Die chinesischen Wirtschaftszahlen des ersten Quartals lassen auf sich warten. Doch bereits die Zahlen für Januar und Februar lassen nichts Gutes erwarten. Zwar hat die Wirtschaft seit Anfang April langsam wieder Fahrt aufgenommen, doch die internationalen Wertschöpfungs- und Lieferketten sind der Pandemie wegen fast gänzlich unterbrochen.
Chinesische wie ausländische Ökonomen prognostizieren denn auch fürs laufende Jahr deutlich weniger Wachstum. Generierte das Reich der Mitte 2019 mit 6,1 Prozent noch ein ansehnliches Wachstum des Brutto-Inlandprodukts, werden es 2020 je nach Schätzung nur noch zwischen 5 und 1 Prozent sein. Das ist für China und die gesetzten Wirtschaftsziele der allmächtigen Kommunistischen Partei keine gute Nachricht. Doch wie Prognosen zum Coronavirus sind – auch und gerade in „normalen“ Zeiten – Wirtschaftsprognosen immer cum grano salis zu nehmen.
Doom and Gloom
Inmitten des ökonomischen Doom- und Gloom-Szenarios blüht aber ein Bereich der chinesischen Wirtschaft wie noch nie zuvor: die Produktion von medizinischen Materialien nämlich. Also Schutzkleidung für medizinisches Personal, Beatmungsgeräte, Desinfektionsmittel und, dies vor allem, Masken. Der Eigenbedarf ist immens, aber auch der Export ins Ausland lockt mit schönen Gewinnmargen.
Noch Ende Januar gaben sich Amerikaner, Europäer und, nicht zu vergessen, die Schweizer sehr selbstbewusst. Gesundheitsminister Berset zeigte sich am World Economic Forum gelassen und sagte, man habe alles im Griff. Auch Bundesarzt Daniel Koch, von den Schweizer Medien täglich hochgejubelt, befand noch anfangs März, dass alles unter Kontrolle sei.
Nichts war unter Kontrolle, denn schon wenig später beklagten sich Spitäler über einen Mangel an Schutzausrüstung, Desinfektionsmitteln und Masken. Selbst Medikamente wurden knapp. Und das in einem der teuersten und nach Selbsteinschätzung besten Gesundheitssysteme der Welt.
Amnesie
Man darf auf die Begründung gespannt sein, wenn Berset und Koch demnächst bekannt geben werden, dass bei einer Lockerung des freiwilligen Hausarrests Masken empfohlen werden. Koch betont ja seit Wochen, wie unnütz Masken für den Normalbürger seien, obwohl das Bundesamt für Gesundheit noch 2018 der Meinung war, Maskentragen bringe durchaus etwas. Amnesie auf Bürokratensesseln also.
Die Nützlichkeit von Masken ist medizinisch tatsächlich nicht zweifelsfrei bewiesen, jedoch auch nicht widerlegt. Grosse, mittlere und kleinere Länder Asiens haben das Virus jedenfalls relativ schnell in den Griff bekommen. Fast überall herrscht Maskenpflicht. Die Epidemiologen, Virologen und Ärzte in China, Japan, Vietnam, Hongkong, Singapur oder Südkorea liegen offenbar nach Ansicht der arroganten Amerikaner, Europäer und Schweizer alle falsch.
Flexibel und innovativ
Doch Schutzanzüge, diagnostische Tests, Beatmungsgeräte und vor allem Masken importiert man jetzt aus China noch so gern. Die flexiblen und innovativen chinesischen Unternehmer lassen sich nicht zweimal bitten. Innerhalb von wenigen Wochen haben sich seit Januar die Maskenproduzenten vervielfacht. Textilfirmen, unter anderem Socken- und Windelfirmen, haben sofort umgestellt.
Aber auch Grossunternehmen wie Apple-Fertiger Foxconn oder BYDAuto – Marktführer in Elektroautos – produzieren jetzt Masken. BYD allein fünf Millionen pro Tag. Das kantonesische Grossunternehmen für Windeln und Damenbinden Guangzhou Xingshi Equipments hat sofort in die Herstellung von medizinischen N95- und FFP3-Masken investiert und betreibt jetzt eine vollautomatische Produktion mit einer Kapazität von 1,4 Millionen Masken pro Tag.
Strenge Qualitätskriterien
Insgesamt sind in China derzeit rund 3’000 Unternehmen in der Maskenproduktion tätig. Der chinesische Zoll erhöht deshalb die Kontrollen, denn für den Export sind strenge Qualitätskriterien zur Zertifizierung zu erfüllen. Wie streng die Export-Kriterien sind, zeigt folgende Aufstellung: Vom 1. bis zum 12. April sind 31,65 Millionen Masken, 509’000 Schutzanzüge, 1,19 Millionen Diagnose-Tests, 677 Beatmungsgeräte und 46’000 Infrarot-Fiebermesser zurückgewiesen worden.
Heute ist China weltweit der grösste Exporteur und Hersteller von Masken. Anfang Februar lag die Kapazität bei 20 Millionen Stück pro Tag. Heute sind es täglich 120 Millionen. Chen Hongyan, Generalsekretär der Abteilung für Medizinbedarf des Verbandes Chinesischer Arzneimittel-Hersteller, umschreibt den Maskenboom so: „Vor dem Ausbruch der Coronavirus-Epidemie produzierte China die Hälfte aller Gesichtsmasken auf der Welt. Seit der Pandemie ist die Produktion um das Vielfache angestiegen.“
Gin, Tonic und Masken
Auch die Schweiz deckt sich mit Masken aus dem Reich der Mitte ein. In den kommenden Wochen und Monaten sind vermutlich Zigmillionen nötig. Innovativ und flexibel ist man nicht nur in China, sondern auch in der Schweiz. Nationalrätin, Masken-Vorkämpferin und EMS-Chemie-Chefin Martullo Blocher hat zum Beispiel 600’000 Masken importiert, um sie an Coiffeure und Coiffeusen zum Preis von 90 Rappen pro Stück abzugeben. Dabei macht Frau Matullo nicht, wie da und dort gemunkelt worden ist, einen Gewinn. Denn in China werden Masken für zwei bis vier Yuan pro Stück in Peking oder Shanghai verkauft (umgerechnet 27 bis 55 Rappen), dazu kommen Frachtkosten und Umtriebe.
Schnell hat laut „Blick“ auch Alexander Curiger gehandelt. Der drinks.ch-Gründer, sonst zuständig für Gin and Tonic, hat bereits 2,6 Millionen Masken aus China importiert. Curigers Businessplan: Import pro Woche von ein- bis zweimal 3,5 Millionen Masken. Eine Packung mit zehn oder fünfzig Stück soll pro Maske 80 Rappen kosten. Zu hoffen ist, dass auch das Bundesamt für Gesundheit aus China importiert.
Wenn denn das neuartige Coronavirus auch in der Schweiz im Griff ist, kann wohl die Fasnacht 2021 stattfinden. BAG-Rentner Daniel Koch wäre dann ganz herzlich zum Maskenball eingeladen.