Der Coup der in Burma als Tatmadaw bekannten Militärs erfolgte nach altem Muster mitten in der Nacht. Der nationale Notstand wurde ausgerufen und der ehemalige General und Vize-Staatspräsident Myint Swe zum Übergangs-Staatsoberhaupt ausgerufen. Die Generäle, die bereits zwischen 1962 und 2011 an der Macht waren, begründeten ihr Vorgehen mit Wahlfälschungen und Wahlbetrug bei den letzten Parlamentswahlen vom November 2020. Damals gewann die von Aung San Suu Kyi angeführte Nationale Liga für Demokratie bei einer Wahlbeteiligung von 70 Prozent 396 von 476 Sitzen im Parlament.
Massgeschneidert für die Militärs
Die Tatmadaw berief sich bei ihrem Coup auf die Verfassung. Allerdings wurde das 2008 verabschiedete Grundgesetz von den Militärs für die Militärs selbst massgeschneidert. 25 Prozent der Parlamentssitze sind den Militärs vorbehalten, damit keine Verfassungsänderungen verabschiedet werden können. Dazu braucht es nämlich nach der Verfassung eine Zweidrittels-Mehrheit. Auch die drei wichtigsten Ministerien – Innen, Grenzverteidigung sowie Verteidigung – blieben den Uniformierten vorbehalten.
Volle Macht
Der wichtigste Verfassungsgrundsatz, nämlich dass die Tatmadaw jederzeit den Notstand ausrufen kann, wurde jetzt von Armeechef General Min Aung Hlaing in der Hauptstadt Naypyidaw genau einen Tag vor der Eröffnungssession des neu gewählten Parlaments in die Tat umgesetzt. Formal tatsächlich streng nach der Verfassung. Allerdings – wie in dieser Kolumne immer wieder unterstrichen – war seit der demokratischen Öffnung ab 2011 immer klar, dass sich die Generäle, ohne das Grundgesetz zu verletzen, mit einem Federstrich wieder die volle Macht holen können.
Moralische Ikone Suu Kyi
Der Notstand soll nach der Proklamation der Tatmadaw ein Jahr dauern und dann durch allgemeine Parlamentswahlen abgelöst werden. Das Versprechen der Militärs: „Wir werden eine effektive Viel-Parteien-Demokratie mit kompletter Ausgeglichenheit und Fairness verwirklichen“. Für jene freilich, die sich an die jüngste Geschichte erinnern, hat sich die Geschichte wiederholt und könnte sich mit grosser Wahrscheinlichkeit erneut wiederholen.
Bei den Wahlen 1990 errang die Opposition, bereits damals angeführt von der im Gefängnis sitzenden Aung San Suu Kyi, einen überwältigenden Wahlsieg, der kurz darauf von den Militärs rundweg für null und nichtig erklärt wurde. Suu Kyi, die Tochter des 1948 ermordeten Gründervaters von Myanmar General Aung San, verbrachte fast zwanzig Jahre im Gefängnis oder unter Hausarrest. Sie erhielt den Friedensnobelpreis und wurde so für Myanmar und die ganze Welt zur moralischen Ikone.
Gewalt gegen Rohingyas verteidigt
Nach dem Wahlsieg 2015 konnte Suu Kyi zwar nicht Staatspräsidentin werden, weil sie mit einem Ausländer verheiratet war und zwei Söhne mit britischem Pass hat. Doch Suu Kyi wurde als Staatsrätin De-facto-Regierungschefin und Aussenministerin. Mit den Militärs verstand sie sich bald ausgezeichnet.
Die Friedensnobelpreisträgerin liess es zu, dass die Militärs gegen die muslimischen Rohingyas mit brutalster Gewalt vorgingen und über eine Million in die Flucht trieben. Noch 2019 vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag verteidigte die Buddhistin Suu Kyi Raub, Mord, Totschlag und Vergewaltigungen der Soldaten gegen die Rohingyas als Verteidigung gegen terroristische Akte.
Buddhistische Hasstiraden
Suu Kyi liess es auch zu, dass buddhistische Mönche in wüsten Hasstiraden gegen Muslime im Allgemeinen – knapp fünf Prozent der 50 Millionen Einwohner in Myanmar – und Rohingyas im Besonderen hetzen konnten. Die weltweit geachtete Moral-Ikone wurde zur Realpolitikerin, denn sie wusste, dass sie bei einem Eintreten für Rohingyas und Muslime alle Wahlchancen verlieren würde.
Die Rohingyas zahlen für Suu Kyis Wahlsieg einen hohen Preis. Überdies erzielte Suu Kyi während ihrer Regierungszeit wenig wirtschaftlich und sozial Fassbares für die zum grossen Teil in Armut lebende Bevölkerung. In den eigenen Reihen der Nationalen Liga für Demokratie wurde sie zunehmend wegen ihres autokratischen Führungsstils kritisiert
Zukunft als Demokratie-Ikone?
Nach dem Tatmadaw-Coup kann sich Aung San Suu Kyi wieder als Demokratie-Ikone profilieren. Auf Facebook ruft sie zum Widerstand auf. Die Militärs versuchten, so Suu Kyi, die Diktatur wieder einzuführen: „Ich fordere deshalb das Volk dringend dazu auf, den Putsch nicht zu akzeptieren und mit ganzem Herzen voll und ganz dagegen zu kämpfen.“
Internationale Reaktionen
Die internationalen Reaktionen liessen nicht auf sich warten. Uno-Generalsekretär Antonio Guterres sprach von einem „schweren Schlag gegen demokratische Reformen in Myanmar“. Auch die neue amerikanische Administration Biden meldete sich sofort zu Wort: „Die USA stehen an der Seite der Menschen in Myanmar bei ihrem Streben nach Demokratie, Freiheit, Frieden und Entwicklung. Das Militär muss den Coup rückgängig machen.“
Dazu muss allerdings erwähnt werden, dass sich die USA in den letzten zehn Jahren nicht gerade vorbildlich für Demokratie, Frieden, Freiheit und Entwicklung in Burma eingesetzt haben. Der grosse Nachbar China setzt, pragmatisch wie immer, auf Gespräche: „China und Myanmar“, so der Sprecher des Aussenministeriums Wang Wenbin, „sind gute Nachbarn. Wir hoffen, dass alle Seiten ihre Differenzen nach Verfassung und Gesetz lösen können, um so politische und soziale Stabilität bewahren zu können.“
Betrübliches Fazit: Weder die Militärs noch Aung San Suu Kyi haben in den letzten zehn Jahren Myanmar Demokratie, wirtschaftliche Entwicklung, Frieden oder Freiheit gebracht. Und die Tatmadaw wird es auch in Zukunft nicht bringen. Vielleicht hat die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi etwas gelernt und kommt geläutert wieder an die Macht. Als Moral- und Demokratie-Ikone.