Seltsames trug sich im Foyer des Basler Stadttheaters letzte Woche zu. Ein hoher Gerüstturm stand im Foyer, darum herum in zwei Kreisen TV- Schirme, die abwechselnd Birnen, Zebrastreifen und Menschen zeigten. Weiter aussen hingen Grossbildwände mit anderen Bildern, einzelnen Worten und Texten. An den Wänden: Leitern. Menschen mit Getränken in den Händen laufen dazwischen herum, unterhalten sich, betrachten die Installation.
Jemand kommt die Treppe herunter und schmettert eine Barockarie. Von den Leitern und dem Turm wird auch gesungen, gesprochen, werden Texte zitiert. Zuschauer werden Darsteller und dann wieder Zuschauer. Geräuschkompositionen werden hörbar, die wechselnden Bilder auf den Leinwänden und Monitoren buhlen um Aufmerksamkeit, und das Publikum ist dazu noch eingeladen dies alles aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Eine Fülle von Eindrücken.
Szenisches Konzert über ein antikes Lehrgedicht
Der katalanische Starregisseur Calixto Bieito hat ein szenisches Konzert über die «Natur der Dinge» gestaltet; gestützt auf ein aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. stammendes Lehrgedicht des römischen Dichters, Philosophen und Epikureers Titus Lucretius Carus, genannt Lukrez. Des Dichters Hommage an Epikur gibt dessen Naturphilosophie wieder und handelt von der Lage des Menschen in einem Universum ohne den Einfluss der Götter. Mit seinem lange verschollenen Gedicht wollte Lukrez offenbar eine Philosophie vermitteln, die «dem Menschen Gemütsruhe und Gelassenheit gibt und ihm die Furcht vor dem Tode und den Göttern nimmt.» Das Gedicht ist geprägt von der materialistischen Atomlehre der griechischen Antike.
Allerdings kommt dies alles in der Produktion nicht vor. Es würde sich lohnen das Gedicht vorher zu lesen und selbst Parallelen zu ziehen. Die Stimmung zur Versenkung in tiefere Dinge ist sicher geschaffen.
Theoretische Physik und verborgene Wirklichkeit
Ganz anders die Produktion «Hypermusic Prolog» von Lisa Randall (Libretto) und Hector Parra (Komposition) in der Gare du Nord, eine Gemeinschaftsproduktion mit den Sophiensälen Berlin, die im Centre Pompidou in Paris debütierte. Hier erforscht der Komponist musikalisch die fünfte Dimension, inspiriert durch die physikalischen Theorien der hoch dekorierten US-Physikerin Lisa Randall und durch ihr Modell des Universums, in dem er «ästhetische Schönheit und Dramatik» findet.
Randall stellt in ihrem Libretto den Widerstreit zwischen klassischer Physik und dem Aufbrechen neuer Welten ins Zentrum. Umgesetzt wurde dieser Gedanke im Stück durch einen Konflikt zwischen Mann und Frau, bei dem eine anschauliche, vierdimensional-raumzeitliche Lebenswelt auf theoretische Spekulationen über eine dahinter liegende mehrdimensionale Wirklichkeit trifft. Die Frau drängt dabei aus der Enge der bekannten Welt heraus und hin zu neuen, bisher unbekannten Dimensionen.
Grenzen der Wahrnehmung
Dazu der Regisseur Benjamin Schaad: «Das Zwischenmenschliche ist unser Sprungbrett für die Reise in die fünfte Dimension.» Und Darsteller Robert Koller: «Es wurde uns sehr schnell klar, dass es im Libretto auch um eine Beziehungs- und Kommunikationsebene geht und die Gravitationsräume auch Chiffren für emotionale Welten sind.»
Diese unterschiedlichen Dimensionen zu begreifen und zu durchdringen, ist schon eine anspruchsvolle Aufgabe für den Zuschauer. Glücklicherweise liefert das Programm mit dem Librettotext eine Begriffshilfe. Doch die Musik des Katalanen Hector Parra, meisterlich umgesetzt vom Zafraan Ensemble, gepaart mit Live-Elektronik zu den eindringlich gesungenen Parts von Robert Koller und vor allem Johanna Greulich, setzt nochmals mehrere Dimensionen drauf, die es zusätzlich aufzunehmen gilt. Dies alles sprengt in seiner Intensität fast die Grenzen der Wahrnehmung.
Die Sopranistin Johanna Greulich meint, dass es ja Oper gebe um die Wahrnehmung des Menschen zu erweitern und zu verändern – sowohl bei den Ausführenden als auch beim Publikum. Das kann man hier nur unterschreiben. Allerdings wäre es angesagt dazu die Produktion mehrmals zu sehen.