Neun Stunden lang hatten am vergangenen Freitag Mario Monti und seine Minister getagt. 26 Dekrete hatten sie verabschiedet. Ihr Ziel: Nach der Stabilisierung des Haushaltes soll jetzt das Wachstum gefördert werden.
Monti bleiben nur noch sieben Monate Zeit, um seine ambitiösen Ziele zu verwirklichen. Im kommenden Frühjahr werden Wahlen stattfinden. Dann wird der Notstandsministerpräsident wohl abtreten.
Sieben Monate, um die verkrusteten, verbürokratisierten und kriminalisierten Strukturen eines darbenden, lethargischen Landes zu sanieren? Monti weiss, dass dies nicht möglich ist. Doch er will endlich damit beginnen und die Richtung vorgeben. „Unser Programm soll auch künftigen Regierungen als Kompass dienen“, sagt er. Wenn er nur einige seiner Reformvorschläge noch verwirklichen könnte, wäre das schon ein Erfolg.
Alles für den Aufschwung
Italien muss einerseits sparen, anderseits muss es wachsen. Die Regierung rechnet für dieses Jahr mit einer Rezession von 2,5 Prozent oder leicht mehr. Monti hat versprochen, das letztjährige Haushaltsdefizit von 3,9 Prozent des Bruttoinlandprodukts in diesem Jahr auf 1,7 Prozent zu drücken.
„Ogni energia per il rilancio.“ Unter diesem Schlagwort stehen Montis Reformvorschläge. „Wir stecken alle Energie in den Aufschwung.“ So soll auch erreicht werden, dass die für nächstes Jahr geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer von 21 auf 23 Prozent verhindert werden kann. Wirtschaftsprofessor Monti weiss, hohe Mehrwertsteuern bremsen den Konsum und den Aufschwung.
Die Vorschläge sehen vor, dass Unternehmen, die Mitarbeiter einstellen und schulen, weniger Steuern und Abgaben zahlen müssen. Die Neugründung von Firmen soll bürokratisch erleichtert werden. Wer jünger als 35 ist, soll mit einem Euro Startkapital eine Start up-Firma gründen können. Ausländische Firmen sollen einfacher in Italien investieren können.
Papierfressende Verwaltungsmäuse
Viel Geld soll in die Ausbildung gesteckt werden. Die 9150 zum Teil baufälligen Schulen sollen saniert werden. Fast 12'000 neue Lehrkräfte sollen angestellt werden.
Geplant ist, dass durch Steuererleichterungen die Geburtenrate – eine der weltweit tiefsten - gefördert wird. Familien, die sich in einer prekären finanziellen Lage befinden, sollen vom Staat mit einer sogenannten social card unterstützt werden.
Der Bürokratie, einem der Hauptübel des Landes, wird ein energischer Kampf angesagt. Die italienischen Verwaltungsmäuse fressen sich auch im 21. Jahrhundert noch immer durch gewaltige Papierberge. Diese Papier-Gesellschaft soll digitalisiert werden. Geplant ist ein radikaler Ausbau des Breitband-Netzes. Ab nächstem Jahr sollen alle Italiener über einen Internetzugang verfügen. Die Datenbanken der Ämter sollen zusammengeschlossen werden. Die Verwaltung soll digitalisiert werden. Die Vorschläge sehen vor, dass Bank- und Postgeschäfte digital abgewickelt werden. Auch der Verkehr mit Ämtern würde vor allem online ablaufen. Selbst Ärzte sollen ihre Rezepte nur noch online ausstellen.
Privatisierte Post, privatisierte Flughäfen
Die Regierung rechnet vor, dass mit einem Abbau der Bürokratisierung das Bruttoinlandprodukt um ein halbes Prozent erhöht werden könnte. Die Digitalisierung könnte auch die Korruption eindämmen, die jedes Jahr 60 Milliarden Euro verschlingt.
Monti will die Verwaltung verschlanken. 20 Prozent der Managerposten und 10 Prozent der übrigen Stellen sollen abgebaut werden. Gespart werden soll auch, indem man mehrere verwaltungsmässig bisher eigenständige Provinzen zusammenlegt.
Man denkt auch darüber nach, die Post zu privatisieren. Wer das Pech hat, italienische Postbüros aufsuchen zu müssen, kann diesen Schritt nur begrüssen. Zudem sollen 27 der 60 italienischen Flughäfen geschlossen oder – wenn sich ein Käufer findet – privatisiert werden.
