Zum heutigen Uno-Welttag gegen Straflosigkeit für Verbrechen an Journalisten veröffentlicht «Reporter ohne Grenzen» (ROG) eine neue Liste der «Feinde der Pressefreiheit». Sie umfasst 35 Staats- und Regierungschefs, Extremisten- und Verbrecherorganisationen sowie Geheimdienste. ROG fordert weiterhin die Einsetzung eines Uno-Sonderbeauftragten für den Schutz von Journalisten.
Die «Feinde der Pressefreiheit» verkörpern in besonders drastischer Weise die rücksichtslose Unterdrückung der Pressefreiheit durch Zensur, willkürliche Verhaftungen, Folter und Mord. Viele von ihnen machen seit Jahren Jagd auf Medien und Medienschaffende – und geniessen dabei Straffreiheit. Die ROG-Liste zeigt, wie sie vorgehen, welche Mittel sie einsetzen und wie sie sich nach aussen geben. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, prangert jedoch besonders gravierende Beispiele für die Straflosigkeit an und die politisch Verantwortlichen für systematische Verbrechen an Medienschaffenden.
Neu auf der Liste stehen unter anderem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der ägyptische Präsident Abdelfattah al-Sisi und Thailands Junta-Chef Prayut Chan-o-cha. Zu den weiteren Neuzugängen gehören etwa der burundische Präsident Pierre Nkurunziza, Saudi-Arabiens König Salman und Venezuelas Präsident Nicolas Maduro, ausserdem die Huthi-Rebellen im Jemen, die Dschihadistenmiliz «Islamischer Staat» und die Islamistengruppe Ansarullah Bangla Team in Bangladesch.
Gegen Straflosigkeit, für Uno-Sonderbeauftragten
Der Welttag gegen Straflosigkeit für Verbrechen an Journalisten macht auf Beschluss der Uno-Vollversammlung jährlich am 2. November darauf aufmerksam, dass die mangelnde Verfolgung von Gewalttaten eines der grössten Hindernisse für einen besseren Schutz von Medienschaffenden bei ihrer Berufsausübung ist.
ROG wirbt bei den Vereinten Nationen intensiv um die Einsetzung eines an zentraler Stelle im Uno-Apparat angesiedelten Sonderbeauftragten für den Schutz von Journalisten, um diesen seit vielen Jahren bekannten Missstand endlich effektiv zu bekämpfen. Der Sonderbeauftragte sollte unter anderem als Frühwarnsystem für Uno-Organe wie den Weltsicherheitsrat fungieren, wenn Staaten ihre völkerrechtlichen Pflichten zum Schutz von Medienschaffenden nicht einhalten. Ausserdem sollte er Übergriffe gegen Journalisten untersuchen, Schutz- und Präventionsmechanismen vorschlagen und eine einheitliche Strategie der Unp gegen das Problem der Straflosigkeit entwickeln.
Die Techniken der Unterdrückung sind vielfältig. In der Türkei kontrolliert Präsident Erdogan nach mehreren Verhaftungs- und Schliessungswellen im Zuge des derzeitigen Ausnahmezustands einen Grossteil der relevanten Nachrichtenmedien. Derzeit sind mindestens 130 Journalisten im Gefängnis; mindestens 140 Medien wurden geschlossen. In Ägypten stellt das Regime von Präsident Sisi Journalisten wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Verbindungen zur verbotenen Muslimbruderschaft pauschal unter Terrorverdacht. Mehrere wurden in grotesken Massenprozessen zu lebenslangen Haftstrafen oder gar zum Tod verurteilt; andere sind seit mehr als drei Jahren ohne Urteil in Haft.
Repressionswelle in Thailand, Folter in Burundi
In Thailand erleben die Medien seit dem Militärputsch von 2014 die schlimmste Repressionswelle seit den 1960er Jahren. Kritische Journalisten werden in Umerziehungslager gesperrt oder bedroht, Selbstzensur ist die Norm. In Burundi geht Präsident Nkurunziza seit Beginn der politischen Krise um seine Amtszeitverlängerung im vergangenen Jahr mit Justizschikanen, willkürlichen Verhaftungen, Veröffentlichungs- und Sendeverboten gegen unbotmässige Journalisten vor. Zum Repertoire seiner Sicherheitskräfte gehören auch Misshandlungen, Folter und Verschwindenlassen.
In Saudiarabien hat sich der neue König Salman in die Tradition der umfassenden Medienkontrolle der Al-Saud-Dynastie eingefügt. Für Kritik an Menschenrechtsverletzungen oder an den Institutionen der religiös legitimierten Monarchie müssen Blogger und Journalisten unverändert mit drakonischen Strafen rechnen. In Venezuela sind unter Präsident Maduro wichtige oppositionelle Medien von regierungsnahen Unternehmen aufgekauft und kritische Zeitungen durch die Verknappung von Druckpapier zum Verstummen gebracht worden. Veröffentlichungen, die die «legitim konstituierte Macht in Frage stellen», wurden per Gesetz unter Strafe gestellt.
Islamisten und Verbrecherorganisationen
Neben vielen Staats- und Regierungschefs gehören sowohl nichtstaatliche Gruppen als auch staatliche Institutionen zu den «Feinden der Pressefreiheit»: Im Jemen haben die Huthi-Rebellen wiederholt Redaktionen und Fernsehsender gestürmt. Zahlreiche Journalisten sind unter ihrer Herrschaft verschwunden oder entführt und gefoltert worden. Mit Drohungen und Anschlägen, Entführungen und demonstrativ grausamen Morden an Journalisten setzt der «Islamische Staat» seine Strategie der umfassenden Medienkontrolle durch – und das nicht nur in den von ihm kontrollierten Gebieten in Syrien und dem Irak, sondern auch in Teilen von Afghanistan und Libyen.
In Bangladesch brandmarkt die Islamistengruppe Ansarullah Bangla Team säkulare Blogger und Autoren als Gotteslästerer und ruft zu ihrer Ermordung auf; mehrere wurden schon bestialisch niedergemetzelt. Verbrecherkartelle wie Los Zetas haben Mexiko zu einem der gefährlichsten Länder Amerikas für Journalisten gemacht. Dank korrupter Polizei- und Justizbehörden können sie unliebsame Journalisten straflos durch Drohungen, Gewaltverbrechen und Entführungen einschüchtern.
Daneben finden sich auf der Liste viele langjährige «Feinde der Pressefreiheit». Zu ihnen gehören etwa Eritreas Präsident Isaias Afewerki, Sudans Präsident Omar al-Baschir, der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping und Nordkoreas Staatschef Kim Jong Un. Unverändert katastrophal ist die Situation unabhängiger Journalisten auch unter Kubas Präsident Raul Castro, Singapurs Ministerpräsident Lee Hsien Loong, Russlands Präsident Wladimir Putin oder Syriens Präsident Baschar al-Assad.
Der vollständige (englischsprachige) Bericht «Feinde der Pressefreiheit» ist online abrufbar.