Die Filmtage bedeuten der Präsidentin, Christine Beerli, in den kalten Januartagen "Lichtblick und Trost". Es dürfe und solle "argumentiert und kontrovers diskutiert werden - nur so bleiben wir, bleibt die Gesellschaft, offen und flexibel genug, um den Weg in die Zukunft zu gehen". Das waren irritierend brave Worte, die besser zu einem Besinnungs-Wochenende gepasst hätten als zu einem Anlass mit immer wieder tabubrechenden Filmen und einem Publikum, das niemanden um Erlaubnis fragt für wilde und gelegentlich chaotische Debatten.
Erfolg abseits helvetischer Tugenden
Mit sicherem Gespür für die Eigenheiten der Filmtage äusserte sich Seraina Rohrer als Direktorin. Sie nannte die Kompromissbereitschaft, die Rücksichtnahme und den Koalitionswillen als schweizerische Erfolgsfaktoren. Für den guten Film jedoch seien sie völlig unbrauchbar. Er müsse eine klare Haltung zeigen, leidenschaftlich eine Position vertreten und mit dem Feuer spielen.
Das war auch zu verstehen als Kritik an der eidgenössischen Förderung mit ihrem Hang, Projekten zu erliegen, die allen gefallen. Es sei nicht zu verlangen, "dass jeder Film einen Brand auslöst, aber man kann davon ausgehen, dass die Chancen steigen, wenn am Anfang zumindest eine Glut da war". Das kluge Plädoyer gibt hoffentlich die Richtlinien vor für die programmliche - und programmatische - Ausrichtung Solothurns.
Grosses Kino im Mittelland
Diesen Tenor setzte Bundesrätin Simonetta Sommaruga fort. Sie sei wegen der Einladung zur Eröffnungsfeier in ein Dilemma geraten: "Entweder das WEF in Davos oder die Filmtage in Solothurn. Hohe Tiere in den Bergen oder grosses Kino im Mittelland. Sie sehen, wofür ich mich entschieden habe - und es war keine schwierige Entscheidung." In der vom Witzigen ins Ernste wechselnden und mit persönlichen Filmerinnerungen angereicherten Ansprache lobte die Justizministerin die herausfordernden Filme: "Wenn ich Bach höre - oder spiele -, ist die Welt für mich wieder in den Fugen. Bach stellt für mich Ordnung her, seine Musik rückt Dinge in meinem Leben wieder zurecht. Von einem guten Film erwarte ich - genau das Gegenteil. Mir gefallen Filme, die es schaffen, meinen inneren Kompass ein wenig zu verrücken."
Das Engagement einer Bundesrätin für den gesellschaftlich relevanten Film und die Anerkennung der dahinter steckende Arbeit als "von unschätzbarem Wert" erhielten starken, anhaltenden Beifall, weil das Bekenntnis ehrlich klang, frei vom hohlen kulturellen Staatspathos.
Generationenkonflikte
Der Eröffnungsfilm, "Rosie" von Marcel Gisler, löste teilweise ein, was Seraina Rohrer und Simonetta Sommaruga von einem "guten Film" erwarten. Er wagt das noch Ungewöhnliche, nämlich die Beziehung eines homosexuellen Liebespaares als selbstverständliche Rahmenhandlung mit intimen Szenen zu erzählen. Im Zentrum steht der Anspruch einer betagten und pflegebedürftigen Alkoholikerin auf ein eigenes Leben. Der schwule Sohn und die mit Partnerschaftsproblemen belastete Tochter liefern sich mit der Mutter einen Abnützungskampf. Er entwickelt sich langsam, zieht sich in die Länge und wirkt in der düsteren und penetranten Beladenheit langweilig. Alle Ereignisse sind vorhersehbar. Es ist ein Schachtelfilm mit mehreren Geschichten über- und ineinander oder ein Kompaktfilm, der Konflikte für mehrere Filme in einen einzigen packt.
Das Premierenpublikum war entweder begeistert oder gnädig, jedenfalls klatschte es ausführlich.