Soll man das? Darf man das? So fragt sich, wer feststellt, dass schon wieder ein Roman auf der Bühne Einzug gehalten hat. Den Anfang machte zu Beginn dieser Spielzeit Franz Kafkas „Prozess“ in der Regie von Barbara Frey. Es folgte im November „Alice im Wunderland“ in der Bearbeitung von Antú Romero Nunes. Und nun also Max Frischs vor genau 50 Jahren erschienener Roman „Mein Name sei Gantenbein“ in einer Bühnenfassung von Dušan David Pařízek.
Natürlich steht nirgendwo geschrieben, dass Romane auf der Bühne nichts zu suchen hätten. Wenn man sich aber dazu entschliesst, muss man sich fragen, was es bringt. Im Falle von Kafkas „Prozess“ war es Langeweile, bei „Alice im Wunderland“ ein gewisses kindliches Vergnügen und bei „Gantenbein“ die nicht ganz neue Einsicht in die Vertracktheit moderner Liebesbeziehungen. An jedem der drei Abende aber ging man nach Haus mit dem dringenden Bedürfnis, endlich wieder einmal den Roman selbst zu lesen, und das ist immerhin etwas. Die Bearbeitungen waren in allen drei Fällen nicht schlecht, wirklich zwingend jedoch erschien keine von ihnen.
Plötzlicher Hang zur Prosa
Warum also tut man es trotzdem? Warum dieser plötzliche Hang des Theaters zur Prosa? Dramatisierungen von Romanen hat es zwar auch früher schon ab und zu gegeben, zur Zeit aber ist ein regelrechter Boom zu beobachten. Warum? Weil es keine guten Stücke mehr gibt? Weil man sich die alten alle schon einmal vorgenommen und auf der Bühne zerlegt hat? Oder weil es für eine Adaptation Tantiemen gibt, die eine blosse Inszenierung nicht abwirft? Die am meisten vorgebrachte Erklärung lautet, der oder jener Roman dränge sich für eine Dramatisierung geradezu auf. Das mag im einen oder andern Fall stimmen. Restlos überzeugend ist auch dieses Argument nicht. Ich vermute vielmehr, dass es einfach Spass macht, einen bekannten Romanstoff für die Bühne zu bearbeiten und dabei noch freier schalten und walten zu können als bei einem in sich geschlossenen Stück.
Von den drei Romanbearbeitungen, die das Schauspielhaus Zürich in dieser Spielzeit präsentiert hat, ist „Mein Name sei Gantenbein“ zweifellos die überzeugendste. Das liegt zum einen an der Vorlage selbst, zum andern am Regisseur, der zusammen mit dem Dramaturgen Roland Koberg eine kluge Auswahl aus der von Frisch vorgelegten Szenenfolge getroffen hat. Dass ein Stoff, der von Erfindung, Einbildung und wechselndem Rollenspiel lebt, sich für die Bühne eignen könnte, hat schon Max Frisch selbst geahnt und drei Jahre nach Erscheinen des Romans das Stück „Biografie, ein Spiel“ vorgelegt. Im Gegensatz zum Roman war dieses kein Erfolg. Eine Geschichte, die behauptet, es könnte alles so oder auch ganz anders sein, funktioniert eben beim Lesen besser, als wenn sich die Vorstellungskraft an den Körpern im Raum stösst. Und so wundert es nicht, dass auch Pařízeks Bühnenfassung hinter der Romanvorlage zurückbleibt. Ein verlorener Abend war es gleichwohl nicht.
Wer bin ich?
Regisseur und Dramaturg haben die komplexe Romanhandlung geschickt vereinfacht und das Personal auf vier Figuren reduziert. Da ist Lila, da sind ihre drei Männer, und da ist die Klaviatur von Liebe, Verrat, Eifersucht und Selbstzweifel, auf der Max Frisch so meisterhaft, so verzweifelt echt zu spielen gewusst hatte. Siggi Schwientek (Svoboda), Michael Neuenschwander (Enderlin) und Lukas Holzhausen (Gantenbein) ziehen ebenfalls alle Register: als betrogener und mit seinem Schicksal hadernder Ex-Mann ebenso wie als machohaft sich gebärdender und doch an sich zweifelnder Geliebter oder als scheinbar gelassener und selbstbewusster Gatte, der vorgibt blind zu sein, um der Realität nicht ins Auge blicken zu müssen. Alle drei sind sie unverwechselbare Charaktere und doch im Grunde stets nur der eine: Max Frisch mit seiner Sehnsucht nach Liebe, seiner Angst vor Bindung, seiner Eifersucht und seinem Horror vor dem Altwerden. Lächerlich, rührend und abstossend zugleich vollführen sie ihren Tanz um die eine, die Frau, das Weib, nicht Lulu, sondern Lila, der Miriam Maertens als schauspielernde Schauspielerin schmeichelnd und schmollend, lockend und sich verweigernd Gestalt verleiht.
So weit der Abend im Schauspielhaus. Man könnte sich damit zufrieden geben, wenn da nicht der Roman wäre, der formal wie inhaltlich weit über die hier ausgebreiteten Beziehungskalamitäten hinausgeht. Denn eine ganz entscheidende Ebene lässt Pařízeks Bühnenfassung völlig ausser acht: das Spiel mit den wechselnden Identitäten und damit die Frisch mehr als alles andere bedrängende Frage: Wer bin ich? Bin ich das, was ich vorgebe zu sein oder das, was andere in mir sehen? Ist meine Identität ein Konstrukt, eine Zuschreibung von aussen oder doch ein unantastbarer Kern, dessen ich für alle Zeiten gewiss sein kann?
Diese Fragen waren es, die den auch formal so ungeheuer modern anmutenden Roman „Mein Name sei Gantenbein“ seinerzeit zu einer literarischen Sensation gemacht hatten. Sie haben bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren. Doch mit Kleidertausch allein ist ihnen auf der Bühne nicht beizukommen. Der Satz „Ich probiere Geschichten an wie Kleider“ hat Frischs Roman berühmt gemacht oder umgekehrt der Roman den Satz. Aber er meint eben mehr als Kostümierung, und so genügt es leider nicht, Männer in Frauenkleider zu stecken oder sie, wie ihren Erfinder, Brillen tragen und an Pfeifen nuckeln zu lassen, um das zutiefst Beunruhigende dieses Spiels mit Fiktion und Realität zum Ausdruck zu bringen. Das leistet in diesem Fall der ausgezeichnete Essay des Kulturwissenschaftlers Wolfgang Müller-Funk im Programmheft. Die Bühne in ihrer faktischen Begrenztheit schafft es nicht.
Weitere Vorstellungen: 21., 24., 25., 29., 30. und 31. Januar, jeweils 20 Uhr auf der Pfauenbühne.