präsentiert. Dieser Nachfolger hat, wie es die Verfassung will, ein Kabinett zusammengestellt.
Die Mehrheit des Senats, inklusive der Senatoren der Berlusconi-Partei, hat diesem Kabinett am Donnerstagabend das Vertrauen ausgesprochen. Einzig die Abgeordneten von Umberto Bossis Lega Nord stimmten gegen Monti. Die Grosse Kammer, die camera dei deputati wird wohl am Freitag das Gleiche tun. (Nachtrag vom Freitag: Die Abgeordnetenkammer hat Monti am Freitagabend mit der Rekordzahl von 556 Stimmen das Vertrauen ausgesprochen.) In der Verfassung steht nicht, dass die Regierung aus Politikern bestehen muss. In der Verfassung steht nur, dass beide Kammern dem Kabinett das Vertrauen aussprechen müssen. Das geschieht jetzt.
Fingerspitzengefühl
Die allermeisten Italiener atmen auf, dass Italien jetzt, für eine Zeit lang, eine Regierung ohne Politiker hat. Das erhöht ihren Erfolgswert drastisch. Bei der Zusammensetzung seines Kabinetts hat Monti Fingerspitzengefühl bewiesen. Zwar ist es kein politisches Kabinett, aber Monti ist es doch gelungen, die wichtigen politischen und gesellschaftlichen Strömungen einzubeziehen.
Noch nie gab es in Italien eine Regierung, in der die Frauen so stark waren. Zwar sind nur drei Ministerien mit Frauen besetzt, aber es sind Schlüsselposten. Die Neapolitanerin Paola Severino, eine erfahrene Strafanwältin und Rechtsprofessorin der Römer Universität Luiss, ist an ihrem 63. Geburtstag zur Justizministerin gekürt worden. Es ist das erste Mal, dass in Italien das wichtige Justizministerium mit einer Frau besetzt wird.
Neben Paola Severino ist Anna Maria Cancellieri zur Innenministerin befördert worden. Die ausgewiesene Verwaltungsfachfrau ist erst die zweite Frau, die dieses wichtige Ministerium leitet. Elsa Fornero ist Ministerin für Arbeit und Gleichberechtigung. Die Wirtschaftswissenschaftlerin und Professorin ist auch Spezialistin für Sozialfürsorge.
Berlusconi wird es schwer haben, gegen die neue Regierung Front zu machen. So ist der neue Aussenminister, Giulio Terzi di Sant’Agata, eigentlich ein Berlusconi-Mann. Er ist Spezialist für internationales Recht und war unter Berlusconi Botschafter in Washington. Auch der jetzige Industrieminister Corrado Passera war immer wieder von Berlusconi geködert worden. Berlusconi überlegte sich sogar, ob er die jetzige Justizministerin Paola Severino ins Kabinett holen soll. Gegen solche Leute kann er schwerlich ankämpfen.
Auch die übrigen Ministerien werden von ausgewiesenen Fachleuten besetzt. Vor der katholischen Kirche zieht Monti gleich mit zwei Ernennungen den Hut. Lorenzo Ornaghi wird Kulturminister. Er ist Rektor der katholischen Universität Del Sacro Cuore. Der Geschichtsprofessor Andrea Riccardi wird Minister für Entwicklungshilfe und Einwanderung. Er ist der Gründer der in Afrika tätigen katholischen Laiengemeinschaft Sant’Egidio.
Steuer-, Renten- und Arbeitsmarktreform
In seiner 50-minütigen Programmrede vor dem Senat kündigte Monti am Donnerstag eine Steuer-, Renten und Arbeitsmarktreform an. Der Arbeitsmarkt werde reformiert, aber „in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften“. Die Lohnsteuern würden gesenkt. Im Gegenzug würden die Verbrauchssteuern erhöht. Damit würde das Wachstum der Wirtschaft gefördert. Massnahmen seien dringen nötig, um die Gründung neuer Firmen zu ermöglichen und die Verwaltung effizienter zu gestalten. Er werde alles tun, um die Produktivität zu erhöhen. „Wir brauchen Massnamen, damit die Wirtschaft weniger verkrustet ist." Priorität habe die Schaffung von Arbeitsplätzen für Junge und Frauen.
