Es sind erst etwa acht Monate vergangen, da musste er in Schimpf und Schande gehen. Karl-Theodor zu Guttenberg war als Plagiator entlarvt. Und als Minister hinterließ er, wie Thomas de Maizière, sein Nachfolger im Amt des Verteidigungsministers, erschrocken feststellen musste, ein ungeordnetes und zerstrittenes Haus. Der Exminister, trotz seines Versagens zum Medienstar hochgejubelt, ging - wie lange vor ihm auch manche anderen gescheiterten Existenzen – über den Atlantik, weg von den beengenden und ungerechten Zuständen im alten Europa.
Doch da folgte ausgerechnet der mediengewandte Chefredakteur der ZEIT, Giovanni di Lorenzo, dem Ruf seines Bruders im Geiste Guttenberg. Dieser bat, allzu früh, wie viele fanden, um Wiedereintritt in die Sphäre der Medien. Drei Tage verbrachten die beiden in einem komfortablen Londoner Hotel, herausgekommen ist ein ellenlanges Interview im ZEIT-Dossier, in welchem der Freiherr zu seiner Verteidigung nicht mehr zu sagen hat als schon vor Monaten. Das zweifelhafte Rehabilitations- und Comebackprojekt soll unter dem Titel „Vorerst gescheitert“ am 29.November im katholisch geprägten Herderverlag (eigentlich spezialisiert auf kirchliche, theologische, spirituelle, ethische Themen) sogar als Buch erscheinen.
Zwei eitle Medienmenschen
Verräterisch ist bei diesem Titel das Wörtchen „vorerst“. Guttenberg ist gescheitert. Diese Tatsache bedeutet nicht, dass er niemals eine Chance zur Rehabilitierung bekommen sollte. Aber ein Frühstart mit neuem Image – ohne Gel und ohne Brille und mit ätzender Kritik an vielen jener Politiker, mit denen er noch vor kurzen zusammen gearbeitet hat und die ihn seinerzeit, jedenfalls in seiner CSU, lange loyal gestützt hatten? Und wieso gibt sich der Chefredakteur eines der angesehensten deutschen Presseorgane, der ZEIT, dazu her, sich mit dem Gescheiterten zu verbrüdern? Hier finden sich, das ist wohl der Grund, zwei eitle Medien-Menschen zusammen. Fatale Folge: Die Trennung von Politik und Journalismus wird aufgehoben, im Zeitraffer soll aus einem Gescheiterten wieder ein Hoffnungsträger werden – sogar mit Hilfe eines seriösen Wochenblattes.
Immerhin, es gibt noch Anzeichen eines journalistischen Gewissens im Lande. In der Berliner Zeitung vom 26./27.November (Seite 4) fragt die kurdischstämmige deutsche Schriftstellerin Mely Kiyak, mit was denn Guttenberg gescheitert sei – mit hartem Arbeiten, mit Plagiieren, mit dem Zusammenstöpseln kluger Gedanken anderer? Und dann deckt Mely Kiyak den offensichtlichen Skandal auf: Bei der ZEIT, schreibt sie, könne man neuerdings Interviews bestellen. Guttenberg habe um ein Interview gebeten und gefordert, dieses müsse vor Jahresende erscheinen.
"Handstreich-Populismus"
Auch Monica Lierhaus, einst ARD-Sportmoderatorin, habe, schreibt Mely Kiyak, im seriösen Hamburger Wochenblatt erklären dürfen, warum sie für ihre Minimoderation beim „Platz an der Sonne“ die exzessive Summe von 500 000 Euro pro Jahr erhalte – in einer Zeit, wo Hunderttausende von Leiharbeitern von ihrer Fronarbeit nicht leben können. So etwas nennt man bürgerlichen Journalismus.
Man kann auch, wie es die Süddeutsche Zeitung (Ausgabe vom 26./27.November, S. 17) in ihrem Interview mit dem Bayreuther Rechtsprofessor Oliver Lepsius tat, von „Handstreich-Populismus“ sprechen. In dem Gespräch will Oliver Lepsius von seinem Vorwurf, Guttenberg sei ein Betrüger, nicht abrücken, er kritisiert, dass der Freiherr politische Kärrnerarbeit scheue, dass Guttenberg heute abermals „schlicht lüge“ oder aber an „Realitätsverlust“ leide. Lepsius hält sie letzte Version für die wahrscheinliche.
