Vor nicht allzu vielen Jahren war es verpönt, bei offiziellen staatlichen Zeremonien - der Grundsteinlegung eines Brückenprojekts zum Beispiel – eine Kokosnuss zu brechen. Indien war ein säkularer Staat und sollte keine Symbole einer bestimmten Religionsgemeinschaft verwenden. Er wollte damit vermeiden, zunehmend das Gesicht der hinduistischen Bevölkerungsmehrheit zu werden und damit den Religionsfrieden zu gefährden.
Religiöser Extremist als Chefminister in Uttar Pradesh
Das Ritual, das sich am 19. März am Sitz des Chefministers der Provinz Uttar Pradesh in Lucknow abspielte, folgte einem völlig andern Skript. Mönche in orangen Roben liefen durch das leere Haus, sangen Sanskrit-Shlokas und verpufften Weihrauch. Die Privatgemächer wurden mit Kuhmilch aus dem Tempel von Gorakhnath gereinigt, und das Eingangstor mit Lotusblumen und Swastikas bemalt. Ledersessel wurden abgeschleppt, auch wenn darin keine Kuhhaut verarbeitet war.
Es war die passende Vorbereitung für den Einzug des neuen Machthabers über den mit 200 Millionen Einwohnern grössten Bundesstaat Indiens, Yogi Adityanath. Mit ihm als Haupt einer Hindu-Sekte – in Mönchsrobe und mit Shivas Dreizack als magischem Stab – übernahm zum ersten Mal in der Geschichte der indischen Republik ein religiöser Würdenträger ein politisches Exekutivamt.
Ganz Indien reagierte verwundert – oder entsetzt. War dies das Ende des säkularen Staats? Und ist dies die Alternative – ein Mann In langer Robe zwar, pockennarbig, kahlrasiert, der sich als Prediger des Hasses und der Gewalt einen Namen gemacht hat und seine eigene Schlägertruppe unterhält? Trotz seiner 44 Jahre ist er bereits langjähriger BJP-Abgeordneter und vertrat auch im jüngsten Wahlkampf die nationalistische Agenda der BJP. Aber er ist auch ein häufiger Kritiker seiner Partei, die ihm viel zu moderat ist, wenn es um die Erzfeinde der Hindus geht, Muslime und Christen.
Das Umfeld von Gandhis Mördern
Der aggressive Ton ist nicht nur Yogis persönliche Eigenart. Er ist das Oberhaupt des Gorakshnath-Ordens, der eine völlig andere Tradition vertritt als die der Selbstsuche und Kontemplation, mit dem man den Hinduismus meist in Verbindung bringt. Es ist der Kult einer kämpferisch-selbstbewussten Verbreitung und Verteidigung der Religion, für den Politik gerade das richtige Mittel ist, und als Kulturmacht mit Waffen verteidigt werden muss. Seine Ideologie ist noch radikaler als jene des RSS, der Hindutva-Mutterorganisation.
Beide Vorgänger Yogis waren treibende Kräfte in der Hindu Mahasabha gewesen, die bereits im 19. Jahrhundert zum Heiligen Krieg gegen die andersgläubigen Invasoren aufrief. Sie sabotierte Gandhis Strategie der Gewaltlosigkeit und sein Ziel der nationalen Integration aller Religionsgemeinschaften als Bedingung für eine erfolgreiche Unabhängigkeit. Gandhis Mörder kamen aus dem Umfeld der Mahasabha.
Die antimuslimischen Ausschreitungen von 1992
Zentrale Einigungssymbole des Gorkashnath-Kults, dessen Schutzpatron Shiva ist, sind die Verehrung der Kuh und die „Befreiung“ des Ram-Tempels in Ayodhya, über dessen Ruine eine Moschee steht. Es war im Jahr 1949, als im Innern der (staatlich versiegelten) Moschee plötzlich Statuen des Götterpaars Ram und Sita auftauchten. Dieses „Wunder“ liess damals den alten Streit zwischen den beiden Gemeinschaften wieder aufflammen.
Er gipfelte 1992 in der Zerstörung der Moschee, gefolgt von den schwersten anti-muslimischen Ausschreitungen seit der Unabhängigkeit. Weithin wurde damals vermutet, dass Yogis Vor-Vorgänger Digvijaynath die Murtis in die Moschee geschmuggelt hatte.
Zunächst Schliessung aller Schlachthöfe
Die ersten Amtshandlungen des neuen Chefministers – dem offiziellen Vertreter eines säkularen Staats – entsprachen den erwarteten Prioritäten. Yogi liess zunächst alle Schlachthöfe schliessen, und erlaubte nur jenen die Wiedereröffnung, die eine Lizenz besassen. Das sind zwar die meisten, und in keinem wird auch nur eine einzige Kuh geschlachtet; aber alle verstanden das Signal als Kampfansage, allen voran die Muslime, für die das Schlachtgewerbe eine wichtige Erwerbsquelle ist.
Mehrere Strafverfahren am Laufen
Falls dies noch nicht deutlich genug war, wies Yogi die Polizei an, Anti-Romeo Squads einzuführen. Wie die Kuh-Schutz-Banden war auch dies eine Spezialität, die Yogi in den letzten Jahren in seinem Machtkreis in Ost-UP eingeführt hatte. Er nannte sie Love Jihad-Komitees, die Hindu-Mädchen vor jungen Muslimen schützen sollen, deren einzige Absicht es sei, diese Mädchen zu heiraten und dann zum Islam zu bekehren. Auf Anraten seiner Partei bequemte er sich dazu, das Reizwort Jihad durch den weniger verfänglichen Romeo zu ersetzen – womit gleich noch die Christen als mögliche Störenfriede identifiziert waren.
