Die Königin von Saba ist keine historische, sondern eine legendäre Figur, die die Phantasie der Menschen seit Jahrhunderten beschäftigt hat. Karl Goldmark hat den Stoff in einer Oper nach dem spätromantischen Geschmack seiner Zeit mit betörenden Melodien versehen.
Über sie, eine Königin, die nur den Namen ihres Herkunftslandes trägt, lesen wir zum ersten Mal wohl in der jüdischen Bibel. Nur stammt der Bericht im 1. Buch der Könige wohl nicht aus der Regierungszeit von König Salomon (965–926 v. Chr.), sondern dürfte erst in der Zeit des babylonischen Exils (6. Jahrhundert v. Chr.) oder noch später und näher an unserer eigenen Zeitrechnung entstanden sein. Sprichwörtlich wurde Salomons Weisheit als König des israelitischen Reiches, das damals die vereinigten Reiche Israel und Juda umfasste und die grösste historische Ausdehnung aller Zeiten erreichte.
Das Reich der Sabäer wird an mehreren Stellen im Alten wie im Neuen Testament genannt, ebenso in assyrischen Dokumenten. Saba wird eine Landschaft in Nordarabien an der sogenannten «Weihrauchstrasse» gewesen sein, bewohnt von einem Volk, das mit den Nachbarvölkern wohl regen Handel trieb. Darauf deuten die sagenhaft reichen Geschenke, welche die Königin des Landes mitbrachte, als sie dem Herrscher im Norden in Jerusalem einen Besuch abstattete und ihm Rätsel vorlegte, die nur Salomons Weisheit zu klären vermochte. Das Land der Sabäer wird heute mit dem Jemen identifiziert. Der Ruhm der Königin von Saba wird aber auch im nördlichen Äthiopien bis heute hochgehalten.
Legenden blühen
In allen drei monotheistischen Religionen wird die historisch undenkbare Begegnung zwischen Salomon und einer weiblichen Königsgestalt aus Saba weiterentwickelt und ausgemalt. Die jüdischen Propheten sprechen von Sabas Reichtum, nach Psalm 72 vergrössert das Gold von Saba Salomos Reichtum, im Buch Hiob werden die Sabäer als «Wassersuchende» und «Wüstenräuber» bezeichnet. Im Matthäus- und im Lukasevangelium wird einerseits die «Königin des Südens» als ein Vorbild genannt, andererseits immer wieder in Verbindung gebracht mit den «drei Weisen aus dem Orient». Im Koran wird die Königin von König Salomo zum Islam bekehrt (Sure 27) und erhält später den Namen «Bilqis». In den Erzähltraditionen der Perser, Araber und Türken sorgt man dafür, dass sie in gewissen Märchen von «Tausend und einer Nacht» verwandelt wiedererscheint.
Es sollte uns nicht wundern, dass diese faszinierende Königin von Saba auch in der Musikgeschichte eine Rolle spielt. Ich erwähne hier nur die zwei «Highlights» der musikalisch-operistischen Auseinandersetzung mit König Salomon und der ihn aufsuchenden Herrscherin aus Arabien. In bereits avanciertem Alter schrieb Georg Friedrich Händel in London 1748 sein Oratorium «Solomon», dessen 3. Akt ganz die sagenumwobene Begegnung zwischen dem König von Israel und der Königin aus Saba musikalisch ausleuchtet. Aufgrund des Duetts vor dem Schlusschor des Oratoriums müssen wir davon ausgehen, dass Händel uns hier ein Herrscherpaar vorstellen wollte, das sich während ihres Besuchs auch in ein Liebespaar verwandelt hatte.
Ganz im Zentrum eines Musikdramas, mit gut vermischten Anteilen an Liebesfreud und Liebesleid, so wie es die 2. Hälfte 19. Jahrhunderts verlangte, steht hingegen die Oper «Die Königin von Saba» von Karl Goldmark, die im Jahr 1875 an der Wiener Hofoper eine bis zur Zeit der Nationalsozialisten andauernde erfolgreiche Uraufführung erlebte. Goldmark war Jude, und so schafften es auch in diesem Fall Hitlers Schergen, das Werk aus dem Repertoire der meisten deutschsprachigen Opernhäuser verschwinden zu lassen.
Erfinden ist erlaubt
Wo die Fakten fehlen, helfen bekanntlich Legenden aus. Dazu passende Phantasien springen in die Lücke. Karl Goldmark (1830–1915) fand in Salomon Hermann von Mosenthal (1821–1877) einen Librettisten, der sich in der Bibel ebenso auskannte wie im Wiener Volkstheater. In seiner Ausmalung der Geschichte der Königin von Saba verliebt sich die Frau allerdings nicht in den weisen König Salomon, sondern in dessen jungen Boten und Höfling Assad, der bereits mit Sulamith, der schönen jungen Tochter des Hohepriesters von Jerusalem, verlobt ist.
