Frage: Die FDP hat bei der Abstimmung zur No-Billag-Initiative die Nein-Parole beschlossen. Die Initianten dieser Vorlage vertreten libertäre Ideen. Wo liegt der Hauptunterschied zwischen libertären und liberalen Positionen?
Freiheit ist die Maxime der Freisinnigen wie auch der Libertären. Allerdings koppeln Freisinnige den Begriff immer an Verantwortung: (Eigen-) Verantwortung des Einzelnen. Verantwortung der Wirtschaft nicht nur gegenüber dem Shareholder, sondern auch gegenüber der Umwelt und der Gesellschaft, Verantwortung des Staates und der Politik für den inneren Zusammenhalt und Frieden. Sicherheit ist für mich oberste Staatsaufgabe.
Freisinnige wollen jedoch keinen „Nachtwächter-Staat“. Zur Sicherheit gehören nicht nur eine starke Armee und ausreichend Polizeikräfte: In jenen Bereichen, welche für die Bevölkerung und für den inneren Frieden sowie die Freiheit des Einzelnen von Bedeutung sind, der Markt alleine jedoch nicht spielt, in diesen Bereichen darf und soll der Service public zum Tragen kommen.
In welchen Bereichen soll es einen Service public geben?
Die FDP will einen schlanken Staat. Sie will diesen aber nicht abschaffen und auch nicht die Anarchie ausrufen. Freisinnige fragen sich deshalb zuerst: Ist eine Leistung wichtig für die Bevölkerung und kann das der Markt alleine regeln? Wenn wir die Wichtigkeit mit Ja beantworten können, hingegen der Markt eine Aufgabe nicht oder nicht ausreichend und nicht kostendeckend leisten kann, erst dann soll der Service public zum Tragen kommen.
Das ist in der Sicherheit, im Gesundheitswesen, im öffentlichen Verkehr und auch im audiovisuellen Medienbereich bzw. der Information der Fall. Gerade in einem Land der direkten Demokratie ist Letzteres von grosser Bedeutung. Freisinnige leben nicht nach dem Motto: „Me first“ oder „ich bezahle nur, was ich konsumiere“.
Ihr Fraktionskollege Hans-Ulrich Bigler wirbt dennoch vehement für ein Ja zu No Billag. Und er behauptet, ein Ja zu No Billag sei in Wirklichkeit ein Ja zur SRG. Glauben Sie an seinen Plan B, der von den meisten Kennern als illusorisch und unseriös beurteilt wird?
Es gibt keinen Plan B der diesen Namen verdient. Es ist wichtig, dass man die Vorlage ganz sachlich liest. Der Text lässt keinen Interpretationsspielraum zu.
Die NZZ schreibt, Bigler werfe sich „mit verbissener Wut in die Schlacht um No Billag“, weil er vor zwei Jahren den Kampf um das neue Radio- und Fernsehgesetz gegen die CVP-Bundesrätin Doris Leuthard verloren habe. Sehen Sie das als Fraktionskollegin auch so?
Ich war seinerzeit stramm mit dem Gewerbeverband SGV im Boot gegen das RTVG. Auch ich wollte nicht, dass Unternehmen Gebühren für den audiovisuellen Service public bezahlten sollten. Leider sind wir ganz knapp untergegangen. Nun ist die Vorlage „No Billag“ aber derart radikal, dass ich Nein sage, im Wissen, dass künftig 84 Prozent der Unternehmen weniger oder gar keine Gebühren bezahlen müssen.
Andere Stimmen warnen, dass von einem Grounding der SRG oder einem radikalen Leistungsabbau in erster Linie ausländische Sender profitieren würden, die jetzt schon einen Marktanteil von 60 Prozent haben. Wäre das eine akzeptable Entwicklung?
Wem es ernst ist mit der Sorge um Schweizer Unternehmen, der will kaum wichtige Bereiche der Werbung noch vermehrt dem Ausland überlassen! Die wichtigsten Mitbewerber im Werbebereich sind wohl Google und Facebook: Die Verleger im Printmedienbereich, welche heute arg mit der Digitalisierung zu kämpfen haben, würden von No Billiag daher nicht wesentlich, wenn überhaupt, profitieren. Der Werbefranken flösse nicht neu einfach in die Printwerbung, sollte die SRG untergehen. Wer von Marketing und Werbung etwas versteht, weiss um diesen anspruchsvollen Umstand nur zu gut.