Noch bevor der Schock verebbte, tauchten Videos auf, in denen Yogi seine demagogischen Fähigkeiten zu Gehör brachte. Beispiel: „Für jeden getöteten Hindu werden wir hundert Muslime liquidieren“. Inzwischen wurde auch bekannt, dass gegen Yogi mehrere Strafverfahren laufen, die von Nötigung, Gewaltandrohung und Mithilfe zu Mord sprechen.
All dies ist längst bekannt, denn Yogi nimmt kein Blatt vor den Mund, und das Abgeordnetenmandat in Delhi ist ein landesweit gehörtes Megaphon für seine Hasstiraden. Mehrmals schon sah sich seine Partei gezwungen, sich von ihm zu distanzieren. Er war und blieb bis in den Wahlkampf hinein der Sprecher der radikalen und Lumpenelemente der Hindutva-Bewegung.
Modi als Vater des Wahlsieges
Wäre Yogi der Kandidat für den Chefministerposten gewesen, hätte die Partei vermutlich nicht einmal die Hälfte der Mandate errungen. Doch es war Modi, der den Wahlkampf führte, der an das Wahlvolk appellierte, ihm, Modi, das Vertrauen auszusprechen. Die Verkündung des Wahlergebnisses war ein Triumph. Die Tatsache, dass er den Sieg auch dem Majorzsystem verdankt (40 Prozent der Stimmen, 80 Prozent aller Sitze), tat dieser Tatsache keinen Abbruch.
Und dennoch berief der Premierminister nicht einen bekannten Reformpolitiker, sondern einen Hindu-Fanatiker ohne Führungserfahrung in das vielleicht drittwichtigste politische Amt des Landes. Nichts hatte darauf hingedeutet. Modi führte den Wahlkampf mit dem Slogan „Alle zusammen, zum gemeinsamen Wohlergehen“. Nach dem Wahlsieg liess er verlauten, dies sei ein Sieg aller gewesen; die BJP werde deshalb eine Regierung auch für jene sein, die nicht für ihn gewählt hatten.
Warum entscheidet sich Modi für den Fanatiker Yogi?
Dies war auch für die Muslime eine unerwartet versöhnliche Reaktion, denn sie hatten als Block gegen die BJP gestimmt. Die Partei hatte sie quasi dazu ermuntert, denn unter ihren Kandidaten befand sich kein einziger Vertreter ihrer Minderheit, die in Uttar Pradesh einen Bevölkerungsanteil von 20 Prozent erreicht. Doch dann kam die Yogi-Bombe.
Was hielt Modi davon ab, einen Politiker zu ernennen, der wenig aneckt und damit alle Bevölkerungssegmente anspricht? So hat er es in den bisherigen Landtagswahlen getan, mit Erfolg, denn es half diesen Bundesstaaten, Modis relativ moderate Politik auf nationaler Ebene zu übernehmen und sich als Partei der wirtschaftlichen Entwicklung zu positionieren.
Ausgerechnet im wichtigsten Bundesstaat wich er nun davon ab. Selbst BJP-Sympathisanten hatten Mühe, dafür eine Erklärung zu finden. Die einzige einigermassen plausible lautete: Yogi wird, wenn er in die Regierungsverantwortung eingebunden ist, weniger Schaden anrichten als wenn er aussen vor bleibt. Modis Gegner dagegen sahen ihren Argwohn bestätigt: Modi ist ein religiöser Fanatiker, für den nationale Grösse wirtschaftlich und ideologisch verschränkt sind.
Seitenhiebe gegen den Religionsfrieden
In seinen Wahlreden sprach Modi zwar immer von Vikas – wirtschaftlchem Wohlergehen –, verband dies aber oft mit Hindutva. Die Stimmen aller Wähler, unabhängig von Kaste und Klasse, würden dafür sorgen, Indien vorwärts zu bringen. Doch eingeflochten darin tauchten immer wieder spitze Bemerkungen auf, die den Religionsgraben vertieften. So versprach er Stromversorgung „für alle“, und fügte hinzu: „...auch während des (hinduistischen) Diwali-Fests, und nicht nur im Ramadan“. Yogi machte aus diesen Seitenhieben Brandbomben. In Uttar Pradesh „gilt nur Ramzada oder Haramzada“ – entweder man verehrt Ram, oder man gehört aus der Gesellschaft ausgeschlossen.
Mit einem Trick ist es Modi gelungen, dem wichtigsten Bundesstaat und damit dem ganzen Land im Handumdrehen eine radikal anti-säkulare Drehung zu verpassen. Zuerst warb er um die Stimmen „aller für alle“. Und als er diese hatte, konnte er das Modi-Mandat einem religiösen Fanatiker übergeben. „Wir stehen an der Schwelle eines (verfassungsfeindlichen) Hindu-Staats“ schrieb der angesehene Jurist Fali Nariman im Indian Express. „Nicht Hinduismus als Lebensform, sondern als Hindu-Staat, Hindu-Gesellschaft, Hindu-Kultur“.