Das Drama will es nun, dass Assad mit einer unbekannten schönen Frau eine Liebesnacht verbringt, die seine Beziehung zu seiner Braut Sulamith zerrüttet. Erst am Hof Salomons entdeckt Assad, dass er seine Liebesnacht mit der angereisten Königin verbracht hat. Diese leugnet jedoch, Assad je begegnet zu sein. Assad lässt die Hochzeit platzen und verstösst seine Braut bei der rituellen Tempelzeremonie. Das Volk sieht dies als einen Treuebruch und als Gotteslästerung und verlangt von Salomon Assads Tod; der König lässt Assad denn auch gefangen nehmen.
In diesem Szenario ist die Königin von Saba eine eindeutig nymphomanisch veranlagte Frau, die vor Eifersucht kocht, als sie erfährt, dass Sulamith «ihren» Geliebten der Nacht als Ehemann erhalten soll. Sie verlangt nun von Salomon, dass er ihr Assad als Gastgeschenk überlasse. Diesem gelingt es, aus der Gefangenschaft zu entkommen und in die Wüste zu fliehen. Die Königin reist erzürnt ab. Sie findet aber Assad im letzten Aufzug in der Wüste und möchte ihren Geliebten mit in ihr Reich nehmen. Jetzt widersetzt sich Assad ihren Verführungen, bekennt sich zu Sulamith und bleibt allein in der Wüste zurück. Dort findet ihn, zu Tode erschöpft, am Ende der Oper Sulamith wieder. Ein Mädchenchor singt dazu: «Der Freund ist dein, im Reich der ewigen Liebe!» Ein Liebestod nach dem Gusto des späten 19. Jahrhunderts.
Wer vertraut ist mit Opernstoffen aus der Wagnerzeit, wird spüren, dass es in dieser Geschichte einige Parallelen zu Wagners «Tannhäuser» gibt. Hier wie dort ist ein Held im Dilemma zwischen idealisierter Zuneigung und sinnlich-erotischer Leidenschaft. Dort der Sänger Tannhäuser zwischen Elisabeth und Frau Venus, hier Assad zwischen Sulamith, der sich aufopfernden Frau, und der Königin von Saba, die ihre Liebeslust auskosten will, auf wessen Kosten auch immer. Die Opernkritik hat diese Nähe zu Wagner Goldmark gegenüber historisch auch lange bemäkelt.
Eine Arie zum Dahinschmelzen
Der 2. Aufzug spielt in einem «phantastischen Garten von Zedern, Palmen und Rosensträuchen» und schildert die Liebesbegegnung zwischen «des Ostens Königin» und ihrem Geliebten Assad. Dieser wird von Astaroth, der schwarzen Sklavin der Königin, geradezu an das Liebesnest herangegurrt. «Wie im Schilfe lockt der Reiher, / Wie der Tauber girrt im Moos, / Durch der Nacht verschwiegnen Schleier / Lock ich ihn in deinen Schoss.» Da gibt es kein Entkommen mehr! Assad bezeichnet denn auch die Königin als «Dämon mit den süssen Blicken, / Du mein Unheil, mein Entzücken, / Du mein Leben, Du mein Tod.» Die Königin will nur eines von ihm: «Lass die Welt um dich versinken, / Wenn dir meine Arme winken, / Dich mein Herz gefangen hält.»
Dass Goldmark den exotisch-erotischen Zauber des Orients musikalisch umzusetzen verstand, wird wohl am deutlichsten in der Tenorarie des Assad, die er unmittelbar vor der Begegnung mit der Königin singt. Der Text lautet:
«Magische Töne, berauschender Duft!
Küsse mich, milde Abendluft,
Kühle die Stirne mir heilend und mild.
Lindre die Qual, die das Herz mir erfüllt.
Um mich schwebt ein zaubrischer Schein
Wie in Libanons dunklem Hain,
Wo die Quelle sich lockend verlor.»
Die ersten drei Zeilen der Arie werden von Assad noch einmal wiederholt. Man könnte sagen: Alles etwas opernhaft spätromantisch überzuckert. Doch bedeutende Tenöre wie Leo Slezak in Wien oder Enrico Caruso in Italien haben mit dieser Arie immer wieder grösste Erfolge erzielt.
Dass wir die Oper Goldmarks auf einer Bühne heute in einer interpretatorisch zureichenden und bühnentechnisch befriedigenden Art und Weise erleben dürfen, ist eher unwahrscheinlich. Wer eine gelungene Gesamtaufnahme des Werkes erleben will, findet sie in einer CD-Produktion von cpo und SWR2 von 2016 unter der Leitung von Fabrice Bollon aus dem Theater Freiburg. Für Freunde rätselhaft bleibender Figuren aus der Antike in spätromantischer Ästhetik eine echte Trouvaille! Wir hören hier die Arie «Magische Töne», gesungen vom Tenor Peter Seifert. Am Pult des Münchner Rundfunkorchesters steht Jiri Kout, eine Aufnahme aus den Jahren 1992/93.