Mit „Ormenis 199+69“ über die Kavallerie sicherte sich Markus Imhoof 1969 in der Filmszene die Präsenz, mit „Fluchtgefahr“ über den Strafvollzug 1974 auch die Beachtung im Ausland, mit „Das Boot ist voll“ löste er 1980 eine aufrüttelnde Diskussion über die Flüchtlingspolitik und die Schweiz während des Zweiten Weltkriegs aus, und mit „More than Honey“ über das Bienensterben erwarb er sich 2012 den anhaltenden internationalen Ruhm.
Hellsichtiger Mahner
Heute feiert Markus Imhoof den 75. Geburtstag, aber nicht in der Geruhsamkeit, auf die er in der Erinnerung auf bleibend wichtige Werke Anspruch hätte, sondern mit der Leidenschaft, sich erneut zu einem bewegenden Thema zu äussern, nämlich zum aktuellen Flüchtlingsdrama.
Die Arbeit an diesem Film begann er hellsichtig, als das Elend im Mittelmeerraum weder Angst noch Schrecken auslöste und die Verdrängungsmechanismen besser funktionierten als die Strategien, jetzt das Problem humanitär anständig zu bewältigen. Markus Imhoof bewahrte seine Sensibilität und den Willen, uns für die Auseinandersetzung mit unbequemen Wahrheiten zu gewinnen.
Kleiner Unterschied mit Brisanz
Über die Filmkreise hinaus beschäftigte „Ormenis 199+69“ auch Kavallerie-Offiziere und konservative Politiker, die Markus Imhoof einen draufgängerischen Galopp gegen die berittene und als Inbegriff des Milizgedankens geltenden Truppe vorwarfen. Das war insofern nachvollziehbar, als damals mit geschlossenem Visier über die Beibehaltung oder die Abschaffung der Kavallerie debattiert wurde.
Eine nationalrätliche Delegation bestand empört darauf, den vom Eidgenössischen Departement des Innern mit einer Qualitätsprämie ausgezeichneten Film sehen zu wollen, auch in der sicheren Erwartung, er beweise ein weiteres Mal den unerträglichen Linksdrall der Filmförderung. Aus Zufall fand die vom Jagdinstinkt gelenkte Visionierung unmittelbar nach dem Parlamentsbeschluss statt, die Kavallerie in die Vergangenheit zu entlassen.
Die gleichen Nationalräte, die diesen Schlag gegen die Tradition und die Wehrhaftigkeit verhindern wollten, wurden von „Ormenis 199+69“ tief berührt und empfanden Genugtuung, dass die der Kavallerie so himmeltraurig beraubte Schweiz wenigstens einen die stolze Truppengattung würdigenden Film besitze. Das war nostalgisch übertrieben, denn es ging Markus Imhoof nicht um die Huldigung der Kavallerie, sondern um die Liebe zum Pferd. Aus dieser so subtilen wie brisanten Unterscheidung bezieht der Film seine Wirkungsmacht.
Fundiert und differenziert
In der historischen Reminiszenz steckt eine kompakte Charakterisierung von Markus Imhoofs Schaffensweise. Er recherchiert lange und genau. Die Fakten stimmen. Das war bei „Ormenis 199+69“ leicht, weil der Autor bei der Kavallerie Dienst leistete. Aber auch bei der Vorbereitung seiner weiteren Filme erwarb er sich umfassende Sachkenntnisse. Sie und die redliche Abwägung von Richtig oder Falsch erlauben Markus Imhoof die fundierte und glaubwürdige Argumentation.
Als Zuschauer werden wir zu gepackten Augenzeugen mit dem gewahrten Anspruch auf die eigene Meinungsbildung. Markus Imhoof, der sich nach dem mit dem Lizenziat beendeten Studium der Germanistik, Kunstgeschichte und Geschichte an der Universität Zürich filmisch ausbildete bei Kurt Früh und Lehrern der polnischen Filmschule Lodz, beherrscht das Handwerk mit künstlerischer Begabung. Wir erleben spannend erzählte Geschichten und werden nicht erschlagen mit hölzernen Thesen. Markus Imhoof ist seinen Folgerungen zu sicher, weshalb er sie nachvollziehbar begründen und der Gefahr des linkischen Agitierens souverän ausweichen kann.
Das intellektuelle und kreative Spektrum, auch erworben auf ausgedehnten Reisen durch Amerika, den Vorderen Orient, China und Indien, ermöglichte es Markus Imhoof, die Regietätigkeit mit Erfolg um Schauspiel- und Operninszenierungen zu ergänzen.
Massstäbe setzen, Spuren legen
Obwohl während Jahren in Mailand wohnhaft und jetzt in Berlin, blieb Markus Imhoof der Schweiz verbunden. Er prägte deren Filmschaffen nicht allein mit eigenen Werken, sondern auch mit der Gründung der Nemo Film und der Limbo Film – Produktionsgruppen mit dem mäzenatischen Mentor George Reinhart und mit Realisatoren wie Fredi M. Murer, Yves Yersin, Kurt Gloor, Alexander J. Seiler, Georg Radanowicz oder Daniel Schmid, welche im Autorenfilm Massstäbe setzten und bis in die Gegenwart Spuren legten.
Der politische Kopf Markus Imhoof, der seine Themen aus der Agenda der öffentlichen Angelegenheiten schöpft, war und ist dem Film über das eigene Schaffen hinaus ein beherzter Förderer und Ideengeber. Er gehörte der Eidgenössischen Filmkommission an, lehrte an der Filmhochschule Zürich, der Filmschule Mailand und der Filmakademie Berlin und ist Mitglied der Deutschen und der Europäischen Filmakademie, der Akademie der Künste Berlin und der Academy of Motion Picture Arts und Sciences.
Auf der Höhe der Kunst
Markus Imhoof mischt sich ein. Er hat eine humanitäre Botschaft. Sein Denken ist scharf, seine Fordern hart. Was er als dumm, borniert und hohl ablehnt, bestraft er lächelnd mit Verachtung. Er kann sich das Ungehaltensein und die wutentbrannte Reaktion auf die Macht der rücksichtslosen Einfalt leisten, weil er Film für Film auf der Höhe der Kunst Analysen liefert und Gegenentwürfe formuliert, auch mit dem Mut, dem Publikum verständlich zu sein, und mit der Meisterschaft, ihm die Augen zu öffnen und für den neu gewonnenen Blick zu begeistern.
Die grosse Resonanz spiegelt sich in den Auszeichnungen: Festivalpreise, die Filmpreise der Schweiz, Deutschlands und Bayerns, eine Oscar-Nominierung und jüngst der Kunstpreis der Stadt Zürich.
Der Geburtstagsgruss zum Fünfundsiebzigsten ist erfreulicherweise nur ein Zwischenbericht. Markus Imhoof arbeitet als kluger und mitreissender Mahner zu unserer Bereicherung weiter. Der Flüchtlingsfilm könnte zum Opus summum werden.