Vieles hat sich geändert in Italien. Man erinnert sich an die Ausfälle des Silvio Berlusconi. Seine Gegner qualifizierte er als Kommunisten und Dummköpfe. Wer gegen ihn war, war nicht nur ein Depp, sondern auch „geistig krank“. Nie war das Polit-Klima so vergiftet wie unter Berlusconi.
Jetzt ist Mario Monti Ministerpräsident. Auch er wird kritisiert. Für die einen gehen seine Reformen zu weit, für die andern zu wenig weit. Zwar hat er schon an Popularität eingebüsst, doch noch immer bewertet über die Hälfte der Italiener seine Arbeit positiv. Angesichts der schmerzenden Steuerhöhungen und der in Aussicht gestellten Aufweichung des bisher sakrosankten Kündigungsschutzes ist dies ein erstaunliches Resultat. Noch wird er von allen grossen Partei-Führern unterstützt. Auch von Berlusconi, auch vom linken Oppositionsführer Bersani. Von allen – ausser von einem.
Die Lega Nord und ihr polternder Parteichef Umberto Bossi haben Monti von Anfang an den Krieg erklärt. Wieso bekämpft die rechts stehende Lega einen rechts stehenden Ministerpräsidenten? Wieso ist das in Varese geborene Nordlicht Mario Monti für die Nordlichter der Lega untragbar, er, der Professor, der an den wichtigsten norditalienischen Universitäten gelehrt hat? Dafür gibt es mehrere Gründe.
“Wir finanzieren die Mafia“
Das Ur-Ziel der Lega ist es, das reiche Norditalien vom übrigen Italien abzuspalten. Umberto Bossi und seine Freunde wollen nicht, dass ihre Steuergelder im korrupten süditalienischen Sumpf versickern. „Wir arbeiten hart, zahlen Steuern und finanzieren die Mafia“, sagen die Legisten, die Anhänger der Lega.
„Basta, wir wollen die Sezession, wir wollen einen eigenen Staat“. So lautet der Schlachtruf der Lega, deren Mitglieder sich jeden Sommer im Städtchen Pontida bei Bergamo versammeln. Sie singen ihre „Nationalhymne“: der Gesang des Gefangenenchors aus Nabucco. Anschliessend hören sie sich die Predigt von Umberto Bossi an.
„Wir, der industrialisierte Norden, erarbeiten drei Viertel des Bruttosozialprodukts, das dann im Süden verschwindet“, behaupten die Legisten. Berlusconi war es gelungen, die Lega in ein Bündnis mit seiner eigenen Partei einzubinden. So war Italien während Jahren das einzige Land, in dem eine Partei mitregierte, die für die Abschaffung des eigenen Landes kämpfte: für die Sezession des reichen Nordens vom ärmeren Süden.
Gegen Rom
Padanien (Padania) heisst der Staat, den die Lega schaffen möchte. Der Begriff leitet sich vom italienischen Adjektiv padano ab (zum Fluss Po gehörend). Der Ausdruck Padanien stand zunächst einzig für die Bezeichnung der Po-Ebene. Doch die Lega Nord fasst den Begriff weiter. Für sie umfasst Padanien die norditalienischen Regionen Lombardei, Piemont, Ligurien, Emilia-Romagna, Veneto, Trentino/Alto Adige, Friuli/Venetia Giulia und das Aosta-Tal. Was südlich davon liegt „ist Afrika“.
Bei den letzten Parlamentswahlen 2008 errang die Lega landesweit gut acht Prozent der Stimmen. In Venetien allerdings erreicht sie über 26 Prozent und in der Lombardei über 20 Prozent. Die Lega bezeichnet sich selbst auch als „Il carroccio“, der Triumphwagen.
Die Unabhängigkeit des Nordens ist das Fernziel. Als Nahziel will die Lega mehr Autonomie für ihre Regionen. Die Macht der Zentralregierung in Rom soll stark eingeschränkt werden. Der Norden soll bestimmen, was mit den eigenen Steuergeldern geschieht. Man will selbst entscheiden, wo und was gebaut wird. Die nordischen Dialekte sollen gefördert werden. In den Schulen soll das padanische Erbe im Mittelpunkt stehen.
Gegen die EU
Die Lega kämpft nicht nur gegen Rom, sie kämpft vor allem gegen die EU. Und natürlich kämpft sie gegen den Finanzausgleich und gegen die Rettung Griechenlands. Deshalb der Hass auf Mario Monti. Der neue Ministerpräsident ist ein überzeugter Europäer. Monti war von 1995 bis 2004 EU-Kommissar für den Binnenmarkt und für Wettbewerb. Und vor allem ist Monti ein überzeugter Italiener. Er will den 151-jährigen Staat endlich zusammenschweissen und eine gesamtitalienische Identität schaffen. Der Lega graut davor.
