Wieder drohte der 77-Jährige. Wenn er zu Hausarrest verurteilt werde, "sorgen wir dafür dass „das Ende der Welt losbricht“. Hausarrest – das wäre hart für ihn. Damit wäre er neun Monate von der Bildfläche verschwunden: keine Fernseh-Interviews, keine Wahlveranstaltungen, überwachtes Telefon, kaum Kontakte zur Aussenwelt.
Doch soweit könnte es nicht kommen. Die Staatsanwaltschaft hat sich am Donnerstagabend in Mailand damit einverstanden erklärt, dass Berlusconi seine Strafe nicht im Hausarrest, sondern mit Sozialarbeit verbüssen soll.
Folgt das Mailänder Gericht dieser Empfehlung, bliebe Berlusconi ein freier Mann. Er müsste nur neun Monate lang einen halben Tag pro Woche in einem Behindertenheim Sozialarbeit leisten. Es wäre ein mildes Urteil.
Von ursprünglich vier Jahren Haft, die er wegen Steuerbetrugs kassierte, blieben noch 36 Halbtagseinsätze in einem Heim.
Politische Tätigkeit bliebe erlaubt
Das Urteil soll innerhalb der nächsten fünf Tage gefällt werden. Folgt das Gericht der Staatsanwaltschaft, müsste Berlusconi zwischen 11 Uhr nachts und 6 Uhr früh zu Hause in seiner Villa in Arcore bei Mailand sein. Er dürfte auch „keinen Kontakt mit Vorbestraften und Drogenabhängigen pflegen“. Ebenso wenig wären Reisen ins Ausland gestattet. Er müsste eine Bewilligung einholen, wenn er nach Rom will.
Aber, und das ist das Wichtigste: Er dürfte weiterhin politisch tätig sein, Interviews geben und an politischen Veranstaltungen auftreten.
"Ich könnte Behinderte motivieren"
Der halbtägige Sozialdienst, den er leisten müsste, könnte eine herrliche mediale Plattform für ihn sein. Man stelle sich vor: Berlusconi reinigt WC-Schüsseln im Altersheim, tröstet behinderte ältere Leute, wischt ihnen den Mund mit dem Handtuch ab, schiebt Rollstühle durch die Gänge – und Fernsehkameras filmen und filmen. All das wird ihm einen Popularitätsschub bringen. Berlusconi, der Engel der Armen, er, der es nur gut meint: mit Italien und den Bedürftigen.
Schon stellt er sich auf seine Fernsehauftritte ein: „Ich könnte Behinderte motivieren, ich bin ein Motivator“, sagte er am Donnerstag. Selbst wenn die Richter Fernsehaufnahmen verbieten sollten: gestohlene Bilder sind am spannendsten. Und solche würde es sicher geben.
Keine Reue, keine Einsicht
Doch noch ist nichts entschieden. Hausarrest oder Sozialdienst? Die Richter haben viel Spielraum. Einerseits dürfen Verurteilte nur dann in den Hausarrest geschickt werden, wenn sie „sozial gefährlich sind“. Das ist Berlusconi wohl nicht. Anderseits setzt eine Verurteilung zum milderen Sozialdienst voraus, dass der Delinquent „Reue, Einsicht“ zeigt („ravvedimento“). Doch von Reue und Einsicht keine Spur.
Berlusconi bleibt uneinsichtig. Seine letztinstanzliche Verurteilung im letzten August wegen Steuerbetrugs bezeichnet er als „Staatsstreich“ gegen ihn. Er sieht sich als Justizopfer. Am Mittwoch noch sprach er von „der Linken mit ihrem verlängerten Arm der Justiz“.
Berlusconi fühlt sich in keiner Weise schuldig, weder juristisch noch moralisch. Die Hatz gegen ihn hätte nur ein Ziel, ihn Schachmatt zu setzen und von der politischen Bühne zu verbannen. „Die Richter tun alles, um mich ausser Gefecht zu setzen.“
Kein politisches Amt
Würde er tatsächlich zum Sozialdienst verurteilt, dürfte er zwar weiterhin politisch tätig sein, aber er darf kein politisches Amt ausüben. Das sieht ein Gesetz vor, dass das Parlament im Januar 2013 – mit Berlusconis Unterstützung – verabschiedet hatte. Das Gesetz, nach der früheren Justizministerin Severino benannt, postuliert, dass jene, die zu mehr als zwei Jahren Haft verurteilt wurden, während zwei Jahren kein politisches Amt ausüben dürfen. Als Folge davon wurde Berlusconi im letzten Herbst aus dem Senat geworfen.
