Die Geburt von Zwillingen eines Bollywood-Produzenten war den indischen Zeitungen kürzlich eine kleine Schlagzeile wert. Nicht etwa, weil Karan Johar schon 44 Jahre alt und alleinstehend ist. Er ist auch, wie er in einer soeben erschienenen Autobiografie mit dem Titel „An Unsuitable Boy“ bekennt, schwul.
Das ist doch kein Hinderungsgrund, Vater zu werden, mögen junge Centennials dazwischenrufen. Schon mal von Rent-a-Womb gehört?, werden sie mit Recht fragen. Meine Nichte zum Beispiel meinte wegwerfend, inzwischen habe sich fast jeder zweite Filmstar mithilfe einer Leihmutter ein Kind zugetan. Gauri und Shahrukh Khans drittes Kind, ein Mädchen, stammt von einer solchen; und SRKs grosser Rivale Aamir Khan und seine Frau Kiran Rao haben ein Mädchen von einer anderen Frau austragen lassen.
Der glücklichste Vater
„Surrogacy“ wird auch hier allmählich zu einem Alltagswort. Bereits höre ich im eigenen Bekanntenkreis, dass in dieser und jener Familie ein Baby fast buchstäblich mit dem Storch ins Haus geflogen kam. Unser Freund Sunil Sethi schrieb in seinem Blog, seine Nichte habe bereits ihr zweites Kind von derselben Leihmutter bekommen, und beide, „biologische“ und austragende Mutter, seien inzwischen „dicke Freundinnen“.
Auch für den partnerlosen Karan Johar war es kein Problem, Vater zu werden. Der Junggeselle konnte denn auch vorletzte Woche tweeten, er sei der glücklichste Vater auf der ganzen Welt. Er kann tatsächlich von Glück reden. Denn die Würze der kürzlichen Schlagzeile war weder Zivilstand noch sexuelle Orientierung noch Beruf des Vaters, sondern die Tatsache, dass seine Vaterschaft gerade noch durchs rechtliche Netz geschlüpft ist.
Lose Rechtsmoral
Letztes Jahr verabschiedete das indische Parlament nämlich ein Gesetz, „The Surrogacy Regulation Bill“, das Leihmutterschaft nur unter strengen Bedingungen zulässt. Wie bei jedem neuen Gesetz vergeht aber eine gewisse Zeit, bis es in Kraft tritt, und dieses Zeitfenster hat Johar genutzt, um seine Saat aufgehen zu lassen.
Schon in einigen Monaten wird „kommerzielle Leihmutterschaft“, Rent-a-Womb also, verboten sein. Natürlich ist dies in einem Land mit einer losen Rechtsmoral kein Hinderungsgrund. Die Bezahlung für „altruistische Leihmutterschaft“ wird dann einfach in Form einer Spende verbucht. Doch Indiens Politiker kennen ihre Pappenheimer und haben vorsichtshalber weitere Hürden eingebaut.
Kriminalisierte Homosexualität
Nur verheiratete Paare dürfen fortan die Prozedur anwenden, und sie müssen beweisen, dass sie fünf Jahre erfolglos versucht haben, auf traditionelle Art Kinder zu haben. Einzelpersonen sind sowohl als Leihmütter wie als Samenspender ausgeschlossen. Schwule und lesbische Paare werden erst recht abgewiesen, denn nach wie vor kriminalisiert das Strafgesetz Homosexualität als widernatürliche Haltung.
Indien ist eine weitgehend homophobe Gesellschaft, und deshalb ist man sich solche Diskriminierung hier gewohnt. Aber auch „normale“ Ehepaare haben nichts zu lachen. Denn über die erwähnten Bedingungen hinaus dürfen sie nur dann eine „altruistische Leihmutter“ suchen, wenn diese eine enge Verwandte ist, verheiratet und mit eigenen Kindern.
Kinder haben ohne Schwangerschaft
Das verabschiedete Gesetz ist daher nicht nur ein Ausdruck von Homophobie, es priorisiert gleichzeitig das konservative Familienidyll aus der Küche der Regierungspartei. Die BJP versucht mit allen Mitteln, dieses Ideal ungeachtet aller wissenschaftlich-technischen Fortschritte durchzusetzen – von gesellschaftlichen Wertveränderungen nicht zu sprechen.
Für diese Politiker ist die Vaterschaft von Karan Johar kurz vor Torschluss eine Niederlage – aber nur auf den ersten Blick. In Wahrheit lassen sich die Surrogatskinder alternder Bollywood-Grössen gut mit der staatlichen Verteufelung dieser Reproduktionsform verbinden. Denn wie viele Stars sehen auch die Politiker in der kommerziellen Fortpflanzung durch eine Drittperson eine Lifestyle Choice. Es ist eben cool, Kinder zu haben, ohne den beschwerlichen Weg einer Schwangerschaft anzutreten.