Der Polit-Stil der Lega ist seit jeher eher vulgär als sonntagsschul-tauglich. Man polemisiert, man schreit, man verunglimpft, man provoziert. Umberto Bossi ist trotz eines Schlaganfalls nicht zu bremsen. Zwar spricht er jetzt schleppend langsam. Doch noch immer sprühen aus seinem Mund Gift und Galle.
Umberto Bossi ist auch Direktor der Tageszeitung „la Padania“ – Untertitel: „La voce del nord“ (Die Stimme des Nordens). Das Blatt gleicht einem Parteiblättchen aus der sowjetischen Provinz. Oder Fidel Castros Parteizeitung „Granma“. Über die Auflage ist nichts bekannt. Eigentlich kennt in Italien die Zeitung fast niemand. Was sie nicht daran hindert, zu hauen, zu kränken, zu pöbeln.
Letzte Woche machte „La Padania“ die zentralistische Wirtschaftspolitik dafür verantwortlich, dass die Selbstmordrate im Norden steige. Wegen der hohen Steuern hätten sich im Veneto innerhalb von drei Jahren 50 Menschen das Leben genommen. In der gleichen Ausgabe wird kritisiert, dass die Regierung Monti einen „Tag der italienischen Einheit“ beschlossen hat. Genau diese Einheit will die Lega nicht.
Die „eventuellen Leser“
Kürzlich erregte „La Padania“ sogar ein bisschen Aufsehen. Die Zeitung schrieb auf der Frontseite, Mario Monti besitze eine Villa in Silvaplana im Engadin. Die Botschaft war klar: Im eigenen Land geht man gegen Steuerflüchtlinge vor, und der Herr Ministerpräsident wäscht sein Geld in der sauberen Schweiz. Einige andere Medien übernahmen diese Neuigkeit.
Der Ministerpräsident reagierte mit professoralem Sarkasmus. Auf die wenigen Leser der Bossi-Zeitung anspielend sagte Monti, er wende sich an „die eventuellen Leser der Zeitung La Padania“ („agli eventuali lettori della Padania“). „Eventuelle Leser“. Zynischer geht es nicht. Mit sanftem Spott fügt er bei: „Eine Behauptung im Artikel ist korrekt“. Was bedeutet, dass alle andern falsch sind.
Er besitze kein Haus in Silvaplana. „Weder ich noch meine Familie verfügen in der Schweiz über Besitz“. Zwar verbringe er „seit Jahren seine Ferien in Silvaplana, normalerweise im August, aber manchmal auch schon Ende Juli, denn die Neffen, wie auch die Grosseltern, lieben die 1. August-Feuerwerke“. Das Haus in Silvaplana sei übrigens kein Haus, sondern eine gemietete Ferienwohnung.
Ironisch fügt er bei, er hoffe, auch in diesem Jahr, trotz der zusätzlichen Verpflichtungen, einige Tage im Engadin verbringen zu können.“ Dann schelmisch und galant: „Für weitere Informationen, die von grossem öffentlichen Interesse sind, stehe ich zur Verfügung“.
Britisches Unterstatement
Neckischer kann man die Lega nicht abkanzeln. Monti, der stets freundlich wirkende Professor, zelebriert ein fast britisches, charmantes Unterstatement. Das tat er schon mehrmals, auch am Jahresende. Damals versuchte der frühere Lega-Minister Roberto Calderoli ihm eins auszuwischen. Calderoli warf Monti vor, er habe im Palazzo Chigi, dem Amtssitz des Ministerpräsidenten, Silvester gefeiert – auf Kosten der Steuerzahler. Doch der Schuss landete im Ofen. Monti scheint den Spruch von Konfuzius zu kennen: „Menschen stolpern nicht über Berge, sondern über Maulwurfshügel“.
Auf der Webseite der Regierung erklärte Monti, seine Frau Elsa habe die Tortellini, die Cotechino-Wurst, die Linsen und den Dessert selbst gekauft und aus eigener Tasche bezahlt. Monti gab sogar die Adressen der Läden bekannt, in denen die Esswaren gekauft wurden.
Weiter spottete der Ministerpräsidnet scharfzüngig auf der Webseite: „Präsident Monti kann in Anbetracht der hohen Zahl der Eingeladenen (10 Gäste) nicht ausschliessen, dass der Konsum an Elektrizität, Gas und Wasser leicht über dem normalen Konsum gelegen hat“. Weiter: „Professor Monti ergreift deshalb die Gelegenheit, daran zu erinnern, dass er darauf verzichtet, Staatslimousinen zu benutzen“ – es sei denn beim Besuch ausländischer Regierungsvertreter.
Wie war das schon wieder bei Berlusconi?