Um die Wirtschaft anzukurbeln, ist auch ein Ausbau des Autobahnnetzes geplant. So soll für 1,5 Milliarden Euro die Autobahn zwischen Cecina in der Toscana bis nach Civitavecchia nördlich von Rom gebaut werden. Für die Parallel-Autobahn über den Apennin von Bologna nach Florenz (Variante di Valico) sind 1,3 Milliarden vorgesehen. Auch ein Ausbau der Metro-Netze in Bologna, Turin und Neapel steht auf der Agenda.
Steuer auf Coca Cola
Auf der andern Seite will man Geld eintreiben. 300 Immobilien, die dem Staat gehören, sollen verkauft werden. Pro Jahr sollen so 15 bis 20 Milliarden Euro, also etwa ein Prozent des Bruttoinlandprodukts, zum Schuldenabbau dienen.
Parteien und Gewerkschaften sollen weniger stark subventioniert werden. Vorgesehen ist, dass Lastwagen höhere Autobahngebühren bezahlen müssen.
Eines der verabschiedeten Dekrete sieht auch eine grundlegende Reform des Gesundheitswesens vor. In Rom wartet man im Durchschnitt viereinhalb Stunden, bis ein Krankenwagen vorfährt. Im Spital wartet man vier Tage, bis man ein Bett kriegt. Die Verantwortlichen des Gesundheitswesens sollen nach strengeren professionellen Kriterien ausgewählt werden. Die Ärzte müssen ihre Einkünfte offenlegen. Die meisten Arztpraxen müssen 24 Stunden geöffnet sein. Sie sollen vermehrt weniger schlimme Fälle behandeln. Zehn Prozent der Patienten, die sich im Spital auf einer Notfallstation melden, haben Halsschmerzen.
Ferner soll auf zuckerhaltigen Getränken sowie auf hochprozentigem Alkohol eine Sondersteuer erhoben werden. Wer Zigaretten an unter 16-Jährige verkauft, zahlt eine Busse von bis zu 1000 Euro. Glückspiel-Automaten dürften nur mindestens 500 Meter von einer Schule entfernt aufgestellt werden.
Nicht genug der Vorschläge, denn Monti will es allen recht machen. Die Dekrete sehen auch eine Reduktion der Treibhausgase sowie einen besseren Schutz der kulturell wertvollen Bauten und Stätten vor, etwa Pompeji. Auch der Diskriminierung der Frau wird der Kampf angesagt. Die Kriminalität soll bekämpft und der Datenschutz gewährleistet werden.
Der richtige Weg?
All das klingt wunderbar. Doch all das sind erst Wunschvorstellungen. Damit sie Wirklichkeit werden, müssen die Dekrete vom Parlament verabschiedet und in Gesetze verwandelt werden. Und da wird das riesige Feilschen beginnen. Wenn es dann ums Detail geht, wird alles zerzaust werden. Schon haben die politischen Parteien, die Gewerkschaften und andere Interessenverbände ihre Pflöcke eingeschlagen. Bereits wurden mehrere Streikaktionen angekündigt. Am 28. September soll ein Generalstreik stattfinden. Und Berlusconis Partei verkündet als erste, sie lehne eine Steuer auf zuckerhaltige Getränke ab.
Dass die Vorstellungen von Monti nicht einfach durchgewinkt werden, hat seine Arbeitsmarktreform gezeigt. Sie war mit viel Tamtam angekündigt worden. Monti versprach eine fast revolutionäre Liberalisierung des Arbeitsmarktes. Doch die Reform wurde aufs Ärgste demontiert. Der Berg hat eine Maus geboren, eine lahme, blinde Maus.
Dass Monti auf idealistische, fast träumerische Art einen ganzen Strauss von Reformvorhaben präsentiert, mag edel sein. Man kann sich fragen, ob das der richtige Weg ist. Das Land ist schwer angeschlagen und kämpft gegen den Ruin. Wäre es da nicht besser, sich nicht zu verzetteln? Sollte nicht alle Energie in einige wenige, dringende Reformvorhaben investiert werden.
Zu den brennendsten Problemen gehört die Jugendarbeitslosigkeit, die 33 Prozent beträgt. Wäre es nicht sinnvoller, radikale, konkrete Massnahmen zur ihrer Bekämpfung vorzuschlagen – anstatt eine Steuer auf Coca Cola zu erheben?