Doch jetzt will er unbedingt als Spitzenkandidat der Forza Italia für die Europa-Wahlen kandidieren. Diese finden in Italien am 25. Mai statt.
"Mehr Italien, weniger Deutschland"
Berlusconi und seine Forza Italia haben bereits das Wahlkampfprogramm festgelegt. Es schürt anti-deutsche und Anti-Merkel-Gefühle und erinnert in der Tendenz an Marine Le Pen. Der Hauptslogan lautet: „Mehr Italien, weniger Deutschland” ("Più Italia, meno Germania") und “Basta mit dem Euro, dieser ausländischen Währung” ("Basta con l'Euro moneta straniera”).
Den Reformkurs des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi will man im Wahlkampf nicht kritisieren, das könnte kontraproduktiv sein. Doch scharfe Attacken will Forza Italia gegen Renzis Wirtschaftspolitik reiten. Das wäre nicht allzu schwer. Renzis Wirtschaftsprogramm wird von vielen als illusorisch und vor allem als nicht finanzierbar bezeichnet.
Die Chancen stehen schlecht
Doch Berlusconi wird schwerlich als Kandidat an den Europa-Wahlen teilnehmen können. Ein italienisches Gericht hatte es ihm aufgrund des Severino-Gesetzes verboten. Jetzt versucht er verzweifelt vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg, grünes Licht für eine Kandidatur zu erhalten.
Die Chancen stehen schlecht. Schon aus Zeitgründen, denn die Strassburger Mühlen mahlen langsam. Und die Zeit drängt. Die Kandidaturen für die Europa-Wahlen müssen bis zum kommenden Dienstag, 15. April, offiziell eingereicht werden. Es ist anzunehmen, dass das Strassburger Gericht einen Entscheid fällt, wenn die Wahlen längst vorbei sind.
Wird er sich rächen?
Wie das Urteil auch immer aussieht: Berlusconi muss eine Strafe verbüssen. Das kratzt an seinem Ego. Wird er sich rächen? Wird er Massendemonstrationen organisieren? Wird er wieder von einem „Putsch der Kommunisten“ sprechen? Das hätte Tradition. Schon drohte er damit, die angestrebte Wahlrechts- und Verfassungsreformen der Regierung Renzi zu torpedieren. Wird er gar versuchen, Renzi zu stürzen?
Bis vor kurzem konnte Matteo Renzi auf das Wohlwollen von Berlusconis Forza Italia zählen. Das könnte bald vorbei sein. Renzi politisiert auf dünnem Eis. Auch in seiner eigenen linken Bewegung rumort es. Vor allem Gewerkschaftskreise sind nicht mit all seinen Reformvorschlägen einverstanden.
Historisches Tief
Eine grosse Unbekannte sind nach wie vor Beppe Grillo und seine „5 Sterne“-Bewegung. Viele ihrer Abgeordneten verhalten sich wie trampelnde Elefanten im Porzellanladen.
Im schlechtesten Fall für Renzi könnten die „Fünf Sterne“ mit Berlusconis Forza Italia zusammenfinden und die Regierung stürzen. Dann gäbe es Neuwahlen. Das ist unwahrscheinlich, doch in Italien ist schnell immer alles möglich.
Dennoch: Auch wenn die Strafe für Berlusconi milde ausfallen sollte: sein Stern verblasst. Seine Partei erlebt zurzeit ein fast historisches Tief. Laut einer vom Fernsehsender Rai3 veröffentlichten Meinungsumfrage, erzielt Berlusconis Forza Italia nur noch 16,9 Prozent Zustimmung und landet damit abgeschlagen auf dem dritten Platz. An erster Stelle der regierende sozialdemokratische Partito Democratico von Matteo Renzi mit 32,8 Prozent und an zweiter Stelle die Protestbewegung „5 stelle“ vom Ex-Komiker Beppe Grillo mit 25,5 Prozent.
Wie Aung San Suu Kyi
Wegen dieser Zahlen sind im Moment auch nicht alle Abgeordneten von Berlusconis Forza Italia gierig auf Neuwahlen. Mit einem Anteil von knapp 17 Prozent würden einige von ihnen nicht mehr gewählt.
Zudem warten auf Berlusconi weitere Prozesse mit schlechten Prognosen. Die Marokkanerin Karima el-Mahroug alias Ruby könnte ihm dann endgültig das Genick brechen.
Und wenn das Gericht nun doch Berlusconi unter Hausarrest stellte? „Dann wäre er ein Symbol“, sagte am Donnerstag Renato Brunetta, ein enger Freund Berlusconis. „Ein Symbol, das man nicht knebeln kann, auch wenn man es unter Hausarrest stellt. So wie Aung San Suu Kyi”.