Damals, im Jahr 2000, war es eine Sensation gewesen, dass ein Papst sich für die Vergehen entschuldigt, die seine Kirche im Laufe ihrer Geschichte begangen hat. Fünfzehn Jahre später erscheint das Schuldbekenntnis des Papstes schon fast als eine Selbstverständlichkeit. Und doch ist es von besonderer Bedeutung, wenn der aus Lateinamerika stammende Franziskus sich vor der indigenen Bevölkerung Boliviens zu den Verbrechen bekennt, die Vertreter der katholischen Kirche an deren Vorfahren begangen haben. Bolivien ist das südamerikanische Land mit dem höchsten Anteil an Bewohnern indigener Abstammung. Die Traditionen der Aymara sind im Alltag Boliviens allgegenwärtig: nicht nur auf dem berühmten Hexenmarkt von La Paz, sondern auch innerhalb der katholischen Kirche, die sich hier wie auch in Peru nur behaupten kann, wenn sie auf die spirituellen Bedürfnisse der indigenen Bevölkerung Rücksicht nimmt.
Dieses „heidnische“ Erbe dürfte Papst Franziskus zwar ebenso wenig gefallen wie die Säkularisierungstendenzen des sozialistisch gesinnten Präsidenten Evo Morales. Gerade als Jesuit weiss er aber auch um die Bedeutung religiöser Inkulturation in den Ländern Lateinamerikas. Man begegnet Zeugnissen dieses Prozesses auf Schritt und Tritt. Ich erinnere mich, in einem kleinen Ortsmuseum eine wunderschöne Mutter Gottes in indigener Tracht gesehen zu haben, die einen Jesus mit gestickter Wollmütze im Schoss hält. Ich erinnere mich aber auch an eine Statue des in Spanien als Mohrentöter verehrten heiligen Jacobus, dessen Pferd hier, statt über einen besiegten Mauren, über einen am Boden liegenden Indio hinwegtrampelt. Bilder wie diese sind im Gedächtnis der Andenvölker festgeschrieben. Papst Franziskus hat die Spannung ausgehalten und sich mit seinem Besuch bei der indigenen Bevölkerung zweifellos viele Sympathien geholt.