In diesem ersten Theaterstück des Algerien-Franzosen Camus geht es um Macht und wie sie einen Menschen aufpeitschen, zum Monstrum machen und zerstören kann. 1938 fertiggestellt und 1941 überarbeitet, jedoch erst 1945 uraufgeführt, ist das Stück um den römischen Kaiser Gajus Caesar Germanicus, genannt Caligula, nicht nur eine Parabel zum Zeitgeschehen, sondern darüber hinaus ein geballtes Stück nihilistische Philosophie. Camus, der gerne der existentialistischen Schule rund um Jean Paul Sartre zugerechnet wird, sah sich selbst dezidiert niemals als Existentialisten. Sein Denken galt in dieser frühen Zeit – er war erst 26 Jahre alt – dem Absurden. „Caligula“ hat er als sein einziges Werk des Absurden Theaters deklariert.
Was im Schauspielhaus Basel drei Stunden lang vor dem mit angehaltenem Atem zuhörenden Publikum geboten wurde, war in seiner Eindringlichkeit derartig schlüssig, dass auch die abstrusesten Gedankengänge des Helden nicht mehr absurd, sondern in fataler Weise zwingend erschienen.
Genau das ist es, was uns Heutige so beunruhigt. Haben wir doch die Auswüchse von Machtgier in der Weltpolitik direkt vor Augen! So wie sie Albert Camus mit dem Nationalsozialismus vor Augen hatte. Er machte aus seinem ursprünglich als kritischen Exkurs angelegten Stück ein beklemmendes Bild politischer Realität.
Ein einziges Wort: Nichts!
Mit diesem jungen, mit tödlicher Logik über den Sinn des Lebens nachdenkenden Cäsaren führt uns Camus unsere eigene Denkfaulheit und Feigheit vor Augen, die vor dem unausweichlich scheinenden Ergebnis des puren Machtstrebens zurückschreckt. Caligula benennt ohne Zaudern das Ende seiner Gedankenketten: „Ein einziges Wort: Nichts!“ Zu den von seinen Ratgebern als Rettung angeführten Möglichkeiten von Menschlichkeit oder gar Liebe fällt ihm nur ein Begriff ein: „Verachtung“.
Solch unerbittlich schwarzes Denken kommt nicht von ungefähr, es braucht einen Auslöser. Bei Caligula ist es der – wahrscheinlich gewaltsame – Tod seiner inzestuös geliebten Schwester Drusilla. In seinem übermässigen Schmerz wendet er sich von den positiven Seiten des Lebens ab und stösst auf die verführerische Kraft des Nihilismus. Wenn alles geleugnet wird, ist nichts mehr unmöglich oder unmoralisch. Als Sinnbild der sich um sich selbst drehenden Gier eines designierten Herrschers erstrebt Caligula, gelangweilt von seinen eigenen Gräueltaten, nur noch eines: den Besitz des Mondes.
Dieses Bild wirkt auf uns heute allzu romantisch, doch Camus war sich dessen bewusst und setzte solche Motive gezielt ein. Kurz vor seinem Tod, in seiner berühmten mit dem Nobelpreis gewürdigten Erzählung „Der Fall“, sagt er einmal sarkastisch zu seinem Gegenüber: „Oho, nun lasse auch ich mich treiben, ich werde ja lyrisch! Werfen Sie mir ein Haltetau zu, mein Lieber, ich bitte Sie darum!“
Caligula werden zwar Haltetaue angeboten: von den anfänglich achselzuckenden, später um ihre eigene Existenz bangenden Ministern, die mit sprachlosem Entsetzen seine monströse Gleichgültigkeit verfolgen, auch von Freunden und der Geliebten. Doch der immer mehr in seiner narzisstischen Verstricktheit Wütende kann und will sie nicht ergreifen. Schliesslich ersehnt er den Tod.
Vertrauen ins Wort
Kann man solche Zustände auf einer Bühne sichtbar machen, ohne in billige Effekte orgiastischer Grausamkeiten zu verfallen? Der erfahrene italienische Regisseur Antonio Latella, desgnierter künstlerischer Leiter der Sparte Theater an der Biennale von Venedig – er hat sich mit seiner Inszenierung von „Ödipus“ in der laufenden Spielzeit in Basel schon bestens eingeführt – wagt es. Er vertraut dem Wort und dem gedanklichen Gehalt und führt Sprechtheater in Reinkultur vor. Zudem baut er performancehafte, stumme Momente ein, welche die Wucht der vorangegangenen Worte nachwirken lassen. Szenisch unterstützt wird er durch das eindringliche Bühnenbild des italienischen Künstlers und Bühnenbildners Simone Mannino, einen schräg angeschnittenen Dreiecksraum, in dem sich die Figuren verfangen und kaum entfliehen können.
Der am unausweichlichsten Gefangene ist der Herrscher selbst. Thiemo Strutzenberger gestaltet diese riesige, anspruchsvolle Rolle mit einer gefährlich wirkenden Ruhe, die Stimme meist im Mezzovoce, ja sogar Piano gehalten. Mit fast unmerklichen Pausen vor seinen Sätzen bringt er es fertig, dass man ihm praktisch beim Denken zusehen kann. Der Höhepunkt dieser Rolle, der Monolog des Caligula vor seinem Ende, ist auch ein Höhepunkt an Schauspielkunst. Naturgemäss treten die Nebenrollen etwas zurück, werden aber vom Basler Ensemble überzeugend gestaltet. Hervorzuheben ist Katja Jung in der Rolle der Geliebten Caesonia.
Allen, die über politische Phänomene von einer philosophischen Warte aus nachdenken wollen, sei diese Aufführung ans Herz gelegt.