Monti kündigte auch an, die Kosten für den Politbetrieb zu senken. Damit sind unter anderem die horrenden Diäten und Privilegien der Parlamentarier gemeint. Der Steuerflucht wird der Kampf angesagt. Offenbar denkt Monti auch über die Einführung einer Erbschaftssteuer sowie eine Wiedereinführung einer Steuer für Hausbesitzer an.
Der Ministerpräsident legte auch ein starkes Bekenntnis für Europa und den Euro ab. „Das Ende des Euro wäre das Ende Europas“, sagte er.
“Mit den Banken verheiratet“
Monti sprach das von Berlusconi vergiftete Polit-Klima an. Zuerst müssten die Bürger wieder mit der Politik versöhnt werden. Doch gerade da gibt es viel zu tun.
Am Tag seiner Programmrede gingen in Rom und Mailand, in Turin, Bari und Palermo Tausende auf die Strassen. Sie protestierten gegen das, was sie die „Regierung der Banken“ nennen. In mehreren Städten kam es zu Ausschreitungen, so in Mailand. Dort wollten Studenten gegen die Bocconi-Universität vordringen. Sie warfen Feuerwerkskörper auf Polizisten. Die Bocconi-Universität war von Monti geleitet worden.
In Rom drangen die Manifestanten zum Palazzo Madama vor, dem Sitz des Senats, wo Monti seine Rede hielt. Die kommunistische Splitterpartei Rifondazione comunista kritisierte, die Regierung Monti sei „mit den Banken verheiratet“.
Berlusconi, "wie ein Junge im Sandkasten"
All das gibt dem neuen Ministerpräsidenten einen Vorgeschmack auf das, was auf ihn zukommen könnte. Viele Italiener haben offenbar noch nicht gemerkt, wie ernst die Lage ist. Griechenland scheint weit weg zu sein. Italien stehen schwere Zeiten bevor. Vielen Italienern geht es schlecht. Sind sie bereit, weitere Opfer zu bringen? Das Land hat mächtige, stark indoktrinierte Gewerkschaften. Werden sie bereit sein, Abstriche zu machen? Oder werden sie Italien mit landesweiten Streiks ins Chaos stürzen?
Auch Berlusconi hat schon angekündigt, er werde weite Teile des Reformprogramms bekämpfen. „Wir werden auf die Strasse gehen und demonstrieren“. Ironie des Schicksals: Der abgesetzte Berlusconi verbündet sich jetzt mit linken Demonstranten und wird mit ihnen gegen die Regierung protestieren.
Berlusconi gab sich am Donnerstag in alter Manier: Monti hänge am seinem Gängelband. „Wir litten unter dem Terrorismus der Opposition, der Presse, der ausländischen Presse“. Staatspräsident Napolitano sei mit ihm, Berlusconi, wie mit einem Primarschüler umgegangen. Und: „Wir gewinnen die nächsten Wahlen“. Ein Repubblica-Journalist* witzelt in vorgehaltener Hand: "Er wirkt wie ein Junge im Sandkasten, dem man den Plastiktraktor gestohlen hat".
Erinnerung an Obama
Trotzdem: Monti hat ein riesiges, fast beängstigendes Vertrauenskapital. Seine Rede im Senat wurde 17 Mal mit mächtigem Applaus unterbrochen. Auch die Senatoren von Berlusconis Partei applaudierten. Monti wurde wegen der Gunstbezeugung fast verlegen. "Wenn Sie die Wahl haben zwischen applaudieren und zuhören, rate ich Ihnen zuzuhören".
Die Wirtschaft und das Ausland reagieren vorsichtig positiv. Der Senatspräsident des linken Partito Democratico betont, die Linke würde Monti „mit Überzeugung unterstützen“.
Es ist, als ob Italien eine neue Freiheit gefunden hätte. Auch fünf Tage nach dem Sturz Berlusconis ist der Jubel im Land noch nicht verhallt. 80 Prozent der Italiener feiern die neue Zeit. Noch regnet es über der Wüste.
In diesem Jubel geht vergessen, dass Monti jetzt viel Verhandlungsgeschick braucht. Und ein Volk, das die Zeichen der Zeit verstanden hat. Die jetzige Monti-Euphorie erinnert an die damalige Obama-Euphorie. Vielleicht macht es Monti besser.