Die grosse Mehrheit der privaten lokalen Radio-Sender kann nur dank Zuschüssen aus dem SRG-Gebührentopf existieren. Müsste man ihr Verschwinden aus dem Markt oder deren Übernahme durch zahlungskräftige Interessenten in Kauf nehmen, wenn der Gebührentopf leer bleibt?
Über 30 private Radio und Fernsehsender wären bedroht. Beim Privatfernsehen beispielsweise könnte wohl nur TeleZüri im Markt bestehen, welches einen unbestritten hervorragenden Beitrag zum Service public leistet – wenn auch nur in deutscher Sprache. Die privaten Gefässe und Sender des gleichen Verlagshauses im Kanton Bern oder Aargau hätten demgegenüber grösste Mühe. Die Medienvielfalt in der ganzen Schweiz würde jedenfalls geringer.
Heute profitieren viele regionale Sender entscheidend vom Gebührentopf. Eine Liberalisierung, wie sie mir als Freisinnige vorschweben könnte, ist daher gar nicht mehr möglich, bzw. von den betroffenen Unternehmen ebenfalls bekämpft. Auch der Schweizer Film würde dramatisch in Frage gestellt. Die ZHdK äusserte sich dahingehend, dass ca. zwei Drittel der Schweizer Filme verschwinden würden.
Kritiker vor allem aus den SVP-Reihen kritisieren, die SRG-Sendungen hätten allzu häufig eine Linkstendenz? Alt-Bundesrat Moritz Leuenberger hält solche Links-rechts-Schematisierungen gerade im Medienbereich für grobschlächtig. Die Realität und ihre Schattierungen seien viel differenzierter. Können Sie diesem Befund zustimmen?
Das müsste man ausdeutschen, sonst sagt die Aussage wenig aus: Die Kritik ganz allgemein an den Medien liegt oft in der eigenen Betroffenheit. Die persönliche politische Gesinnung eines Journalisten ist so lange irrelevant, als er oder sie professionell, fair und wahr mit Berichterstattung umgeht.
Zudem: Wenige haben wohl spätestens seit der EWR-Abstimmung so viel für sich und ihre Partei von der SRG profitiert wie alt Bundesrat Blocher und die SVP. Denken Sie nur an die Arena! Die SVP wusste die Themensetzung so zu gestalten, dass die SRG andauernd wichtige Kontroversen und Initiativen aufgegriffen und kontradiktorisch debattiert hat. Andere Parteien konnten oft nur reagieren, denn das Heft hatten andere bereits in der Hand. Das kann man weder der SVP noch der SRG vorwerfen. Es ist aber wichtig, es zu verstehen. Die aufgesetzte Opferrolle von rechts bringt mich jedenfalls zum Schmunzeln …
Der NZZ-Chefredaktor hat in einem Leitartikel die SRG-Kanäle als „Staatsmedien“ bezeichnet. Halten Sie das für eine sachlich angemessene Terminologie für die öffentlich-rechtlichen Medien in der Schweiz?
Es geht mir nicht um Terminologie. Sie lenkt jedoch von relevanten Fakten ab: Sicher ist, dass weder der Staat noch die Politik der SRG Aufträge erteilen und in die Berichterstattung oder das Programm eingreifen können. Relevant ist für mich zudem, dass kein westeuropäisches Land auf Gebühren verzichten kann in diesem Bereich. Der Markt allein kann den Service-public-Auftrag im audiovisuellen Medienbereich, der gesetzlich verankert ist inklusive der Unterhaltung, nicht allein stemmen.
Gerade in der viersprachigen Schweiz mit den zu kleinen Teilmärkten ist das nicht möglich. Wenn man sagt, unsere Gebühren seien zu teuer, vergisst man, dass wir 8 Millionen Einwohner haben und die SRG in 4 Sprachen produziert, demgegenüber etwa Deutschland zehn Mal mehr Einwohner verzeichnet und in nur einer Landessprache produziert. „Man muss die Fakten kennen, bevor man sie verdrehen kann“ (Mark Twain).
Wenn die SRG bei einem Ja zu No Billag zerlegt wird, weil keine Gebühren mehr fliessen – sehen Sie da realistische Chancen für rätoromanische und Tessiner Radio- und Fernsehprogramme?