Nach mehreren Fehlgeburten
Die Journalistin Rupali Tewari schlug sich letztes Jahr für jene Leute in die Bresche, für die eine Leihmutter nicht die erste Adresse, sondern der letzte Ausweg ist. Sie selber hatte aus beruflichen Gründen spät geheiratet, sie hatte mehrere Fehlgeburten hinter sich, und Adoption kam wegen den jahrelangen Wartezeiten nicht in Frage. Tewari und ihr Mann nahmen den Umweg über eine Leihmutter.
Auch als verheiratete Frau wäre sie, so schrieb sie in ihrem Blog, nie durch das Nadelöhr einer „altruistischen“ Leih-Schwangerschaft geschlüpft. „Let’s be honest“, schrieb sie: In der traditionellen indischen Familie ist es beinahe undenkbar, dass eine Mutter oder Schwiegermutter ihr Einverständnis gibt. Selbst wenn sie dies täte – welche „enge Verwandte’ würde sich dafür hergeben und das Risiko eingehen, von der Grossfamilie geschnitten zu werden?
Teures Spielzeug?
Die meisten Frauen, die eine Leihmutter suchen, so Tewari, tun es weit weg vom Augenmerk der Familien; sie sind logischerweise bereit, dafür zu bezahlen. Aus diesem Vertragsverhältnis zu schliessen, es handle sich um einen Tauschhandel, sei unfair. Denn verbindliche Protokolle regeln die Beziehung zwischen Samengeber, Leihmutter und Arzt; sie stellten sicher, dass die Eltern die schwangere Frau aktiv begleiten und die Gesundheit von Leihmutter und Kind gewährleisten.
Einzelne Medien haben Karan Johar unterstellt, er habe sich mit seinen Zwillingen quasi ein teures Spielzeug geleistet, weil er ja reich genug sei, um sich Amme und Kindermädchen zu leisten. Das ist unfair. Johar gilt zwar als erfolgreichster junger Bollywood-Produzent; zusammen mit seinem Busenfreund Shahrukh Khan hat er eine Reihe Kassenschlager auf dem Gewissen. Das Leben dieser Kinder im Schatten von Megapublizität und Starrummel mit Millionen von Fans ist aber kein Schleck. Die Khans haben ihre Kinder in englischen Internaten quasi in Sicherheit gebracht, und andere verbringen einen guten Teil ihrer Kindheit gut abgeschirmt in den Schweizer Alpen.
Hass-Mails
In seiner kürzlich veröffentlichten Autobiografie hat Karan Johar zudem mutig das Kultbild demontiert, das die Medien – und er selber – über seine Person gebastelt haben. Mit fast exhibitionistischer Direktheit legt dieser Unsuitable Boy in seinem Buch offen, wie elend es mit Sex und Liebe bei ihm bestellt ist. Ganze zwei Affären habe er in seinem Leben gehabt, und beide hätten „unerfüllt“ geendet.
Natürlich vermeidet es Johar, das Geschlecht dieser Partner zu nennen – „Jedermann kennt meine sexuelle Ausrichtung“, schreibt er ausweichend. Er hat zweifellos recht. Denn von den rund 3000 Hass-Posts, die jede Woche auf seinem Handy-Display landeten, ziele die erdrückende Mehrheit auf seine Homosexualität. Und immer wieder würden ihm Gerichtsklagen angedroht.
„Ich bin liebesfrei und sexfrei“
Die permanente Häme in den Sozialen Medien erklärt vielleicht die kompromisslose Offenlegung seines Intimlebens. Mit seiner „brutalen Ehrlichkeit“ will er seinen anonymen Gegnern den Wind aus den Segeln nehmen. Vielleicht erklärt sie sich gar aus dem Wissen, dass ihm in Kürze Zwillinge ins Haus geschneit würden. Deren Schutz dürfte ihm noch mehr am Herzen liegen als der eigene.
Möglicherweise wollte Johar mit seinem „Bekennerschreiben“ nur die Bollywood-Blase platzen lassen, in der jeder Filmstar und Regisseur zur Projektionsfläche für die unerfüllten Wünsche von Geld, Sex und Parties aufgebläht wird. „Die Leute denken, wenn man in der Unterhaltungsindustrie arbeite, sei man von Sex umgeben“, schreibt er. Das Gegenteil sei der Fall. Sein bestimmendes Lebensgefühl sei eines von Einsamkeit, gerade weil er von so vielen Leuten umgeben sei. „Ich bin liebesfrei und sexfrei.“ Er fügt hinzu: „Ich habe ein Kind, für das ich sorgen muss, und das ist meine Mutter.“ Nun kommen zwei weitere Kinder hinzu, die ihm eine Leihmutter geschenkt hat. Man kann ihm nur wünschen, dass er ihnen mehr als ein Leihvater sein wird.