Auch im dritten Anlauf hat es Marine Le Pen nicht in den Élyséepalast geschafft. Doch Macrons Sieg ist alles andere als umwerfend. 57-58 % für ihn, 42-43 % für Marine Le Pen. Eine erste kurze Einschätzung von Hans Woller in Paris.
Ouf! Dieses lautmalerische französische Wort, das grosse Erleichterung und ein tiefes Durchatmen ausdrückt, war um 20 Uhr vielleicht das meistgebrauchte im ganzen Land.
Frankreich ist noch einmal davongekommen und Emmanuel Macron wird weitere fünf Jahre das Staatsoberhaupt sein und ist, mit gerade mal 44 Jahren, auch noch der erste Präsident, der wiedergewählt wurde, ohne dass es in den Jahren zuvor eine Kohabitation gegeben hätte. Auch die niedrige Wahlbeteiligung von nur 72 % ändert daran nichts:
Frankreich, die Atommacht mit 67 Millionen Einwohnern, atmet durch, aber auch weite Teile Europas tun dies heute Abend, in der Gewissheit, es in den nächsten fünf Jahren nicht mit einer erratischen, dezidiert europafeindlichen französischen Präsidentin zu tun zu haben, die ihr Gesellschaftsmodell in Ungarn oder Polen abgeschaut hat.
Doch trotz aller Erleichterung bleibt dieses Wahlergebnis ein Schock: Rund 16 Millionen Französinnen und Franzosen haben an diesem 24. April 2022 für eine Kandidatin der extremen Rechten gestimmt, für Marine Le Pen, die sich anschickte, gleich eine ganze handvoll rechtsstaatlicher Prinzipien über Bord zu werfen, das französische Verfassungsgericht übergehen zu wollen, einen schleichenden Brexit in Gang zu setzen und sämtliche Ausländer im Land zu Bürgern zweiter Klasse zu erklären.
Ganz offensichtlich haben am Ende doch genügend der 7,7 Millionen Wähler des Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon im ersten Durchgang, die heute das berühmte Zünglein an der Waage bildeten, sich doch entschieden, das aus ihrer Sicht kleinere Übel zu wählen und sind nicht zu Hause geblieben oder haben einen leeren Umschlag in die Urnen geworfen, sondern murrend doch für Emmanuel Macron gestimmt.
Die Überreste der immer wieder beschworenen, aber inzwischen ausgesprochen brüchigen «Republikanischen Front», um den Einzug der extremen Rechten in die höchsten Staatsämter zu verhindern, hat noch einmal, wenn auch ausgesprochen holpernd, funktioniert.
Die in den letzten zwei Wochen oft gedroschene Phrase, wonach es heute nur die Wahl zwischen Pest und Cholera gegeben hätte, hat an diesem Sonntag zumindest einmal ausgetönt.