Trotz des Krieges leben Juden und Palästinenser friedlich zusammen im gemeinsamen Dorf. Sie entscheiden sich weder für Hamas noch für die israelische Regierung.
«Wir werden in Israel angefeindet von Menschen, die nicht wollen, dass wir, Juden und Palästinenser, in Frieden leben und nicht für die eine oder die andere Seite Partei ergreifen», sagte kürzlich in Lugano Samah Salaime, palästinensische Journalistin und Sprecherin des Dorfes «Neve Shalom – Wahat al-Salam». Als Vertreter der «Oase des Friedens», wie das Dorf in der deutschen Übersetzung heisst, war auch der jüdische Schuldirektor Nir Sharon in Lugano anwesend, eingeladen von der Stiftung Spitzer.
Das Dorf zwischen Jerusalem und Haifa, in den 70er Jahren gegründet, zählt heute etwa 350 Einwohner. Es ist eine Gemeinschaft von Palästinensern und Juden, alle jungen Leute gehen gemeinsam in die Schule, wo alle Hebräisch und Arabisch lernen. Ebenfalls gemeinsam wird das Dorf verwaltet.
Der blutige Konflikt – eine schwere Prüfung
Der mörderische Angriff der Hamas auf israelisches Territorium am 7. Oktober und der verheerende Gegenangriff der israelischen Armee im Gaza-Streifen lösten im Dorf einen Schock aus. Nir Sharon berichtete, dass es in jenem Moment sehr wichtig gewesen sei, dass palästinensische Nachbarn ihn angerufen und gefragt hätten, wie es im gehe. Die Dorfbewohner hätten gemeinsam getrauert und seien sich einig geworden, weiterhin in Frieden zusammenleben zu wollen. Der terroristische Überfall durch die Hamas sei auch ein Angriff gegen sie gewesen, erläuterte die palästinensische Einwohnerin des Dorfes, Samah Salaime: Hamas wie auch israelische Extremisten hassten, dass Palästinenser und Juden miteinander leben. Jüdische Extremisten hätten wiederholt das Dorf attackiert: die Schule in Brand gesetzt, Autos von arabischen wie jüdischen Familien zerstört.
Die Bewohner der Oase des Friedens sind überzeugt, dass in diesem Gebiet einzig ein friedliches Miteinander eine Zukunft hat. Es sei jedoch schwierig, heute diese Idee zu verbreiten. Seit rund 40 Jahren besteht die Schule für den Frieden, die Kurse anbietet für Menschen – vor allem junge Leute – der beiden Volksgruppen. Bereits über 65’000 Personen haben Kurse besucht zum Vorbereiten und Versuch eines gemeinsamen Lebens, sagte Nir Sharon, doch die Friedensbotschaft ausserhalb des Dorfes zu verbreiten, sei gegenwärtig nicht möglich.
Unterstützungsvereine in verschiedenen Ländern
In der Schweiz, in Italien und anderen Ländern haben sich Unterstützungsvereine für «Neve Shalom – Wahat al-Salam» gebildet. Jener mit Sitz in Basel hat bereits am 30. Oktober 2023 Bundesrat Ignazio Cassis in einem Brief gebeten, bei den israelischen Behörden vorstellig zu werden infolge der schweren, wiederholten Menschenrechtsverletzungen in Westjordanland. Aufgrund von Angaben verschiedener israelischer Organisationen wurden dort Palästinenser zwangsumgesiedelt und von Siedlern von ihren Olivenhainen vertrieben. Gewalttätige Siedler hätte auch Dörfer attackiert und es seien schon Ende Oktober mehrere Morde dokumentiert worden. In seiner Antwort gab Bundesrat Cassis seiner Besorgnis über die Spannungen und die Gewalt Ausdruck. In Kontakt mit den israelischen Behörden würden die Dienste des Aussenministeriums daran erinnern, das Völkerrecht einzuhalten. Doch ist nicht bekannt, dass Bundesrat Cassis die israelische Botschafterin in der Schweiz jemals einberufen hätte, um Menschenrechtsverletzungen zu beanstanden.
PS: Am 24.05.2024 findet in Basel die Jahresversammlung des schweizerischen Vereins «Neve Shalom – Wahat al-Salam» statt, an der u. a. der genannte Schuldirektor Nir Sharon vom Friedensdorf anwesend sein wird.