Stünde es nicht in seinem selbstverfassten Lebenslauf und gäbe es nicht Zeitzeugen, die es bestätigen, man käme nie drauf, dass sich der vor allem als Krimi-Autor bekannt gewordene Schriftsteller Friedrich Glauser in jungen Jahren an Dada-Soiréen beteiligt hatte. „Sprachensalat“ sei seine Spezialität gewesen, gab er selbst in einem 1931 entstandenen Erfahrungsbericht zu Protokoll und meinte damit jene in Deutsch und Französisch abgefassten Nonsense-Gedichte, die er im Cabaret Voltaire zum Besten gab. Dada und den Nonsense-Gedichten hat er bald den Rücken gekehrt. Geblieben ist eine Freundschaft mit Hugo und Emmy Ball, die ihn mit ins Tessin nahmen, um ihn vor der Entmündigung zu bewahren – ohne Erfolg, wie wir heute wissen. Geblieben ist ihm auch eine Vorliebe für das Mischen von Sprachen. Keiner, ausser vielleicht Gotthelf, beherrschte die Verwendung dialektaler Ausdrücke inmitten eines hochsprachlichen Textes so virtuos wie Glauser in seinen Wachtmeister-Studer-Romanen. Was Glauser darüber hinaus mit den Dadaisten verband, waren seine Unangepasstheit und sein Aussenseitertum, die bei ihm allerdings nie Pose, sondern blutiger Ernst waren.
Wie ernst, das lässt sich nun in der von Rémi Jaccard und Christa Baumberger konzipierten und von Simon Husslein in Szene gesetzten Ausstellung im Literaturmuseum Strauhof in Zürich überprüfen. Das Leben des 1896 in Wien geborenen und bereits 1938 in Nervi verstorbenen Autors stand von Beginn an unter keinem glücklichen Stern. Früher Tod der Mutter, Konflikte mit dem Vater, Probleme mit Autoritäten, Schulverweise, Drogen, Beschaffungskriminalität, Klinikeinweisungen und Haftaufenthalte, Entmündigung, Flucht in die Fremdenlegion, Flucht in die Sucht, Flucht aus der Sucht und schliesslich der frühe Tod am Vorabend der geplanten Hochzeit – dies die Stationen einer Biographie, die scheinbar nur wenig Ähnlichkeit mit gutschweizerischen Lebensläufen aufweist und doch innerhalb der Schweizer Literatur durchaus ihre Parallelen hat. Nicht wenige Autoren dieses Landes – man denke nur an Robert Walser oder Hermann Burger – verbrachten Teile ihres Lebens in der Psychiatrie. Nicht wenige auch – Blaise Cendrars zum Beispiel, Paul Nizon oder auch Max Frisch – sahen im frei gewählten Exil einen Ausweg aus der sie bedrückenden Enge im Kleinstaat. Und wie für sie alle war auch für Glauser das Schreiben letztlich der einzige Ort, an dem er es längere Zeit mit sich selbst aushalten konnten.
Von der Schwierigkeit, Literatur auszustellen
Die Ausstellung im Strauhof macht dieses Lebensmuster deutlich, in dem sie die Besucher zuerst in einer Art Dunkelkammer den einzelnen Stationen von Glausers Leben entlang führt und sie danach in ein Labyrinth entlässt, in dem leitmotivisch zentrale Themen aus Glausers literarischem Schaffen zur Darstellung kommen. Solchermassen eingestimmt, erfolgt dann im Obergeschoss die Begegnung mit einzelnen Werken wie „Gourrama“, „Wachmeister Studer“ und „Matto regiert“, die anhand von Zitaten, Fotos, Filmausschnitten und – nicht zu vergessen – den grossartigen Schwarz-Weiss-Zeichnungen von Hannes Binder präsentiert werden. Eine Vitrine mit Zeugnissen aus Psychiatrie, Vormundschaftbehörde und Strafvollzug setzt den erschütternden Schlusspunkt und wirkt zugleich wie eine Klammer zwischen Unten und Oben, zwischen Leben und Schreiben, die auch im Fall von Friedrich Glauser nicht voneinander zu trennen waren.
Gewiss, es ist alles andere als einfach, Literatur auszustellen. Beim Versuch, mehr zu bieten als nur Manuskripte in Vitrinen oder Hörbeispiele an Audio-Stationen, stossen Literaturausstellungen schnell an ihre Grenzen. Doch gerade die Glauser-Ausstellung im Strauhof zeigt, dass es mit einer klugen Mischung aus konventioneller Präsentation und szenischer Aufbereitung gelingen kann, Leben und Werk eines Autors dem Publikum auf anschauliche und fachlich kompetente Weise näher zu bringen. Friedrich Glauser ist einer der Schweizer Autoren, der zu Lebzeiten als Krimi-Autor unterschätzt und nach seinem frühen Tod bald in Vergessenheit geraten war. Erst die Neuedition seiner Werke in den siebziger Jahren, zuerst im Arche-, später dann im Limmat-Verlag, brachte ihn zurück auf die literarische Bühne und führte vor Augen, was für ein hoch talentierter und bis heute überaus lesenswerter Schriftsteller er war. Aus den Besuchern der Glauser-Ausstellung Leser der Glauser-Bücher zu machen, wäre der grösste Erfolg, den die gelungene Schau im Museum Strauhof haben könnte.
„Friedrich Glauser – Ce n’est pas très beau“, Ausstellung im Museum Strauhof, Augustinergasse 9, 8001 Zürich, bis 1. Mai 2016. Reader zur Ausstellung mit Dokumenten, Texten und Bildern, hrsg. von Christa Baumberger und Rémi Jaccard, Fr. 12.-.