Es ist ein Rechtsrutsch ins Ungewisse, denn der Wahlsieger Mariano Rajoy ist trotz seiner Kampagne ein Unbekannter geblieben. Der 56-jährige Jurist hat kaum Versprechungen gemacht, denn er weiss, dass sich die Krise verstärken wird und er weitaus härtere Massnahmen wird treffen müssen, als dies sein Vorgänger José Luis Rodriguéz Zapatero tun wollte.
Zapatero ist zum Verhängnis geworden, dass er nach seiner Wiederwahl 2008 die sich abzeichnende Finanz- und Wirtschaftskrise nicht wahrnehmen wollte und dann ab Mai 2010 in einer Kehrtwendung mit verspäteten und ungenügenden Massnahmen ihrer nicht Herr werden konnte. Er wurde jetzt dafür bestraft, dass er die Steuern nicht ausreichend erhöht hatte, aber mit seinen letztlich pragmatischen Massnahmen unter dem Druck der Märkte, der EU und Angela Merkels gegen seine sozialdemokratischen Überzeugungen verstiess und den Mittelstand am stärksten leiden liess.
Erfolge kleiner Parteien
Der PP gewann 186 Sitze (bisher 154) von 350, der PSOE verlor 59 und behielt noch 110. Das faktische Zweiparteiensystem, das sich nach dem Franquismus etabliert hatte, wurde durch Zugewinne kleinerer Parteien leicht geschwächt. Die kommunistisch-grüne Partei überraschte mit 11 (2) Sitzen: Sie holte Stimmen aus der Bewegung der "Indignados"-Stadtbesetzer. Die neue baskische Separatistenpartei Amaiur konnte nach dem Waffenstillstand der ETA 7 Sitze erringen, womit sie die konservative baskische Nationalistenpartei um einen Sitz überrundete. Die katalonischen Nationalisten verbesserten sich von 10 auf 16 Sitze.
Zapatero war 2004 als Wunderkind des PSOE an die Macht gekommen. Unbekannt wie er damals war, gewann er gegen Rajoy, den Premierminister Aznar (1996 - 2004), dessen Innenminister er war, zum Nachfolger bestimmt hatte. Aznar hatte damals aus wahltaktischen Gründen die ETA als Urheber der grausamen Anschläge gegen Madrider Vorortszüge genannt, als bereits klar war, dass es sich um einen islamistischen Terrorakt handelte. Dies führte zu einem Wählerumschwung in letzter Minute.
Ein Galicier
Wie sein Vorgänger Felipe Gonzalez (1982 - 1996) sah sich Zapatero vor allem als Reformer der Gesellschaft für mehr Liberalisierung nach den Bleijahren des Franquismus. Er legalisierte die Abtreibung und liess homosexuelle Eheschliessungen zu, was ihm die tiefe Abneigung der katholischen Kirche eintrug. Rajoy ist ein Wertkonservativer aus dem konservativen Galicien im Nordwesten Spaniens. Von seinen Landsleuten wird gesagt, dass man, wenn man ihnen auf der Treppe begegne, nie wisse, ob sie hinauf- oder hinunterstiegen. Gefragt, ob er diese Errungenschaften rückgängig machen werde, wich er in diesem Sinne der Antwort aus und erwiderte, dass seine Priorität die Arbeitslosigkeit (22 Prozent) sei.
Der PP wartet seit 2004 auf eine "Rache" für den damals knapp verpassten Wahlsieg. Sein Gesellschaftsbild ist durch und durch konservativ, verbunden mit einem neoliberalen Wirtschaftskurs, kaum abgemildert durch paternalistische Überbleibsel des Franquismus. Rajoy, von dem man weiss, dass er spät geheiratet hat, Zigarren liebt (aber welcher spanische Politiker tut das nicht?) und ein Fan des "Real Madrid" ist, ist vielleicht nicht der typische PP-Hardliner, aber ein treuer Gefolgsmann. Er hat seit Sommer mit Zapatero, der vordem im Angesicht der Zeichen seinen Abgang und die Vorziehung der Wahlen (statt März 2011) angekündigt hatte, über den Stabwechsel beraten.
Die Krise wartet nicht
Solche Verbindlichkeiten - man wagt kaum, dies demokratische Gepflogenheiten zu nennen - könnten ein Dilemma entschärfen. Die Investur von Rajoy und damit die Bildung einer neuen Regierung ist zwar erst für den 20. Dezember vorgesehen. Aber die Krise wartet nicht. Auch wenn die spanische Staatsschuld nur 66 Prozent des Bruttoinlandprodukts ausmacht und nicht 120 wie für Griechenland, wird die Situation angesichts der Wachstumseinbussen und einer neuen Rezession mangels Stimulierungsmassnahmen schnell kritischer.
Somit werden schnelle Entscheidungen nötig. Ein Abwarten des parlamentarischen Kalenders könnte sich als fatal erweisen. Die erste Reaktion der Madrider Börse war denn auch negativ. Rajoy muss Farbe bekennen, wie und wo er das Budget noch mehr kürzen will (Zapatero hat mit einer Verfassungsänderung nach deutschem Muster ein Budgetdefizit unter 3 Prozent für 2013 verfügt).
Bestrafte Regierungen
Die Krise straft die bisherigen Regierungen. Aber anders als in Griechenland und in Italien hatten in Spanien die Wähler das Sagen. Die Sozialdemokratie hat schon in Grossbritannien (Gordon Brown im Mai 2010) und in Portugal (José Socrates im Juni 2011) verloren und mit dem Rücktritt von Papandreou eine weitere Niederlage erlitten. In Frankreich dagegen ist im Mai 2012 ein sozialdemokratischer Wahlsieg nicht auszuschliessen. Präsident Nicolas Sarkozy versucht sich deshalb als "Retter aus der Krise" darzustellen und fordert entsprechend eine Transaktionssteuer und die Eliminierung der Steuerparadiese. Rajoy will die EU-Forderungen erfüllen und muss dazu 20 Milliarden Euro mehr einsparen. Der PP befürchtet bereits jetzt unausweichliche soziale Proteste. Der Wahlsieg ist denn auch nur "sotto voce" gefeiert worden: kein Anlass für Triumphalismus, denn der nächste Wahlverlierer könnte der PP sein.