«Bürgenstock» ist nicht genug. Die Schweiz bleibt am hintersten Ende der europäischen Geberländer bei der gesamten Unterstützung von Kiew. Dabei nimmt der Bedarf wegen des andauernden Aggressionskriegs von Russland gegen die Ukraine rasch zu.
Militärisch ist die Ukraine momentan unter schwerem Druck. Die Ostfront im Donbass bröckelt, da Putin ohne jede Rücksicht auf eigene Opfer immer neue Massen von Soldaten und Material verheizt. Mehr und effizientere Militärhilfe aus dem Westen ist dringend notwendig. Gleichzeitig bombardiert die russische Vernichtungsmaschine gezielt ukrainische Infrastruktur im ganzen Land, vor allem im Bereich Energie, um im kommenden Winter auf eine frierende, damit mutlosere Bevölkerung in der Ukraine zählen zu können. Und drittens wird der ukrainische Staatshaushalt immer defizitärer; die Auszahlung von Löhnen an die Truppen und an alle Beamten ist in Gefahr.
Obskure Neutralität
In allen drei Bereichen kann, soll und muss die Schweiz mehr tun. Der Bundesrat und eine ungesunde Allianz von nationalkonservativer SVP rechts und pazifistischen Linken im Parlament verunmöglicht weiter militärische Hilfe, die mit relativ geringem Kostenaufwand geleistet werden könnte. Die eingemotteten, vor wenigen Jahren noch zum Schrottpreis erhältlichen, annähernd 100 Leopard-Panzer der ersten Generation könnten als Gesamtpaket via Ringvergabe in die Ukraine gelangen. Ebenso andere gepanzerte Fahrzeuge und vor allem auch Munition. Das dagegen vorgebrachte Neutralitätsargument ist veraltet – das heute ungültige Haager Abkommen von 1907 –, längst von den Verpflichtungen der Schweiz unter der UNO-Charta ersetzt und wird international nicht ernst genommen.
Es widerspricht zudem der allgemein anerkannten Notwendigkeit zusätzlicher schweizerischer Aufrüstung, welche neben eigenen Anstrengungen nur erhältlich ist via mehr internationale Zusammenarbeit mit der Nato und der EU. Deren Mitglieder werden sich hüten, mit einer Schweiz zusammenzuarbeiten, deren Kriegsmaterial im Notfall nicht gebraucht werden kann und die zwar mehr Kooperation von anderen wünscht, aber sich bei Eigenleistungen hinter einem obskuren Neutralitätsverständnis verkriecht.
Schweizerische Energie
Die Schweiz ist ein energiereiches Land und ist, wie befürchtete, aber nicht eingetretene Mangellagen im Winter gezeigt haben, durchaus in der Lage, Energie zu exportieren. Präzedenzfälle existieren: Im ersten schweizerischen Hilfspaket von 1990/91 für notleidende, eben erst unabhängig gewordene Länder in Osteuropa nahm die Energiehilfe – der Schreibende war an dessen Ausarbeitung beteiligt – einen wichtigen Platz ein.
Aber auch mit anderen Hilfeleistungen wäre der Ukraine sehr geholfen. So mit der Lieferung von kleineren Generatoren, mit Material zur Erzeugung erneuerbarer Energie wie Sonnenkollektoren und mit mehr Reparaturhilfe zerstörter Energieinfrastruktur.
Finanzhilfe
Hier steht schweizerische Zahlungsbilanzhilfe im Vordergrund, geleistet aus den schweizerischen Währungsreserven im Rahmen des IWF (Internationaler Währungsfonds). Diese werden von uns nie gebraucht, da der Schweizer Franken zu den global stärksten Währungen gehört. Diese Hilfe, auch in Milliardenhöhe, wäre rasch verfügbar – andere vergleichbare Länder haben das vorgemacht – und wäre möglich, ohne das Bundesbudget zu belasten. Dies ungeachtet der wiederholten Beteuerungen aus den zwei staatlichen Hochburgen schweizerischen Finanzkonservatismus’, dem Finanzdepartement und der Nationalbank. Es stimmt einfach nicht, dass es sich hier um unantastbare Reserven und Währungspolitik handle, welche mit der Ukrainehilfe nichts zu tun hätten. Das Geld ist vorhanden, völlig unter schweizerischer Kontrolle und kann in einem Extremfall wie der russischen Aggression gegen das demokratische Europa, also auch gegen die Schweiz, ohne weiteres gebraucht werden.
Nun hat eine Parlamentskommission mit einem gemeinsamen Paket von Aufrüstung und Ukrainehilfe einen ernsthaften Vorstoss unternommen, finanziert mit einem Sonderfonds neben dem normalen Budget. Dieser ist mit Verweis auf zusätzliche Schulden wiederum an der gleichen unheilligen Allianz von SVP und linken Pazifisten aufgelaufen, leider aber auch im Bundesrat. Die Schweiz ist unter den Industrieländern das am wenigsten verschuldete Land und könnte diese Sonderanstrengung jederzeit stemmen.
Wir müssen jetzt viel mehr für die geschundenen Ukrainerinnen und Ukrainer in ihrem Heimatland tun. Hier sollten in der Schweiz Politikerinnen und Politiker, aber auch Persönlichkeiten aus der Zivilgesellschaft mit dem viel gescholtenen Aufruf vorangehen: Wir schaffen das.