Matteo Salvini, der Chef der rechtspopulistischen Lega driftet immer mehr nach rechtsaussen ab. Jetzt will er einen Pakt mit Marine Le Pen und der AfD.
Giorgia Meloni, die im Postfaschismus sozialisierte heutige italienische Regierungschefin, hat viele überrascht. Auch achteinhalb Monate nach ihrem Amtsantritt hält sie das Steuer fest in der Hand und führt einen pro-westlichen Kurs. Innenpolitisch sieht es verworrener aus. Doch ihre Partei, die postfaschistischen «Fratelli d’Italia», liegt in den Meinungsumfragen mit knapp 30 Prozent noch immer klar an der Spitze.
Doch 30 Prozent – das reicht nicht, um allein regieren zu können. Meloni braucht die Unterstützung der rechtspopulistischen, fremdenfeindlichen «Lega» von Matteo Salvini und der von Silvio Belusconi gegründeten «Forza Italia». Zusammen verfügt das Trio über eine klare Mehrheit in beiden Parlamentskammern.
Berlusconi mit seinen eigenwilligen Kapriolen und Alleingängen ist der Regierungschefin nun abhanden gekommen, doch Salvini ist noch immer da.
Gigantischer Absturz
Der Lega-Chef ist eine tragische Figur. Vor noch nicht allzu langer Zeit schwang er in Umfragen mit weit über 30 Prozent klar obenauf. Im August 2019 sah er sich bereits als Regierungschef und fühlte sich so stark, dass er gegen den damaligen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte putschte. Doch der Putsch misslang.
Seit zwei Jahren nun legen die Fratelli d’Italia in Umfragen ständig zu und graben der Lega und Forza Italia das Wasser ab. Nicht nur Berlusconis Partei dümpelte dahin, auch Salvinis Lega erlebte in den letzten Jahren einen gigantischen Absturz. Zwar hat sie in den letzten Wochen leicht zugelegt. Doch aus den 32 Prozent von 2019 wurden jetzt 9 Prozent.
Salvini selbst wurde längst von der resoluten Meloni an die Wand gedrückt. In Römer Journalistenkreisen wird Salvini als «Melonis Pudel» bezeichnet. Die beiden mochten sich nie, auch wenn sie vor der Kamera nette Einigkeit demonstrierten. Für Salvini ist Meloni eine ernste Gefahr. Und Meloni betrachtet den Lega-Chef als lästige Windfahne.
Vermintes Terrain
Salvini befindet sich in einer unangenehmen Lage. Er muss Meloni zudienen, damit die Regierung Bestand hat. Anderseits muss er aus ihrem Schatten hervortreten und zeigen, dass es ihn überhaupt noch gibt. Das kann er nur, indem er wie früher einen eigenständigen, regierungskritischen provozierenden Kurs fährt. Er muss Kante zeigen, ohne die Regierung zu gefährden. Ein schwieriges Unterfangen.
Jetzt allerdings wagt er sich auf vermintes Terrain. Er verlangt, dass Italien zusammen mit rechtspopulistischen, rechtsextremen und illiberalen europäischen Parteien einen Schulterschluss bildet, um «gegen die Linken» zu kämpfen. Im Visier hat er vor allem die deutsche AfD, Marine Le Pen aus Frankreich, aber auch die rechtsextreme Vox aus Spanien.
Ein geplanter Besuch der französischen «Rassemblement National»-Chefin in Rom war diese Woche wegen des Aufruhrs in Frankreich im letzten Moment abgesagt worden. Stattdessen flirteten Salvini und Marine Le Pen in einer Video-Konferenz miteinander.
«Aber ohne Le Pen und ohne die AfD»
Doch Salvinis strammer Rechtsruck kam bei vielen in Italien schlecht an. Meloni selbst soll laut Angaben von Journalisten «erzürnt» sein. Sie, die mühsam versucht, von ihrem rechtsextremen Image wegzukommen, hat nun einen Koalitionspartner, der mit der AfD, Marine Le Pen und der spanischen Vox einen Pakt bilden will.
Nicht nur Meloni ist erzürnt. Antonio Tajani, der italienische Aussenminister und starke Mann in der von Berlusconi gegründeten Forza Italia, sagt es deutlich: «Es ist für uns unmöglich, eine Vereinbarung mit der AfD und der Partei von Frau Le Pen zu treffen.» Er sei froh, dass die Lega Teil der Regierungsmehrheit sei, «aber ohne Le Pen und ohne AfD».
Salvini konterte sofort: «Möchte unser Freund Tajani wirklich lieber mit den Sozialdemokraten, den Sozialisten und Macron weiterregieren?» Die Lega würde daran arbeiten, liess Salvini erklären, die Mehrheitsverhältnisse in Europa umzustürzen und «endlich ein vereintes Mittte-Rechts-Projekt ins Leben zu rufen». Dieses könne den Bürgern «nach Jahren der falschen linken Regierungspolitik konkrete Antworten geben».
Akt der Verzweiflung?
In Anspielung auf Tajani heisst es in einem Communiqué der Lega, es sei nicht «die Zeit für Diktate und auch nicht dafür, von vornherein zu entscheiden, wer aus dem europäischen Mitte-Rechts-Projekt ausgeschlossen werden soll».
Ist der pointierte Rechtsruck ein Verzweiflungsakt Salvinis, um in Italien wieder einmal Schlagzeilen zu produzieren? Um seinen Wählern und Wählerinnen zu demonstrieren, dass es ihn noch gibt, dass er in der Regierung nicht nur das fünfte Rad am Wagen ist?
Allerdings wird auch eine andere Lesart der Ereignisse verbreitet, vor allem von der Linken.
Vertauschte Leinen
Noch immer gibt es viele, die Meloni nicht trauen. Sie sei der Wolf im Schafspelz und verstecke zur Zeit nur ihre rechtspopulistische, postfaschistische Gesinnung. Wenn sie dann international endgültig Anerkennung erreicht und Fuss gefasst habe, würde sie immer mehr innenpolitisch eine sehr rechte Agenda durchsetzen. Und Salvini sei jetzt von Meloni vorgeschickt worden, um zu testen, wie die Bevölkerung darauf reagiert, wenn man ein Zusammengehen mit europäischen Rechtsaussen-Bewegungen ins Auge fasst.
All das sind Spekulationen, Mutmassungen und Behauptungen. Der Römer Politbetrieb war schon immer eine phantasievolle Gerüchteküche.
Sicher ist nur eines: Nach dem Wahlsieg im vergangenen September glaubte Salvini, dass er Meloni, «das Mädchen aus der Gosse», wie es in der Lega hiess, an die Leine nehmen könne. Manchmal geschieht im Leben das Gegenteil.