Als sich Alexander McQueen 2010 mit vierzig das Leben nahm, stand er im Zenit und galt als der bedeutendste Modeschöpfer Britanniens. Der Aufstieg zu solchen Höhen war Lee McQueen allerdings nicht in die Wiege gelegt. Er stammte aus dem Londoner East End, war der Sohn einer einfachen Working-Class-Familie. Nur etwas zeichnete ihn vor den Jungs in der Nachbarschaft aus: die Begeisterung, mit der er Kleider für seine Schwestern entwarf. Doch diese Leidenschaft sollte seine Lebensbahn bestimmen.
Konsequent verfolgte Vision
Mit sechzehn suchte er sich eine Lehrstelle in der Savile Row, wo Massanzüge für die Upper Class gefertigt werden. Dann arbeitete er eine Zeitlang fürs Theater, wurde Praktikant bei Romeo Gigli in Mailand und ergatterte schliesslich einen Ausbildungsplatz am Central Saint Martins College of Art und Design. Seine Abschlusskollektion „Jack The Ripper Stalks His Victims“ erregte Aufsehen und faszinierte vor allem die einflussreiche Modejournalistin Isabella Blow, die ihm die Kollektion abkaufte und ihn unter ihre Fittiche nahm.
Mit einer Bande von jungen Wilden verfolgte McQueen in aller Konsequenz seine künstlerischen Visionen, wobei er das Arbeitslosengeld öfter für Stoffe als für Nahrung ausgab. Düster-morbide Kollektionen wurden sein Markenzeichen, so etwa „Highland Rape“ von 1995, wo sich seine Models mit zerrissenen bzw. derangierten Kleidern auf dem Laufsteg präsentierten, so als wäre ihnen gerade Gewalt angetan worden. Dies wurde als Angriff gegen Frauen empfunden und rief natürlich Proteste hervor. Doch die Provokation war gewollt, denn das Image des Punk kam gut an in den schrägen Neunzigern.
Jedenfalls holte die französische Nobelmarke Givenchy McQueen 1997 als Chefdesigner nach Paris, und mit seinem Gefolge von „Hooligans“, wie sie sich nannten, mischte er das Traditionshaus gehörig auf. Nur wurde er nicht recht glücklich dabei. Zu gross war letztlich die Differenz der Kulturen. Hinzu kam, dass er zugleich weiter sein eigenes Label in London führte, was eine immense Arbeitsbelastung bedeutete.
Obsessionen
Überhaupt scheinen die Dinge nach der Jahrtausendwende ins Gleiten zu geraten: Kokain kommt vermehrt ins Spiel, das Verhältnis zu Freunden und Förderern wird belastend, weil McQueen sie irgendwo übergangen hat, und schliesslich trifft ihn auch noch die HIV-Diagnose. McQueen fühlt sich zunehmend unverstanden, wird depressiv und zieht sich auf sich selbst zurück. Der Selbstmord von Isabella Blow und schliesslich der Tod seiner Mutter ziehen ihm vollends den Boden unter den Füssen weg. Einen Tag vor ihrer Beerdigung nimmt er einen Drogencocktail und erhängt sich in seinem Kleiderschrank.
Einen Schlüssel zu dieser tragischen Vita mag eine Lieblingslektüre liefern, zu der sich der junge McQueen bekannt hat: Es geht um den Roman „Das Parfum“, dessen Held Grenouille ohne Eigengeruch zur Welt kommt, so dass ihn buchstäblich keiner riechen kann. Zur Kompensation ist ihm aber ein quasi absoluter Geruchssinn geschenkt, der ihm erlaubt, sein Umfeld gezielt mit olfaktorischen Attraktoren zu manipulieren. Ein Parfüm, gewonnen aus dem Duft von 24 Jungfrauen, soll ihm schliesslich die vermisste Zuneigung der Menschen sichern. Doch als ihm das Meisterstück gelungen ist, als er im Glanz steht vor der Menge, wird ihm klar, dass deren Faszination einzig dem Werk gilt und nicht seiner Person, die weiterhin im Schatten der Missachtung bleibt. Zutiefst von sich selbst angeekelt, wirft er sein Leben weg.
Parallelen zu dieser literarischen Figur finden sich bei McQueen durchaus: Da ist eine Verletzung aus der Kindheit, ein Missbrauch, erst sehr spät eingestanden, da zeigt sich ein einmaliges Talent und dazu die obsessive Getriebenheit, die den Künstler alle relevanten Eindrücke aufsaugen lässt, dabei aber nicht frei bleibt von monoman-ausbeuterischen Zügen. Und zuletzt: die Bewunderung, der Glanz in der Öffentlichkeit, der die alten Wunden nur noch tiefer schmerzen lässt.
Drama und kreative Wucht
Ian Bonhôte und Peter Ettedgui haben diese Biographie in fünf „Tapes“ gegliedert, die durchwegs Titel von McQueens Kollektionen tragen. Dahinter steht deutlich der Aufbau des klassischen Dramas, das den Helden über drei Akte zum Höhepunkt führt, um dann im vierten die Wende einzuleiten. Es ist den Regisseuren auch gelungen, viele Menschen vor die Kamera zu bringen, die McQueen aus nächster Nähe erlebt haben: langjährige Mitarbeiter, Verwandte und Lebenspartner. Anhand von Archivmaterial kommt auch der Designer selbst immer wieder zu Wort.
Doch ihre Intensität gewinnt diese Dokumentation primär aus den Originalaufnahmen von Präsentationen, in denen sich McQueens gestalterische Kraft in ihrer ganzen Wucht zeigt: Roboterarme, die ein kreisendes Mannequin mit Farbe besprühen, wobei die drei Figuren ein eigentliches Ballett bilden; Models, die sich wie Zombies durch eine Art von Gummizelle tasten, oder ein Kubus, der aufbricht und dabei einen korpulenten Frauenkörper freigibt, den Motten umschwirren. Das liegt alles weit jenseits des gängigen Catwalk, das sind opulent-surreale Inszenierungen – von einer dunklen Schönheit, die sprachlos macht.
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