Die Marktwirtschaft hat kein Interesse an Produkten und Programmen, die vom Markt nicht finanziert werden können. Es mag vereinzelte, reiche Unternehmerpersönlichkeiten geben, die geneigt wären, einen Beitrag zu leisten. Wäre er Interessen-neutral? Gesichert ist das nicht, schon gar nicht auf Dauer, und ich möchte zudem nicht, dass wir von Privaten in diesem Bereich abhängig würden.
Ich stelle entschieden in Frage, dass das Programm vielfältiger würde, dass es fairere Berichterstattung gäbe und dass es im privat gewählten und privat finanzierten Abonnement billiger würde für die Konsumenten, Information und Unterhaltung zu erhalten. Als erfahrene Wahlbeobachterin des Europarats und in Kooperation mit der OSZE weiss ich zudem um die Bedeutung der freien und fairen Berichterstattung für die Demokratie. Das wäre eine Argumentationsschiene für sich, die in diesem Interview den Rahmen sprengen würde.
Auch bei einem Nein zu No Billag werden ja die SRG-Gebühren von jetzt 451 Franken ab 2019 pro Haushalt auf 365 Franken reduziert. Was sollte nach Ihrer Meinung weiter geändert werden am Ist-Zustand der SRG?
Es ist nicht an mir zu entscheiden, welche Sender oder Programme überdacht, werden müssten, damit der Leistungsauftrag noch erfüllt und doch der Stimmung in der Bevölkerung Rechnung getragen werden könnte. Die Digitalisierung erfordert jedoch neue Denkarten und Marketingstrategien. Die Jungen müssen zwingend erreicht werden, wollen wir die direkte Demokratie sichern dank aufgeklärten Bürgern: Wir müssen sie deshalb dort erreichen, wo sie sich im audiovisuellen und digitalen Bereich aufhalten. Sie sind unsere Zukunft und somit auch die Zukunft des Zusammenhalts der Schweiz.
Die Gegner von No Billag argumentieren, die SRG-Sender leisteten einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Schweiz und zur Solidarisierung mit sprachlichen und kulturellen Minderheiten. Ist das ein überzeugendes Argument?
Allerdings! Das sagt Ihnen eine, die neun Jahre in Genf und lange im Ausland gelebt hat und heute zudem dem Bündnerland engstens verbunden ist.
Das Kultur-Radio SRF 2 gilt als verhältnismässig teuer und wird nur von ca. 3,5 Prozent der Bevölkerung gehört. Sollte man es deshalb im Rahmen eines Sparprogramms abschaffen?
Ich lebe eben gerade nicht nach dem Motto: „Ich bezahle nur, was ich konsumiere!“ Sonst müsste man für mich auch den Sport einschränken.
Haben Sie sich schon überlegt, was Sie und Ihre Partei konkret unternehmen würden, wenn No Billag am 4. März angenommen und die SRG ab 2019 ohne Gebühreneinnahmen dastehen würde?
Möchten Sie jetzt von mir hören, die FDP schlüge dann Steuern vor zugunsten der Finanzierung des Service Public im audiovisuellen Medienbereich? Die Tatsache, dass wir Politiker immer einmal glauben, wir müssten dann nach Abstimmungen, welche negativen Impact auf die Schweiz oder den Wohlstand haben, wieder eine Vorlage verwässern und eine „Pseudo-Lösung“ suchen, trägt doch gerade dazu bei, dass man an der Urne zu oft nur ein Zeichen setzen will in der Hoffnung, es regle sich dann schon irgendwie.
Aber alles hat seinen Preis, heute gilt es, den Preis eines Ja zu No Billag darzulegen und nicht eine Lösung vorwegzunehmen. Unsere Bürger sind mündig und die Domokratie gilt es ernst zu nehmen. Auch wenn uns nicht alle demokratischen Resultate gefallen.
Würden Sie die im Falle einer Ablehnung von No Billag von SVP-Seite angedrohte neue Volksinitiative für eine Senkung der SRG-Gebühr auf 200 Franken unterstützen?
Die No-Billag-Annahme bedeutete einen „raschen Tod“ der SRG, die angedrohte 200-Franken-Gebühr ein „langsameres Sterben“. Sehen Sie: Hätten wir nur Programme und Sender in deutscher Sprache, betrügen die Gebühren CHF 215.- pro Jahr. Ich möchte aber die anderen Sprachregionen gerade keinesfalls abhängen, sondern einbinden! In welcher Qualität eine Demokratie funktioniert, lässt sich bekanntlich auch sehr gut daran messen, wie sie mit Minderheiten umgeht.