Am Montag wurde der neue srilankische Präsident Gotabaya Rajapakse im buddhistischen Wallfartsort Anrudhapura vereidigt. Solche religiöse Symbolik gehört inzwischen fast zum selbstverständlichen Regierungsstil. In Indien hatte es Narendra Modi 2014 mit seiner Siegesparade auf dem Ganges vor Varanasi vorexerziert.
Distanz zu den Tamilen
Rajapakse scheute sich auch nicht, ausdrücklich seinen buddhistischen singhalesischen Wählern für den Wahlsieg zu danken. Er wisse, dass die Minderheiten nicht für ihn gestimmt hatten, fügte er pointiert hinzu. Die Wahl des Orts war also eine Gelegenheit, den Hindu-Tamilen, Muslimen und Christen eins auszuwischen. Und er nutzte kaltblütig die Chance, Grossmut zu verströmen: Trotz dem Affront werde er auch für sie ein Landesvater sein.
Die Distanz zu den Tamilen brauchte Rajapakse nicht mehr unter Beweis zu stellen. Er war es, der sich 2009 als Verteidigungsminister im Kabinett seines Bruders Mahinda im Endkampf gegen die Tamil-Tigers als Sieger profiliert hatte. Er war es auch, der die Abgrenzung zwischen Kämpfern und Zivilisten damals bewusst verwischt hatte – so sehr, dass Menschenrechtsorganisationen von genozid-ähnlichen Auswüchsen sprachen.
Die Schatten der IS-Ostermassaker
Diesmal waren es die Muslime, die für den Sieger als Feindbild herhalten mussten, um die Singhalesen hinter sich zu scharen. Die ethnische Signatur mochte eine andere sein, das zu verschreibende Heilmittel war dasselbe: Ein autoritärer Staat, der jede Spur islamischen Terrors austilgen werde; die bisherigen Regierungspolitiker seien nicht fähig dazu. Den Beweis hatten die Anschläge autonomer IS-Zellen am letzten Ostersonntag mit ihren über 250 Toten geliefert.
Falls dafür Schuldige gefunden werden müssen, sind es allerdings nicht allein die Regierungspolitiker. Das eigenartige Regierungssystem Sri Lankas ist dafür ebenso mitverantwortlich. Die Verfassung sieht eine Zweier-Herrschaft von Staatspräsident und Regierungschef vor. Sie werden beide getrennt vom Volk gewählt, können sogar, wie in diesem Fall, unterschiedlichen Parteien angehören.
Beide Machtträger können sich also spinnefeind sein und ihr Amt nutzen, um gegeneinander zu intrigieren. So geschah es im vergangenen Jahr, als Staatspräsident Sirisena dem Regierungschef (und damit der Exekutive) Geheimdienst-Informationen vorenthielt. Warum? Er wollte vermutlich verhindern, dass sich Premierminister Wickremesinghe mit Anti-Terror-Erfolgen auf Sirisenas Kosten profilieren könne.
Beide Politiker sind Vertreter der zwei grossen politischen Parteien. Die Gefahr einer dritten Amtsperiode für Gotabayas Bruder Mahinda Rajapakse hatte sie 2014 zusammengeführt. Aber sobald sie diesen gemeinsam bezwungen hatten, tauchten die alten Rivalitäten wieder auf.
Die Rajapakse-Brüder als lachende Dritte
Dies ging so weit, dass Präsident Sirisena den Ministerpräsidenten im letzten Jahr sogar entliess; nicht nur dies – er setzte ausgerechnet den gemeinsamen Rivalen Mahinda Rajapakse als Nachfolger ein. Das Oberste Gericht machte diesem Spuk dann ein Ende und zwang die beiden wieder ins alte Ehebett. Unter dessen Decke konnten sie einander dann weiterhin Fusstritte austeilen – mit der katastrophalen Wirkung des Oster-Massakers.
Die lachenden Dritten sind nun die vier Rajapakse-Brüder – neben Gotabaya sein Vor-Vorganger im Präsidentenamt, Mahinda, der Familienstratege Basil, sowie der frühere Parlamentspräsident. Sie haben eine neue Partei gegründet, die ihren ersten Test in den kürzlichen Gemeindewahlen bereits erfolgreich bestanden hat.
