In der ETH Zürich befindet sich das Max Frisch-Archiv. Hat man den kleinen, bescheiden ausgestatteten Raum gefunden, wird man sich mit einer überaus spannenden Ausstellung befassen und, je nach Laune und Ausdauer, stundenlang beschäftigen können. Wobei kurioserweise der eigentliche Schau-Teil vielleicht der uninteressanteste bleibt. An den Wänden hat der Künstler und Fotograf Alan Maag Abbildungen von Frischs zahlreichen Notizheften aufgehängt. Die Installation wirkt überinterpretiert. Auch wenn sich die Objekte, die Notizbuchdeckel mit beschrifteten Etiquetten, ein bisschen voneinander unterscheiden, in weitem Sinn verschieden sind, bekommen sie hier eine Aura, eine fast reliquienhafte Bedeutung, die sie nicht brauchen.
Frisch hat sein Leben lang in solchen Notizheften, aber auch in Ringbüchern, auf irgendwelchen Zetteln notiert, was ihm auf- oder zugefallen ist. In den Heften, von denen einige aufgeblättert sind und zur Besichtigung in drei Vitrinen bereit liegen, sind wir ganz nahe an der – geistigen – Person des Autors, wobei diese Nähe nichts voyeuristisches enthält: Es geht nicht um biografische Intimitäten, es geht ausschliesslich um das Entstehen von Literatur, um den Umschlag von Denken, Schauen oder Fühlen in Worte.
Drei Themen
Die Aussteller richten den Fokus auf drei für Frisch massgebende Themen, die in den drei Vitrinen dokumentiert werden: das Tagebuchschreiben, das Reisen, Freundschaften. Man kann sich nach Besichtigung des Materials an einen Tisch setzen und auf einem Tablet zum Beispiel die ersten Impressionen nachlesen, die Frisch 1970 nach einem Besuch im Weissen Haus in Washington und einem Treffen mit dem damaligen Aussenminister Henry Kissinger niedergeschrieben hat. Ein Teil der Notate liegt in transkribierter und ausgedruckter Form zur Lektüre bereit.
Ein Leben lang war Frisch, in allem was er sagte und schrieb, ein unermüdlicher Frager, ein Zweifler. Was immer er aufgriff, sich anverwandelte, wurde analysiert und oft geradezu seziert. Die Notizhefte zeigen, dass diese skeptische Haltung, manchmal auch Stimmung, von Anfang an vorhanden ist. Wenn Frisch einen Gedanken in Worte fasst, stört ihn das Festgeschriebene, Erstarrte und sofort beginnt er damit, das in der Sprachwirklichkeit Erschienene zu unterminieren.
Fokus aufs Tagebuch
Ganz existentiell wird ein solcher Prozess, wenn es ums Tagebuch geht – für Frisch eine Hauptform literarischen Ausdrucks. „Wesentlicher Reiz ist das Selbstgespräch“, notiert er oder: „Schreiben heisst, sich selber lesen“ oder : „wir werden geschrieben“. Das literarische, für die Oeffentlichkeit bestimmte Tagebuch, getragen von einem schwer zu definierenden autofiktionalen Ich, hat in Frisch einen virtuosen Spieler und Meister gefunden. In den Notizheften können wir mitverfolgen, wie es entsteht. Das automatische Geschriebenwerden, eine Errungenschaft des Surrealismus, spielt eine Rolle, das Aufnehmen disparatester Stoffelemente; dagegen gesetzt die Notwendigkeit Struktur zu finden, Ordnung zu schaffen.
Und schliesslich ein sich manifestierendes, sich in Zweifel ziehendes, sich fremd werdendes Ich, eingesetzt gleichzeitig als agierendes Individuum und distanzierter Betrachter.
In gewissem Sinne zeigt die kleine Ausstellung im Frisch-Archiv so etwas wie die Werkstatt des Autors, den Ort, an dem rudimentäres Material, Skizzen, Einfälle zusammengetragen, dann befragt, sortiert, bearbeitet werden und sich schliesslich als Keime behaupten, aus denen ein „Stiller“, ein „Homo faber“, ein „Tagebuch 1946–1949“ entstehen.
Die Ausstellung im Max Frisch-Archiv dauert bis zum 28. September.