Mit leisem, aber umso subtilerem Humor meldete sich die Berliner taz. „Gebrüder Grimm“ überschrieb sie ihre feinsinnige Analyse (25.November, S. 14) und montierte dazu ein Photo, welches die lächelnden Gesichter von Lorenzo und Guttenberg aneinander geschmiegt zeigt. Und dann der Text: „Sie trugen Wollpullover und blaue Hemden, sie sahen fast aus wie Brüder. Di Lorenzo ließ die Lesebrille baumeln in seiner linken Hand. Den Zeigefingers einer rechten legte er ans Kinn, er strahlte echtes Interesse aus, beinahe Faszination.“
Eine schlimme Praxis
Kein Wunder, Giovanni die Lorenzo ist als einer der Moderatoren der von Radio Bremen produzierten Talkshow „Drei nach neun“ seit Jahren Teil dieses ausartenden Medienbetriebes. In dieser von irdischen Problemen oft abgekoppelten Welt kann das Prinzip der journalistischen Distanz leicht verloren gehen. Ein solcher Verlust führt dann dazu, dass, wie im Falle Lorenzo/Guttenberg, ein in diesem Metier Erfolgreicher einem einst Erfolgreichen wieder in die Spur verhelfen will. Journalismus? I wo.
Diese Methoden, diese „Männerwochen bei der Zeit“ (taz) haben eine schlimme Praxis eröffnet. Vor Wochen verhalf ZEIT-Herausgeber Helmut Schmidt in der Talkshow des überbezahlten und manchmal auch überforderten Günther Jauch seinen Parteigenossen Peer Steinbrück zum Prädikat eines geeigneten und befähigten Kanzlerkandidaten. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen war begeistert – es verzeichnete eine Rekord-Einschaltquote. Auch die SPD jubilierte – selten zuvor in den letzten Jahren war die Verliererpartei von 2009 so sehr in den Medien präsent. Wieder eine Symbiose von Medien und Politik.
Und der wahre Journalismus? Allmählich bleibt er auf der Strecke, zumindest (abgesehen von den Spartenkanälen) bei ARD und ZDF. Gut recherchierte Dokumentationen verschwinden aus den Programmen oder sie werden gesendet, wenn der tagsüber hart arbeitende Zuschauer schon schläft – wie kürzlich im ZDF Klaus Klebers exzellente Reportagen über das „Burnout“ der Erde, über den Raubbau an allen Schätzen, die unser Planet einst reichlich geboten hat.
Talkshow statt Interview
Statt solcher Präsentation von Fakten gibt es jetzt – etwa in der ARD - fast jeden Abend Talkshows, in denen sich immer dieselben Politiker, immer dieselben so genannten Experten, immer dieselben Feministinnen so lange unterhalten, bis alle Fakten, welche die Diskussion eigentlich offen legen sollen, unter einem Berg von Infotainment verschüttet sind.
Will etwa der Reporter eines der – glücklicherweise noch immer bestehenden – politischen Magazine von der Arbeitsministerin ein gezieltes Interview über die von ihr geplante Mini-Rentenreform, wird er brüsk abgewiesen. Nur bitte keine, die Arbeit der Ministerin möglicherweise diskreditierenden Fakten. Wird dieselbe Ministerin – Ursula von der Leyen – indessen in eine Talkshow geladen, so nimmt sie gerne an – die Verführung zur politischen Selbstdarstellung ist zu groß.
Kein anderer als der intellektuell und politisch-moralisch unanfechtbare Präsident des deutschen Bundestages, Norbert Lammert von der CDU, hat seine Kollegen mehrmals dafür kritisiert, dass sie ständig Talkshows als Mittel der Selbstdarstellung benutzten – wie überhaupt, so sieht es Norbert Lammert, die Politik im öffentlich-rechtlichen, mit Gebühren finanzierten Fernsehen der Bundesrepublik auf dem Rückzug sei. Das Fernsehen, sagt Norbert Lammert, benutze Politik zunehmend zu Unterhaltungszwecken.
Bitte keine Fakten!
Informationen in Talkshows? Der Kabarettist Georg Schramm fordert in einem seiner beißenden Auftritte auf deutschen Kleinkunstbühnen, der Moderator solle einem Gast, auch wenn dieser ein hoch gestellter Politiker sei, einfach das Mikrophon abschalten, wenn dieser nicht auf präzise Fragen antworte. Doch präzise, Informationen fordernde Fragen sind eher die Seltenheit. Der Autor Manfred Clemens formulierte diesen traurigen Tatbestand in einem Spiegel-Essay über die deutsche Talkshow-Flut so (Ausgabe vom 21.11.11., Seite 148): „Bitte keine Fakten, Fakten sind langweilig, unpersönlich, unemotional, nicht sexy.“
Guttenberg, Lorenzo, Schmidt, Steinbrück, Lierhaus, Jauch, (und viele der anderen so genannten Talkmeister und Politgrößen) sowie ZEIT und ARD/ZDF sind Indizien für die Existenz einer unguten politisch-journalistischen Melange im deutschen Journalismus, in welcher der Ur-Auftrag jedweden Journalismus – Recherche, die zu gediegener Information führt – immer öfter auf der Strecke bleibt.