Der Druck auf Wickremesinghe, zurückzutreten und damit Neuwahlen auszulösen, wird nun wachsen. Falls die Rajapakse-Partei die Parlamentswahl ebenfalls gewinnt – was wahrscheinlich ist – könnte es sein, dass Mahinda doch noch Premierminister wird. Es hätte immerhin den Vorteil, dass Präsident und Regierungschef dann am gleichen Strick ziehen werden.
Wie dieser Strick aussehen wird und ob er den Minderheiten zum Fallstrick wird, lässt sich noch nicht sagen. Aber es ist anzunehmen, dass unter dem Schutzschild der Anti-Terror-Bekämpfung ein ethnisch polarisierender Nationalismus gefördert wird, der die Minderheiten zum Freiwild stempelt.
Vernunft dank wirtschaftlicher Interessen?
Dies ist allerdings ein Worst Case-Szenario. Es sind wirtschaftliche Motive, die es verhindern könnten. Rohstoffhandel und Tourismus sind weiterhin die Pfeiler der lokalen Wirtschaft; und beides sind internationale Faktoren. Neu aufklaffende ethnische Gräben könnten ihnen enormen Schaden zufügen.
Als warnendes Beispiel dient nicht nur der lähmende Effekt des 20-jährigen Bürgerkriegs. Er liess damals den Traum eines „südasiatischen Singapur“ verpuffen. Auch der Einbruch des Fremdenverkehrs nach den Attentaten vom letzten Ostersonntag zeigt, wie wichtig für das Land dessen internationaler Ruf ist.
Es gibt Anzeichen, dass die Rajapakse-Brüder zumindest in Sachen Aussenwirtschaftspolitik ihre Lektion gelernt haben. Damals hatte sich Sri Lanka in die Arme Chinas und dessen Strasse-und-Schiene-Projekt geworfen. Die grosszügigen Investitionen Beijings haben den Rajapakse-Clan in ihrer Hochburg im Südosten zwar reich gemacht. Dem Land dagegen brachten sie eine rasche Verschuldung, mit erneuten Landnahmen und Souveränitätseinbussen zu deren Linderung.
Indien als „naher Verwandter“
Die Abwahl Rajapakses im Jahr 2014 war auch eine Reaktion auf diesen wirtschaftlichen Ausverkauf. Aus der Oppositionsecke heraus wurden die Brüder plötzlich zu Kritikern von Chinas Road-and-Belt-Initiative.
Es ist anzunehmen, dass sie in Zukunft ihre Haut nicht mehr so billig zu Markte tragen werden. Ein wichtiger Grund dafür ist auch der unmittelbare Nachbar im Norden. Die starke ethnische und geopolitische Abhängigkeit von Indien war damals für den Macho-Clan der Rajapakses schwer zu goutieren. Sie wollten Delhi mit ihrer Anlehnung an den grossen Rivalen China die lange Nase zeigen.
Indien hatte sich damals zurückgehalten. Es hatte der Regierung in Colombo aber auch klargemacht, dass ein chinesischer Marine-Stützpunkt von Delhi als unfreundlicher Akt taxiert würde. Die Folgen stellten sich rasch ein. Indische Touristen – der Hauptharst ausländischer Besucher – blieben aus, der wichtige Transithandel im Hafen von Colombo schrumpfte, und srilankische Exporte nach Südindien gingen zurück.
Der neue Präsident hat offenbar erkannt, dass den Interessen eines kleinen Landes schlecht gedient ist, wenn es sich im internationalen Kräftemessen einer Partei in die Arme wirft. China sei ein „Handelspartner“, liess Gotabaya am Dienstag aus seinem Umfeld verlauten; Indien dagegen „ein naher Verwandter“.
Es wird sich zeigen, ob der Aufruf des neuen Präsidenten an die Tamilen und Muslime, sich seinem Wahlerfolg anzuschliessen und am Bau eines einigen Sri Lankas teilzunehmen, mehr als Siegesrhetorik ist. Für viele Tamilen war der falsche Ton der Siegesrede in Anuradhapura allerdings evident. Er ertönte an einem Ort, an dem vor 2000 Jahren die Singhalesen einen historischen Sieg errungen hatten – über den Tamilen-König.